# taz.de -- Kino-Drama über gelähmten Mann: Eingesperrt im eigenen Körper | |
> Filmemacher Julian Schnabel erzählt in "Schmetterling und Taucherglocke" | |
> die wahre Geschichte eines völlig gelähmten Mannes. Kein Stoff für's | |
> Kino? Von wegen. | |
Bild: Noch vor dem Schlaganfall: Bauby (gespielt von Mathieu Amalric). | |
Wie sieht das aus, wenn ein Mann aus der Bewusstlosigkeit erwacht, aber | |
keinen Körper mehr hat? Ein verschwommener Lichtfleck, ein letztes Fenster | |
zur Welt blieb Jean-Dominique Bauby nach einem schweren Schlaganfall. Der | |
Blick durch dieses eine Auge (das andere wird in der ersten Szene zugenäht) | |
reicht für den Maler und Filmemacher Julian Schnabel, um in "Schmetterling | |
und Taucherglocke" eine Welt heraufzubeschwören, die im Grunde reiner Geist | |
im Moment des Abschieds von seinen leiblichen Bedingungen ist. Ein Film | |
über das Sterben also, ein Film über den Film, der vor dem inneren Auge | |
angeblich in den letzten Momenten des Bewusstseins abläuft. | |
Jean-Dominique Bauby war ein erfolgreicher Journalist, Chefredakteur der | |
Elle, ein sinnenfroher Mann, dessen Leben alle Möglichkeiten bot, bis es | |
1995 jäh unterbrochen wurde. Nachdem er aus dem Koma erwacht war, blieb ihm | |
noch die Zeit, ein Buch zu schreiben über seine Erfahrungen - er | |
kommunizierte jeden einzelnen Buchstaben durch eine Bewegung des einen | |
Auges, das er noch kontrollieren konnte. Der Rest seines Körpers war | |
gelähmt, er war eingesperrt in sich selbst, reduziert auf seine | |
Erinnerungen und die äußerst eingeschränkte Kommunikation mit der | |
Außenwelt. | |
Kein Stoff für das Kino, scheint es auf den ersten Blick. Julian Schnabel | |
sah die Sache umgekehrt. Ein perfekter Stoff für das Kino, eine Befreiung | |
von den Fesseln des schnöden Alltags. Zwar werden in "Schmetterling und | |
Taucherglocke" auch die Bemühungen um eine Therapie des Patienten Bauby | |
erzählt - gelegentlich scheint es, als würde er kleine Fortschritte machen | |
und wenn schon nicht die Bewegungsfreiheit, so doch die Artikulation | |
bestimmter Silben zurückgewinnen. Aber das erweist sich als trügerische | |
Hoffnung, während das ganze Interesse des Films ohnehin jenem seltenen | |
Zustand gilt, der einen Mann dazu zwingt, seine Erinnerungen von einem | |
Punkt aus zu denken, an dem er ihnen fast nichts mehr hinzufügen kann. | |
Julian Schnabel geht es um ein Leben, das von der Imagination aufgezehrt | |
wird, um ein ablaufendes Schicksal, heroisch und in einem sehr weit | |
gefassten Sinn künstlerisch frei. Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) | |
beschwört in seinen Erinnerungen ein glückliches, vielleicht ein wenig | |
auffällig schnelles Leben herauf. Es gibt ein Mittagessen in "Schmetterling | |
und Taucherglocke" zu sehen, das so richtig dem Klischee vom Leben wie Gott | |
(männlich!) in Frankreich entspricht. | |
Dabei vermeidet Schnabel jede Andeutung einer moralischen Lektüre - dies | |
ist keine moderne Version des Dramas vom Jedermann, dem reichen Mann, der | |
sich an die Immanenz verloren hat und in letzter Sekunde für die | |
Transzendenz gerettet wurde. Transzendenz spielt hier nur insofern eine | |
Rolle, als das Bewusstsein grenzenlos ist und zugleich an den Körper | |
gebunden. Dies gilt nicht nur für Jean-Dominique Bauby, sondern für alle | |
Menschen. | |
"Schmetterling und Taucherglocke" wird damit zu einem nachreligiösen | |
Phänomen, in dem die alten Fragen des Glaubens noch einmal neu verhandelt | |
werden. Nicht zufällig ragt in der Gestalt von Max von Sydow, der den | |
hinfälligen Vater von Bauby spielt, das ältere Universum des fatalistischen | |
Protestanten Ingmar Bergman noch in die Welt des gern und mit einigem Recht | |
als "Renaissancemensch" bezeichneten Julian Schnabel. Auch ein Ausflug nach | |
Lourdes, den Bauby mit einer Gefährtin unternimmt, wird in der Rückschau zu | |
einem Wunder, in dem es nicht um die Heilung von einer Krankheit geht, | |
sondern die Feier des glücklichen Lebens. | |
Das Ich, hat Sigmund Freud einmal geschrieben, ist "ein kurzlebiges | |
Anhängsel an ein mit virtueller Unsterblichkeit begabtes Keimplasma". | |
Julian Schnabel kehrt diesen Satz um. Das Ich ist mit virtueller | |
Unsterblichkeit begabt, weil es Medien gefunden hat, durch die andere | |
Menschen in diese Perspektive eintreten können. Das Kino ist das mit | |
virtueller Unsterblichkeit begabte Kunstplasma, das es erlaubt, zugleich | |
die Erfahrung eines Schmetterling und eines Tauchers zu machen, und zwar | |
aus einer Perspektive, die das Kino den anderen Künsten voraus hat - denn | |
im Idealfall ist das Publikum hier ja tatsächlich "locked-in", es sollte | |
sich für die Dauer des Films kaum bewegen, sondern alles dem Auge und den | |
Ohren überlassen. "Schmetterling und Taucherglocke" ist also auch eine | |
große Allegorie auf das Medium. | |
26 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandel | |
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Filmrezension | |
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