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# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Berliner Regen macht mich traurig
> Im Arabischen steht Regen für ein Fest der Fruchtbarkeit und Liebe. Doch
> hier macht das Wetter melancholisch und lässt mich an Damaskus denken.
Bild: Wenn es in Berlin regnet, bleiben die Straßen häufig leerer als sonst
Es ist Dienstag und ich sitze ausnahmsweise allein zu Hause, ich bin krank.
Mein Schreibtisch steht neben der Balkontür, von dort blicke ich auf den
Balkon, der allen Jahreszeiten zu trotzen hat.
Die Äste der Bäume vor meinem Fenster sehen nass und müde aus. Einige
Blätter fallen zu Boden, der ihnen das ist, was mir die Fremde ist. Manche
ergeben sich dem Herbst und finden sich mit ihm ab, während andere an den
Bäumen hängen bleiben, als wollten sie sagen: Lieber am Baum „in den Armen
der Mutter“ vertrocknen, als in die Fremde hinunterfallen.Die Pflanzen in
den Blumentöpfen auf dem Balkon wehen im kalten Wind; vom Regen kleben ihre
Blätter aneinander. Es ist offensichtlich, dass sie nicht mehr lange
Widerstand leisten können. Vielleicht werden die armen Blätter bald
eingehen; womöglich sprießen sie im nächsten Jahr erneut, wenn ihre Wurzeln
noch intakt sind, keinen Frost abbekommen.
Einige Töpfe sind seit mehr als zwei Wochen leer, weil Saisonpflanzen
leider nur ein kurzes Leben beschieden ist; manchmal währt es nur wenige
Wochen und es gibt weder ein Mittel zur Lebensverlängerung noch eine
Möglichkeit zum erneuten Pflanzen dieser Gewächse. Eine kurze Stippvisite
im Leben, dann der Abschied in den ewigen Tod.
## „Heftiger und lustvoller“ Regen
Es macht mir Angst zu sehen, wie sich der Tod in seinen vielen Facetten in
unserem Alltag verbreitet. Während der Tod im Arabischen viele Synonyme
hat, sind die Synonyme für das Leben ziemlich rar. Ich weiß nicht, wie
dieser regnerische Tag mich an den Tod denken ließ, ist doch der Regen in
der arabischen Kultur ein Fest der Liebe und Fruchtbarkeit.
Meine noch in Damaskus lebende Freundin, die Schriftstellerin Rabab Helal,
postete vor zwei Tagen auf Facebook, dass es in Damaskus „heftig und
lustvoll“ regne. Sie schrieb weiter: „Es war wie eine Sintflut voller
Inbrunst und Liebe. Mein ganzer Körper bebte angesichts der Verliebtheit
und Leidenschaft des Regens. Das Wasser drang tief in die Erde ein, wusch
ihr den Staub der Angst vom Gesicht und dem ganzen Körper, bevor er
weiterzog. Zwei Tage lang flehten die Wolken den Regen an, er möge doch
wiederkommen, die Erde benässen, mit Liebe überfluten und den Staub
fortwaschen.“
Für mich hingegen stehen Kälte und Regen nach meinem vierten Winter in
Deutschland für seltsame Dinge. Wenn es in Berlin regnet, bin ich traurig
und suche nach Ablenkung. Wenn es in Berlin regnet, stimmt es mich
melancholisch, weil Erinnerungen hochkommen, die mich in Gedanken nach
Damaskus reisen lassen. Dies löst in mir Gefühle von Trauer und Einsamkeit
aus, gegen die ich mich nicht wehren kann. Ich beginne dann vergeblich mir
einzureden, dass ich ein Teil dieser Gesellschaft geworden bin. Denn ich
lebe ja schließlich hier. Alle Jahre wieder kommt er, der leichte Regen,
und zerstört meine Festung, die ich für regensicher hielt.
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman
28 Oct 2018
## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
Nachbarn
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