Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mumaßliche Bandenkriminalität in Berlin: Tödliche Schüsse am Te…
> Am späten Sonntagnachmittag wird auf einen Mann geschossen – vor den
> Augen seiner Familie und von Passanten.
Bild: Spurensicherung am Tatort in der Oderstraße
Berlin taz | „Frieden in Berlin Neukölln“ steht mit Kreide auf den Gehweg
an der Oderstraße geschrieben, jemand hat eine Sonnenblume dazugelegt. Ein
paar Meter weiter ist am späten Sonntagnachmittag mehrmals auf einen
36-Jährigen im Beisein seiner Familie geschossen worden. Offenbar handelt
sich bei dem Opfer um den als Intensivtäter polizeibekannten Nidal R.; er
erlag am Sonntagabend seinen durch drei Treffer verursachten schweren
Verletzungen.
Wahrscheinlich vier Personen hatten sich auf R. zubewegt, so die ersten
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Ob den Schüssen aus dieser Gruppe eine
Konfrontation oder ein Wortwechsel vorausging, wurde am Montag noch
ermittelt. Bislang stellt sich die Szene wie eine kaltblütige Hinrichtung
dar.
Es war das zweite Mal binnen weniger Tage, dass auf Angehörige arabischer
Clans in der Öffentlichkeit geschossen wurde. Am 3. September waren zwei
Männer nahe einer Sportbar in Britz das Ziel; sie haben verletzt überlebt.
Hier wie auch im aktuellen Fall bewege man sich im Bereich der
Spekulationen, was das Tatmotiv betreffe, sagte der Leitende
Kriminaldirektor Sebastian Laudan am Montag im Innenausschuss des
Abgeordnetenhauses. Von Abgeordneten gefragt, ob er mit Blick auf den Toten
vom Sonntag mit Racheaktionen rechne, sagte der Beamte: „Wir versuchen mit
allen polizeilichen Mitteln, eine Gegenreaktion zu verhindern.“
Sollte die Polizei in Aufruhr sein – Laudan lässt sich nichts anmerken.
„Wir müssen erst Licht ins Dunkel bringen, auch was die Tatumstände
betrifft“, fasste er den Kenntnisstand der Polizei zum Bereich
„Organisierte Kriminalität (OK) unter Mitwirkung von Angehörigen arabischer
Clans“ zusammen. In 13 von 68 OK-Ermittlungen, die in Berlin und anderen
Bundesländern geführt würden, seien Personen involviert, „deren Herkunft in
der arabischen Liga zu suchen ist“.
## Drogenschwerpunkt in Sichtweite
Der Tatort vom Sonntag am Übergang zwischen Anita-Berber-Park und
Tempelhofer Feld befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einem Schwerpunkt
des Drogenhandels und -konsums. Direkt neben der Hermannstraße liegen auf
den Wiesen und unter Bäumen gebrauchte Spritzbestecke und andere
einschlägige Utensilien herum. Gerade erst ist der Rasen gemäht worden,
höhere Gebüsche des als naturbelassene Grünfläche vorgehaltenen Parks
wurden gekürzt. So sollen der Szene Rückzugsräume genommen werden, wie
Gunnar Zerowsky vom Quartiersmanagement Schillerpromenade weiß.
Zu stören scheint die Rodung niemanden sonderlich. Auch am Montagmittag
finden sich im Park vereinzelt Konsumenten wie Dealer.
Zerowsky wundert das nicht. Schließlich ist die Szene mobil, zieht vor der
Polizei her von U-Bahnhof zu U-Bahnhof und eben immer wieder in angrenzende
Grünanlagen. „Es wäre doch mal an der Zeit für das Land, eine übergreifen…
Linie im Umgang mit dem Phänomen zu finden und nicht die Bezirke und
Quartiere mit dem Problem allein zu lassen“, sagt Zerowsky. Im
Anita-Berber-Park schaue nicht einmal das Ordnungsamt vorbei: Die Fläche
sei im Eigentum des Bundes.
Die umliegenden Straßenzüge sind seit der Schließung des Flughafens Ende
2008 einem gestiegenen Verdrängungsdruck ausgesetzt und zeigen sich
beschaulich bürgerlich. Die arabischen Familienstrukturen, zu denen auch
Nidal R. gezählt wurde und aus denen sich die Dealer rekrutieren, leben
eher im Rollbergviertel auf der anderen Seite der Hermannstraße.
## Gefährliche Tendenz zur Bewaffnung
Im Berliner Komplex Organisierter Kriminalität machen kriminelle Mitglieder
arabischer Familien nach Auskunft des Kripobeamten Laudan einen Tatanteil
von 22 Prozent aus. Den Begriff Clankriminalität verwende die Polizei
nicht. Es gibt keine polizeiliche Einstufung von Familienstrukturen, „wir
sprechen von Straftätern“.
Allerdings gebe es bestimmte Familien, die immer wieder auffielen. Deren
Kinder und Jugendliche versuchten die Jugendämter über eine
Frühintervention zu erreichen. Das sei aber schwierig, weil sich laut
Laudan diese Familien stark abschotteten. Eigentumsdelikte,
Rauschgifthandel, Schleuserei listete er als die Schwerpunkte der
Kriminalität auf. Neu hinzugekommen sei eine gewisse Tendenz zur
Bewaffnung. „Das beobachten wir mit Sorge“, erklärte Laudan im
Innenausschuss.
Zunehmend handele es sich um „multifunktionale Taten“ – sprich eine
Mischung verschiedener Delikte – und es gebe eine neue Ausprägung: Der
Anteil der Rapperszene in der Organisierten Kriminalität „ist am Wachsen“.
Dabei gehe es auch um Macht- und Statusstreben. Ermittlungserfolge der
Kripo wie die Beschlagnahmung der 77 Immobilien im Juli 2018 seien das
Resultat langjähriger Ermittlungen, so Laudan. Das für OK zuständige
Fachkommissariat im LKA sei an den Szenen dran und sehr aktiv.
## Möglicher Territorialkonflikt
Ob es sich bei der Tat am späten Sonntagnachmittag um eine Folge von
Revierstreitigkeiten zwischen Banden handelt, darüber möchte auch Martin
Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, nicht spekulieren:
„Ähnlich wie im Rockermilieu können da nichtigste Anlässe ohne rational
greifbare Hintergründe zu solchen Gewaltausbrüchen führen.“
Völlig abwegig ist die Vermutung jedoch nicht, da gerade durch die
Julirazzien und Beschlagnahmungen im Umfeld mutmaßlich kriminell tätiger
Familienstrukturen der Verdienstdruck und damit die Konkurrenz der Banden
erheblich gestiegen sein dürfte. Gunnar Zerowsky beobachte eine neuerliche
Zunahme offener Konflikte, die in den vergangenen fünf Jahren eher abgeebbt
waren.
Viele der Tatverdächtigen kommen aus dem Libanon. Sie befinden sich zum
Teil seit dem Bürgerkrieg mit prekärem Aufenthaltsstatus in Berlin. Nicht
selten bereits in dritter Generation ohne reguläre Arbeitserlaubnis sind
die Familien und ihre „Geschäfte“ oft das vermeintlich beste Angebot für
den Nachwuchs.
10 Sep 2018
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
Plutonia Plarre
## TAGS
Neukölln
Organisierte Kriminalität
Tempelhofer Feld
4 Blocks
Organisiertes Verbrechen
Mafia
Polizei Berlin
Milieu
Organisierte Kriminalität
Migration
Polizei Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zweite Staffel „4 Blocks“: Erfolgreich, grimmig und gehetzt
Auch die zweite Staffel „4 Blocks“ über einen Neuköllner Gangsterclan
bleibt spannend. Nur für interessante Frauenfiguren ist zu wenig Raum.
Berliner Wochenvorschau: Gangs of Berlin
Ein mutmaßlicher Clan-Mord ist weiterhin unaufgeklärt und beschäftigt auch
die Politik. Außerdem im Angebot: pinkfarbene Poloshirts.
Mafia-Experte über Berliner Clans: „Es kann kaum brutaler werden“
Sandro Mattioli ist der Vorsitzende von „Mafia? Nein Danke“. Laut ihm nehme
die Gewalt auf Berlins Straßen eine neue und dramatische Qualität an.
Ermordetes Clanmitglied in Berlin: Huldigung übermalt
Unter Polizeischutz wird ein Wandgemälde, das den Intensivtäter Nidal R.
zeigte, übermalt. R. war am Rande des Tempelhofer Feldes erschossen worden.
Beerdigung nach Milieu-Mord: Viele Männer im Sonnenallee-Style
„Möge Allah euch alle reichlich belohnen“: Mehr als 1.000 Menschen kommen
zur Beerdigung des am Sonntag in Neukölln erschossenen Intensivtäters Nidal
R.
Publizist über organisierte Kriminalität: „Es ist ein Eiertanz“
Gibt es Probleme bei der Berichterstattung über organisierte Kriminalität?
Darüber schreibt der Journalist Olaf Sundermeyer im Buch „Bandenland“.
Hauptdarsteller über TV-Serie „4 Blocks“: „Ich bin so ein deutscher Spie…
Die Serie „4 Blocks“ ist auch ein Sozialdrama über die Folgen der
Ghettoisierung in Bezirken wie Neukölln, sagt Kida Ramadan.
Polizeirazzia in Berlin: Einsatz gegen Clans
Bestimmte arabische Großfamilien sind laut Polizei in kriminelle Strukturen
verwickelt. Die Ermittler tun sich schwer. Nun gab es doch „umfangreiche
Zeugenaussagen“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.