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# taz.de -- Kolumne „Nachbarn“: Im Exil wiegt die Zeit schwer
> Unsere Kolumnistin lässt sich von anderen geflüchteten Syrer*innen deren
> Schicksal erzählten. Heute: Die Geschichte einer syrischen Mutter.
Bild: Jegliche Aktivität, die nicht im Sinne der regierenden syrischen Baath-P…
Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis zum heutigen Tag ist
jegliche gesellschaftliche, politische und kulturelle Aktivität, die nicht
im Sinne der regierenden syrischen Baath-Partei ist, untersagt.
Die einzige Möglichkeit etwas gegen die Diktatur zu unternehmen, bestand in
der Mitgliedschaft in einer politischen Partei des Untergrunds. Also
schloss ich mich wie viele andere, die an Demokratie und politische
Vielfalt glaubten, der Syrischen Kommunistischen Partei an.
Als die Sicherheitsdienste herausfanden, dass ich Mitglied einer bekannten
verbotenen Oppositionspartei war, veranlasste mein Bruder, seines Zeichens
Geheimdienstoffizier, mein Haus zu stürmen und mich vor den Augen meiner
beiden Kinder, die damals neun und fünf Jahre, festnehmen zu lassen.
Ich saß zwei Jahre im Gefängnis; die meiste Zeit davon im Keller einer
Geheimdienstzentrale, die mein eigener Bruder leitete. Besagter Bruder war
einer Gehirnwäsche unterzogen worden und zeigte keinen Anflug menschlichen
Mitgefühls. Er war imstande, seine eigene Schwester zu verhaften und zu
foltern, ja, sie notfalls sogar zu töten. All dies im Dienst seines
Führers.
## Die Zeiten haben sich geändert
Während meiner Haft durfte ich meine Kinder weder sehen noch nach ihnen
fragen. Nach meiner Entlassung fragte mich mein älterer Sohn enttäuscht:
„Mama, warum hast du uns im Stich gelassen, gerade als wir dich am
dringendsten brauchten?“ Ich musste meinem Sohn die Gründe für meine
Verhaftung erzählen. Ich wünschte mir damals das Ende der Diktatur und eine
bessere Zukunft für meine Kinder. Ich wollte endlich ein bisschen
Gerechtigkeit in meinem Land erleben.
Inzwischen sind meine beiden Söhne erwachsen und politisch aktiv. Sie
wollen verhindern, dass sich das Scheitern meiner Generation im Kampf gegen
die Diktatur wiederholt. Die Zeiten haben sich auch geändert und die
Diktatur ist in alle Lebensbereiche vorgedrungen.
2013 fühlte ich mich nach der Verhaftung meines Mannes und meines älteren
Sohnes gezwungen, mein Land zu verlassen. Ich ging mit meinem jüngsten Sohn
aus Syrien fort und kam nach Deutschland. Bis heute weiß ich nichts von
meinem inhaftierten Sohn und seinem Vater.
Ich bin jetzt fast sechzig Jahre alt, lebe im deutschen Exil und warte seit
mehr als fünf Jahren auf meinen Sohn und meinen Mann, die noch in syrischen
Gefängnissen sitzen. Aber ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt noch am
Leben sind.
## Der Traum nimmt kein Ende
Hier in Berlin vergeht die Zeit langsam und wiegt schwer. Das Gefühl des
Fremdseins ist mühsam und wird nur durch die Hoffnung auf Freilassung
meines Sohnes und meines Mannes gelindert. Ich wünsche mir eine Rückkehr
nach Syrien, das Ende des Kriegs, die Freilassung aller Gefangenen und die
Abschaffung der Diktatur.
Dies ist die Geschichte einer anderen syrischen Mutter. Es gibt viele
solche Geschichten und der Traum der Syrer von Freiheit und Gerechtigkeit
nimmt kein Ende.
Aus dem Arabischen: Mustafa Al-Slaiman
27 Aug 2018
## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
Nachbarn
Schwerpunkt Syrien
Krieg
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