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# taz.de -- Umstrittenes Geschichts-Projekt in Berlin: Erster Blick hinter die …
> Erstmals wurden Details zum „Mauerprojekt“ bekannt gegeben. Geschaffen
> werden soll eine künstlerische Parallelwelt – genehmigt ist sie noch
> nicht.
Bild: Noch steht nur ein Zaun in Mitte.
Stalinistisches Disneyland oder spektakulärstes Kunstprojekt seit Christos
Reichstagsverhüllung – kaum eine andere Kunstaktion der jüngeren
Vergangenheit gab derart Anlass für Kontroversen wie das „Dau-Projekt“ des
russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky. Ein Nachbau der Berliner Mauer
soll in Mitte errichtet, ein ganzes Areal dafür abgesperrt werden, um dort
das Ergebnis eines monumentalen Filmprojekts zu präsentieren – so viel war
bisher bekannt, darüber hinaus kursierten vor allem Gerüchte. Auf einer
Pressekonferenz am Dienstag erklärten Projektbeteiligte Details und die
Frage, was genau hinter der Mauer passieren wird.
Anwesend waren Thomas Oberender, Intendant der veranstaltenden Berliner
Festspiele, Dau-Produzentin Susanne Marian, der Regisseur Tom Tykwer,
dessen Produktionsfirma X-Films das Projekt unterstützt, und der
renommierte Kameramann Jürgen Jürges. Khrzhanovsky selbst war nicht vor
Ort.
Dieser wolle den Fokus nicht auf seine Person lenken, erklärte das Tykwer,
sondern auf möglichst viele Kollaborateure, die an dem Projekt beteiligt
sind. Und das sind bei dem mit dem Spitznamen des sowjetischen
Nobelpreisträgers und Atomwaffenforschers Lew Landau benannten Projekts
nicht wenige.
Die Kunstaktion in Mitte ist das Ergebnis des ursprünglichen Plans
Khrzhanovskys, einen Spielfilm über das illustre Leben Landaus zu drehen.
Das gigantische Set im ukrainischen Charkiw war dem geheimen sowjetischen
Forschungsinstitut nachempfunden, in dem Landau in Moskau von 1938 bis 1968
gearbeitet hatte.
Während der von 2008 bis 2011 andauernden Dreharbeiten lebten die
Darsteller rund um die Uhr im von der Außenwelt abgeschotteten „Institut“.
Sie verschmolzen mit ihren Rollen. Khrzhanovsky verwarf das Drehbuch und
filmte Alltagssituationen: „Sie lebten einfach und wir haben gedreht“,
erinnert sich Jürges, der zwei Jahre am Set gelebt hat. Entstanden sind 700
Stunden Filmmaterial, 13 Spielfilme und mehrere Serien. „Die Idee ist so
stark gewesen, dass sie den Rahmen des ursprünglich Geplanten gesprengt
hat“, so Oberender.
Die Entstehung des Filmmaterials an sich sei eine beispiellose Mischung aus
sozialem und künstlerischem Experiment, dem eine bloße Festival-Premiere
nicht gerecht werden würde. Deshalb entschied man sich für eine europaweite
Veranstaltungsreihe unter dem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“,
in deren Rahmen auch Premieren in Paris und London geplant sind. Die
Berliner Aktion bildet den Auftakt und setzt sich inhaltlich mit dem Thema
„Freiheit“ auseinander.
## Künstlerische Parallelwelten
„Die Frage ist, wie kann man dieses ganze Material erfahrbar machen?“,
fasst Produzentin Susanne Marian zusammen. Statt einer einfachen Premiere
sollen Erfahrungsräume geschaffen werden, die eine „Welt kreieren, die
außerhalb der Realität steht“.
Konkret bedeutet das: Vom 12. Oktober bis zum 9. November wird ein Areal
zwischen Bebelplatz und der Alten Kommandantur Unter den Linden mit einer 3
Meter 60 hohen Betonmauer abgesperrt. Neben Filmscreenings im
Kronprinzenpalais soll es innerhalb der Mauer Lesungen, Konzerte und
Performances geben, auch wissenschaftliche Konferenzen sind geplant.
Mittels Dekorationen und Lichtinstallationen soll der Eindruck einer
Parallelwelt erschaffen werden.
Die Veranstalter betonen explizit, dass diese Parallelwelt keine
Nachbildung der DDR oder der Sowjetunion werden wird: „Es nicht die Idee,
eine Disney-DDR zu errichten, es ist kein Re-Enactment“, so Oberender. Die
Mauer erfülle dabei die praktische Funktion, das Gebiet und die Besucher
räumlich zu isolieren.
Mit der Entscheidung, einen originalgetreuen Nachbau der Berliner Mauer
dafür zu verwenden statt eines einfachen Zauns, zielen die Veranstalter
bewusst auf eine Kontroverse, die zu einer Auseinandersetzung mit dem
Überthema „Freiheit“ führen soll.
## Visumspflicht und Smartphone-Verbot
Freiheitseinschränkungen für die Anwohner wird es hingegen nicht geben: Das
Alltagsleben soll hinter der Mauer ganz normal weitergehen und parallel zu
den Veranstaltungen laufen. Besucher müssen allerdings vorab ein Visum
beantragen. Die Preise liegen zwischen 15 Euro für ein zweistündiges
Besuchervisum und 45 Euro für ein Dauervisum.
Bei der „Einreise“ werden die Besucher aufgefordert, ihre Smartphones
abzugeben. Als Ersatz erhalten sie ein „Dau-Device“, ein Smartphone ohne
Netz, das per App Veranstaltungen auf dem Gelände anbietet, die der
Besucher annehmen oder ablehnen kann. Der Clou: Es können nur
Veranstaltungen besucht werden, die das eigene „Dau-Device“ vorschlägt. Das
soll veranschaulichen, wie moderne Technologie unser Leben bestimmt.
Fraglich ist, ob „Dau“ überhaupt stattfinden darf. Anträge werden in den
zuständigen Behörden noch geprüft. Oberender gibt sich mit Blick auf die
„hochqualitative Vorbereitung“ optimistisch. Läuft alles nach Plan, wird
die neue Mauer am 9. November, dem Jahrestag des Falls der Berliner Mauer,
in einer Performance wieder zerstört.
28 Aug 2018
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
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