# taz.de -- Neue WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni: „Zivilcourage ist mein Ziel�… | |
> Ellen Ehni ist die neue Chefredakteurin des WDR-Fernsehens. Sie will | |
> einen differenzierteren Blick auf „normale“ Bürger und Machtgefälle | |
> erwirken. | |
Bild: „Wir müssen uns fragen: Ist es wirklich ein Thema, das die Menschen um… | |
taz: Frau Ehni, als neue Chefredakteurin des WDR haben Sie verkündet, dass | |
die Redaktionen des Hauses „nicht über jedes Stöckchen“, das ihnen | |
Politiker hinhalten, springen, „sondern zurück treten und analysieren“ | |
sollten. Das wirft Fragen auf, was die Talkshows angeht, die ja gerade das | |
tun. Werden Sie in den Gesprächen mit den Redakteuren und Produktionsfirmen | |
der Sendungen darauf hinwirken? | |
Ellen Ehni: Ich teile die Kritik erst einmal nicht, dass die Talkshows über | |
jedes Stöckchen springen. Talkshows setzen sowohl auf Themen der Woche als | |
auch auf Themen, die darüber hinausgehen. Ich werde natürlich weiterhin | |
darauf achten, dass die Talk-Redaktionen und auch andere Redaktionen sich | |
nicht leiten lassen von Empörungswellen. | |
Wir müssen uns fragen: Ist es wirklich ein Thema, das die Menschen | |
umtreibt? Oder ist es ein Thema, das nur die Hauptstadt oder nur die | |
Journalisten umtreibt? Es gilt auch darauf zu achten, nicht nur Politiker | |
einzuladen, sondern verstärkt Experten – damit es besser möglich ist, eine | |
sachliche Diskussion zu führen. Beim Presseclub haben wir schon ganz oft | |
festgestellt, dass man als Zuschauer sehr viel lernt, wenn man nicht | |
Interessenvertreter diskutieren lässt, sondern Journalisten, die | |
verschiedene Meinungen abdecken. | |
Ich wäre dafür, in Talkshows gar keine Politiker einzuladen, weil die dort | |
nur etwas verkaufen wollen. | |
Na ja, das kommt ganz stark aufs Thema an. Wenn man ein explizit | |
politisches Thema setzt, dann muss man auch die entsprechenden Politiker | |
dazu einladen. Es darf aber kein Ersatzparlament werden. Jedenfalls ist es | |
wichtig, nicht nur über die Menschen zu reden, sondern auch mit ihnen. Es | |
gibt eine Polarisierung in der Gesellschaft, die sich mittlerweile auf | |
viele Themen erstreckt, und wir müssen versuchen dazu beizutragen, dass | |
diese Menschen wieder miteinander in Dialog treten. Das scheint mir derzeit | |
die wichtigste Aufgabe meiner Amtszeit zu sein. | |
Die Kritik an den Talkshows bezieht sich aber nicht nur auf die Auswahl von | |
Themen und Gästen, sondern teilweise auch auf Zuspitzungen im Titel. | |
Natürlich kann man mit dem Titel – Stichwort Framing – der Debatte eine | |
Richtung geben. Das ist immer eine Gratwanderung, denn ein verschlafener | |
Titel hilft einer Sendung nicht. Es darf aber nicht auf einen | |
effektheischerischen Titel hinauslaufen. Wir müssen verbal etwas abrüsten, | |
um eine sachliche Debatte zu ermöglichen. | |
Im Zuge der Ereignisse in Chemnitz wurden die Öffentlich-Rechtlichen | |
teilweise dafür kritisiert, dass sie rechte und linke Demonstranten in | |
ihrer Berichterstattung als quasi gleichwertige Pole dargestellt haben – | |
als gäbe es zwei Seiten, und der pflichtbewusste Journalist steht | |
schein-neutral dazwischen. Kann man Leuten, die die Demokratie abschaffen | |
wollen, auf diese Weise mit jenen auf eine Stufe stellen, die sie | |
verteidigen? | |
Ich halte es für falsch, viele Chemnitzer Bürger in die Schublade der | |
Nichtdemokraten einzusortieren. Isabel Schayani hat für WDRforyou, unser | |
mehrsprachiges Angebot für Flüchtlinge, das ebenfalls zu meinem | |
Verantwortungsbereich gehört, mit einem Kollegen live aus Chemnitz | |
berichtet und diesen normalen Bürgern genau die richtigen Fragen gestellt: | |
Warum stehen Sie bei den rechten Demonstranten? | |
Sie hat versucht, deren Motive zu ergründen, und das hat sie sehr | |
couragiert gemacht, weil sie sich Sachen anhören musste wie: „Gehen Sie | |
doch zurück in den Islam, da, wo sie hergekommen sind.“ Es ist wichtig, | |
dass wir differenzieren, wir müssen uns in die Lage der Menschen versetzen, | |
die auf die Straße gehen und keine rechtsradikalen Hetzer sind. Die zählen | |
für mich zur verunsicherten Mitte, die wir zurückzuholen müssen. | |
In der Debatte um die Vorwürfe der sexuellen Belästigung beim WDR drang | |
eine weit darüber hinaus gehende Kritik nach außen: Die Strukturen seien zu | |
hierarchisch, es fehle an einer Kontrolle von Machtmissbrauch, viele | |
Mitarbeiter hätten grundsätzlich Angst, sich kritisch zu äußern. Wie nehmen | |
Sie das wahr? | |
Ich empfinde das Klima im WDR nicht als so angstbehaftet, wie es teilweise | |
nach außen kommuniziert wurde. Ich gestehe aber zu, dass ich das aus der | |
Position der festangestellten Redakteurin bzw. Abteilungsleiterin heraus | |
anders wahrnehme als Mitarbeiter mit weniger gesichertem Status. | |
Hat sich nach den Diskussionen, die im Zuge von #MeToo im Sender | |
stattgefunden haben, etwas verändert? Werden Sie als neue Chefredakteurin | |
versuchen, etwas zu verändern? | |
Wenn man, so schwer das auch ist, wirklich etwas Positives aus den | |
Vorkommnissen ziehen kann, die im Rahmen von #MeToo zu Tage getreten sind, | |
dann Folgendes: Wir sind uns dabei bewusst geworden, dass es an bestimmten | |
Stellen im WDR Machtgefälle gibt – nicht nur zwischen Menschen in der | |
Unternehmensleitung und Redakteuren, sondern eigentlich noch mehr zwischen | |
festangestellten und freien Mitarbeiten beziehungsweise Menschen, die nur | |
kurzzeitig in Redaktionen beschäftigt sind, also Praktikanten oder | |
Volontären. | |
Wir sind sensibler geworden, was das angeht, und auf diese Machtgefälle | |
müssen wir künftig ganz genau drauf schauen – unabhängig davon, ob sie in | |
sexueller Belästigung zum Ausdruck kommen, beleidigender Kritik oder | |
anderem unangemessenem Verhalten. Ich möchte jeden Mitarbeiter, dem so | |
etwas auffällt, dazu animieren, den Mund aufzumachen. Die Zivilcourage der | |
Mitarbeiter zu stärken – das ist eines meiner Ziele. | |
7 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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