# taz.de -- Lidokino 7 – Zwei Künstlerleben: Zu viel Brust und harte Kurven | |
> Zwei, die konkurrieren: In Venedig treten ein Film über die letzten Jahre | |
> Van Goghs und ein an Gerhard Richters Leben angelehntes Werk | |
> gegeneinander an. | |
Bild: Der fiktive Künstler Kurt Barnert (Tom Schilling) ist ein stiller, aber … | |
Künstlerfilme. Schwierige Sache. Meistens sind das ja Porträts von echten | |
Künstlern, die es gibt oder gegeben hat. Wie Vincent van Gogh oder Gerhard | |
Richter. Den echten Vincent van Gogh hat sich für den Wettbewerb von | |
Venedig ein Künstlerkollege als Filmstoff ausgesucht: [1][Der US-Amerikaner | |
Julian Schnabel] zeigt in „At Eternity’s Gate“ die letzten Jahre des Male… | |
in Frankreich. | |
[2][Der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck] hingegen | |
erzählt in „Werk ohne Autor“, ebenfalls im Wettbewerb, vom fiktiven | |
Künstler Kurt Barnert. Dieser wird in Dresden geboren, studiert dort Kunst, | |
bekommt bald große Aufträge, flieht dann 1961 vor dem Mauerbau mit seiner | |
Frau Ellie (Paula Beer) in den Westen, um in Düsseldorf an der | |
Kunstakademie zu studieren. Dort lehrt ein Professor, der Hut und | |
Anglerweste trägt, ein Kommilitone Barnerts schlägt Nägel in Leinwände. Und | |
Barnert beginnt schließlich, Fotos abzumalen. | |
Warum „Werk ohne Autor“ seinen Protagonisten nicht einfach Gerhard Richter | |
heißen lässt, bleibt rätselhaft. Denn auch wenn sich von Donnersmarck | |
einige Freiheiten mit der Biografie Richters lässt, ist die Vorlage doch | |
mehr als eindeutig. Tom Schilling gibt diesen Barnert-Richter als stillen, | |
hellwachen Beobachter, Oliver Masucci hat einen schönen Auftritt als | |
Professor Antonius van Verten vulgo Joseph Beuys. | |
Tatsächlich ist dieser fiktionalisierte Ansatz von der Dramaturgie her | |
insoweit gelungen, als die gut drei Stunden, die von Donnersmarck dafür | |
benötigt, nicht langweilig werden. Andererseits meint es „Werk ohne Autor“ | |
mit dem Engführen von biografisch zugespitzten Details etwas zu gut. Die | |
eigentliche Pointe der Geschichte ist dabei das schwierige Verhältnis zum | |
Schwiegervater, im Film Professor Carl Seeband (Sebastian Koch). | |
Letzterer hat, was Barnert nicht weiß, eine Tante des Künstlers wegen | |
psychischer Probleme „euthanasieren“ lassen. Dieses wahre Verbrechen wird | |
in Gestalt von symbolisch aufgeladenen Szenen arg ausgeschlachtet. Wie auch | |
andere Dinge einfach zu viel sind: Zu raumfüllend die flächig-emotionale | |
Musik Max Richters, viel zu häufig – gefühlt ein Viertel des Films – muss | |
Paula Beer ihre Brüste ins Bild halten, und zu altbacken-thesenhaft das | |
Kunstverständnis, das der Film vor sich herträgt und von seinen | |
Protagonisten ausgiebig erörtern lässt. | |
## Theologisch beschlagen | |
Schön dafür, wie sich Schnabel von [3][van Goghs schwierigem Lebensweg] in | |
„At Eternity’s Gate“ für ausgiebige Spielereien mit der Kamera entscheid… | |
um den Blick seiner Figur, gegeben von Willem Dafoe, irgendwie halbwegs | |
einzufangen. Da kippt das Bild um neunzig Grad zur Seite, um van Goghs | |
plötzliche Inspiration durch seine ausgezogenen Stiefel erahnen zu lassen, | |
blickt von oben herab, wie van Gogh mit denselben angezogenen Stiefeln | |
durch die Felder und Wiesen um Arles streift, teilt den Fokus des Bilds in | |
scharfe und unscharfe Hälften. | |
Auch der Ton hat bei Schnabel einiges zu sagen, besonders um van Goghs | |
wiederkehrende „Stimmen“, die er hört, einzufangen. Oft mit schlichten | |
Wiederholungen oder mit leichten Verfremdungen wie Hall. Die Filmmusik | |
greift das auf, mit schlierenartigen Klavierakkorden bei durchgedrücktem | |
Hallpedal. Willem Dafoe meistert seinen Part würdig, ein Höhepunkt ist ein | |
Dialog mit einem Pastor (Mads Mikkelsen), in dem sich van Gogh als | |
theologisch beschlagener Gesprächspartner erweist. Definitiv der | |
überzeugendere Künstlerfilm des Wettbewerbs. | |
Auch Genrearbeiten außer Konkurrenz können beim Festival in Venedig | |
erfreuen. So nimmt sich S. Craig Zahlers „Dragged Across Concrete“ über | |
zwei Polizisten vor der Karrierekante (Mel Gibson und Vince Vaughn) viel | |
Ruhe zum Aufbau seines schlichten Plots. Seine Überraschungen lässt er mit | |
einiger Bösartigkeit in den Ablauf platzen, und auch unter | |
Repräsentationsgesichtspunkten zeigt er interessante Ansätze. Geradlinig, | |
mit der genau richtigen Anzahl von harten Kurven. | |
5 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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