# taz.de -- Film über Vincent Van Gogh: Mysteriös voraus | |
> Julian Schnabel liefert mit „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ e… | |
> Biopic des Hardcore-Pointillisten mit Starbesetzung. Das geht nicht gut. | |
Bild: Willem Dafoe und Mads Mikkelsen in „Van Gogh – An der Schwelle zur Ew… | |
Julian Schnabel lässt seine filmische Van-Gogh-Biografie „An der Schwelle | |
zur Ewigkeit“ mit Fakten enden, die keine sind: Ein seit zehn Jahren | |
umstrittenes Notizbuch mit Skizzen wird von vertrauenserweckend weißen | |
Texteinblendungen als letzte Enthüllung zum Werk des Künstlers erklärt. | |
Eine Verzerrung, die zu geradlinigen Ideen einer gelebten Realität ebenso | |
konträr steht, wie es der überschwängliche Stil des Malers zu den | |
dominierenden Betrachtungsweisen seiner Zeit tat. Alles passt zusammen, | |
denn auch dem Erzähler des Films ist nicht zu trauen: Willem Dafoe tritt | |
als van Gogh selbst auf, geplagt von Gedächtnislücken, Visionen, Echos und | |
Wahnvorstellungen. | |
Erst letztes Jahr war eine Van-Gogh-Verfilmung im Kino zu sehen: „Loving | |
Vincent“ war ambitioniert und ging als erster in Öl gemalter Animationsfilm | |
in die Geschichte ein. Fanatisch wurden Gemälde für die filmische Form | |
nachgestellt und weitergesponnen. Das Resultat behauptete aufwändig und | |
doch konservativ, van Goghs Sinnlichkeit könne im Kino keine andere | |
Entsprechung finden, als die der Imitation. Die Handschrift des Meisters | |
selbst sollte hier wieder aufleben und für das bewegte Sehen der Gegenwart | |
neu gedacht werden. Das Erzählen wiederum schien für den Film eher Beiwerk, | |
ebenso wie die Person des Malers selbst: Die Ereignisse setzten nach seinem | |
Tod ein, der Künstler erschien nur in Rückblenden. | |
Julian Schnabel, selbst stärker in der Malerei als im Kino verortet, | |
interessiert sich in seiner aktuellen Annäherung deutlicher für die | |
unmittelbar menschliche Seite des Mythos und dockt damit an die Mehrheit | |
der früheren Filme über van Gogh an. Das Gesicht seines Hauptdarstellers | |
Willem Dafoes wird zur Karte psychologischer Befindlichkeiten, seine Mimik | |
füllt refrainartig wiederkehrende Großaufnahmen. Er soll durch rasche | |
Stimmungswechsel einen Menschen skizzieren, der letztlich ungreifbar bleibt | |
und seiner Zeit auf mysteriöse Weise voraus war. | |
Die Kamera wird wieder und wieder aus der Hand geführt, surrt um die Köpfe | |
herum, schiebt sich in Gesprächen zwischen sie, blickt beim Gehen und | |
Rennen auf die Füße und verliert sich in den Gräsern. Und immer wieder | |
dringt sie bis in den Kopf des Künstlers vor, imitiert dessen Weltsicht, in | |
der das goldgelb der Sonne auf grobe Unschärfen trifft, die die Welt | |
zunehmend verwischen und entgleiten lassen. Schnabel will keine | |
Missverständnisse: Die Kamera schreit „Wahnsinn!“ Er presst die | |
Möglichkeiten des Gegenwartskinos stur in eine erfundene Vergangenheit. | |
Als könnte die Exzentrik der Kamera nur durch eine ausgleichende | |
Berechenbarkeit erkauft werden, bleiben die Geschichte und ihre Stimmungen | |
simpel und weichen wenig vom Erwartbaren Van-Gogh-Lexikon ab. Schnabel | |
basiert den Film auf Briefen und fasst Begegnungen zusammen, die belegt | |
sind – etwa das wiederholte Aufeinandertreffen van Goghs mit Paul Gaugin. | |
In Diskussionen dürfen beide Maler ihre Positionen zur Kunst darlegen, | |
damit der Film auch ein bisschen zum Nachdenken anregt. | |
Ein immerwährender musikalischer Brei holt dazwischen alles zurück auf | |
Mitte und trägt besonders dick auf, wenn der Künstler sich in der Natur | |
verirrt: Van Gogh war ein Visionär und hatte ein ach so gutes Herz, das | |
soll außer Frage stehen. Schnabel verspielt keine Gelegenheit, um in | |
breiten Pinselstrichen seine Faszination breitzutreten und ein Genie zu | |
konstruieren. Und dann wird selbst die Kamera ganz ruhig – wenn es darum | |
geht, dem Pinsel beim Malen zuzusehen. Bob Ross lässt grüßen. | |
Tatsächlich: Willem Dafoe lernte eigens Malen für den Film. Natürlich | |
klappte es bei so viel Fleißarbeit mit einer Oscarnominierung. Doch davon | |
abgesehen: In seinem Spiel tut er sein Möglichstes, zeichnet in den besten | |
Szenen eine sachte Verwundbarkeit und unentwegte Suche nach Vertrauen, | |
einen brüchigen feinen Mann mit groben Gesichtszügen und einer | |
unberechenbaren Klarheit. Er führt die Figur so weit es eben möglich ist, | |
während er gezwungen wird, sich in einem historisch deplatzierten | |
Amerikanisch zu unterhalten. Dass in der französischen Provinz des 19. | |
Jahrhunderts alle fließend Englisch sprechen, noch dazu mit französischem | |
Akzent, fühlt sich hier mindestens kulturimperialistisch, tendenziell | |
sarkastisch an. | |
Und dabei weniger freiheitlich als opportunistisch: Schnabel schien es | |
gleichermaßen um den Stoff wie um die Besetzung internationaler | |
Schauspielgrößen bis in die Nebenrollen zu gehen. So gibt sich Mads | |
Mikkelsen für ganze fünf Minuten die Ehre, Oscar Isaac mimt den Gaugin und | |
Matthieu Amalric darf kurz Modell stehen, während Dafoe wieder den Pinsel | |
schwingt. „An der Schwelle zur Ewigkeit“ feierte seine [1][Premiere im | |
Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig], die sich mit mittelmäßigen | |
Starvehikel-Filmen derzeit besonders deutlich an die Oscars anbiedern. In | |
zehn Jahren lieferte van Gogh übrigens mehr als 2.000 Bilder ab. In | |
Hollywood wäre das gut angekommen. | |
22 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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