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# taz.de -- MP Kretschmer trifft Bürger in Chemnitz: Lehrstunde in Wutbürgerk…
> Ministerpräsident Kretschmer redet mit Chemnitzern – in aufgeheizter
> Atmosphäre schlagen ihm Grundmisstrauen und Generalfrust entgegen.
Bild: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bei seinem „Sachsengespräc…
Chemnitz taz | Die beste Nachricht zuerst: Die durch Beamte aus mehreren
Bundesländern verstärkte Polizei musste am Donnerstagabend in Chemnitz
nicht eingreifen. Die etwa 200 Demonstranten von „Pro Chemnitz“, die sich
von vornherein dem „Sachsengespräch“ der Sächsischen Staatsregierung
verweigerten, blieben außerhalb des Stadiongeländes des Chemnitzer
Fußballklubs. In dessen Veranstaltungsräumen fand das turnusgemäße von der
Landesregierung gepflegte Bürgergespräch statt, das durch die
[1][Messerattacke beim Stadtfest] besondere Brisanz erhalten hatte.
Allerdings schallten auch während der Schweigeminute für den getöteten
Daniel H. von draußen die „Haut ab!“-Rufe herein. Platz für 550 Bürger
boten die Räume. Gekommen waren sowohl die sprichwörtlichen Wutbürger als
auch solche, die ein anderes Bild als [2][das der vergangenen Tage von
Chemnitz] zeichnen wollten. Das Format war klug gewählt. Nach einem
Anfangsplenum mit rund einem Dutzend Ministern und Staatssekretären konnten
die Gäste anschließend an Einzeltischen im kleineren Rahmen mit diesen
diskutieren.
Zwischen dem am stärksten besuchten Forum mit [3][Ministerpräsident Michael
Kretschmer] (CDU) und Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) und den
übrigen Ressorts gab es dabei einen deutlichen Unterschied. Kretschmer sah
sich mit starker Polemik und Emotionen konfrontiert, während an den übrigen
Tischen ausgesprochen sachlich diskutiert wurde. Dabei hatte Kretschmer zu
Beginn „Anstand und Respekt“ angemahnt.
Durch alle seine Äußerungen an diesem Abend zog sich die Mahnung, auf der
Basis von Fakten zu diskutieren und „dafür zu sorgen, dass nicht
Halbwahrheiten die Oberhand gewinnen“. Die zahlreichen lautstarken
Zwischenrufe von Anfang an ließen eine solche Diskussionskultur aber kaum
erwarten.
## „Ungerecht behandelt“ durch Medien?
Kretschmer konzidierte, dass sich viele Chemnitzer durch die
Berichterstattung über ihre Stadt „ungerecht behandelt fühlen“. Er mahnte
aber auch nach Erfahrungen bei seinem vorausgegangenen Besuchen an diesem
Chemnitz-Tag, dass lange hier lebende Ausländer nicht plötzlich der
Verfolgung ausgesetzt werden dürfen.
Welche explosive Stimmung bereits vor der Bluttat in der Stadt geherrscht
haben muss, offenbarten die Redebeiträge in der Kretschmer-Runde. „Das es
mal knallt, war schon lange klar“, sagte sogar ein ausländerfreundlicher
sprachenkundiger Weltbürger, der aber die Integrationsfähigkeit vieler
Zugewanderter anzweifelte. Angst beherrscht viele Chemnitzer, ein Gefühl,
dem aber die Statistik zurückgehender Straftaten widerspricht.
Einige Kriminalitätsschwerpunkte oder Erfahrungen mit einem messerzückenden
Ausländer an einem Spielplatz genügen, diese Angst zu nähren. „Es geht
nicht um Einzelfälle, es geht um eine Tendenz“, sagte eine Chemnitzerin.
Hinzu kommen soziale Probleme, obschon die mehrfach ausgebuhte
Oberbürgermeisterin auf einen objektiv guten Ausbau von Kindertagesstätten
und Schulen verweisen konnte.
## Montagsdemo mit Naziprofis und Hooligans
Die Diskrepanz zwischen objektivem Geschehen und gefühlter Wahrnehmung
wurde besonders deutlich in der Bewertung der von [4][„Pro Chemnitz“
initiierten Demonstration vom Montag]. Mehrere Teilnehmer, die sich zur
Teilnahme bekannten, wiesen eine Einstufung als Nazis zurück. Bis auf
wenige Ausfällige sei dies eine friedliche und freundliche Demonstration
gewesen.
Die massenhafte Anwesenheit importierter Naziprofis, von Hooligans, extrem
rechten Parteien, deren Hassreden und Aufforderungen zum Sturz der
demokratischen Ordnung und schließlich der Ausbruch von hunderten besonders
militanten Kräften wird offenbar nicht wahrgenommen und verdrängt.
Ministerpräsident Kretschmer versteifte sich vor allem auf das mehrfach
dokumentierte Zeigen des Hitlergrußes. Dann hätten sich die Demonstranten
davon distanzieren müssen, forderte er und verwies immer wieder auf den
Rechtsstaat.
## Generalfrust gegen das System
Der hat es in dieser aufgeheizten Atmosphäre schwer, wurde beim
„Sachsengespräch“ deutlich. Das Grundmisstrauen gegen jegliche Politik und
ihre Exponenten wurde besonders in der Kretschmer-Runde deutlich. Bei
diesem „Sachsengespräch“ konnte man studieren, dass hinter den Ängsten und
Vorbehalten gegenüber Flüchtlingen eigentlich ein Generalfrust gegenüber
einem vermeintlich verschlissenen System steht. Integrationsministerin
Petra Köpping (SPD) konnte sich an ihrem Tisch hingegen einer erstaunlich
aufgeschlossenen Diskussion erfreuen. Auch bei Innnenminister Roland Wöller
(CDU) ging es trotz aller Brisanz relativ diszipliniert zu.
Mit breiter Ablehnung wurde die Ankündigung eines [5][Rockkonzertes am
kommenden Montag] quittiert, an dem die linke Chemnitzer Band „Kraftklub“
auftreten soll. Das sei nur wieder ein Sammelpunkt für Linksradikale.
Ministerpräsident Kretschmer, der sich erst kürzlich abfällig über
Kraftklub geäußert hatte, wurde so plötzlich zu einem Verteidiger der
Kunstfreiheit.
.
30 Aug 2018
## LINKS
[1] /Todesfall-bei-Stadtfest-in-Chemnitz/!5530703
[2] /Eine-ostdeutsche-Grossstadt-in-Aufruhr/!5532080
[3] /Sachsens-Regierungschef-Kretschmer/!5532403
[4] /Rechte-Aufmaersche-in-Chemnitz/!5528188
[5] https://www.facebook.com/events/331690927577698/
## AUTOREN
Michael Bartsch
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