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# taz.de -- Optimismus bei Werder Bremen: Mit Elan ins Ungewisse
> Bei Werder herrscht zum Start der Fußball-Bundesliga Übermut: Dem Abstieg
> entronnen, wird nun von vielen die Europa League als Ziel genannt.
Bild: Haben sich gerade alle lieb: Werder-Spieler beim Testspiel gegen den FC V…
BREMEN taz | Wer sich in Bremen nur etwas für Bundesliga-Fußball
interessiert, kommt im Moment um einen Satz nicht herum: „Ich habe so einen
Bock auf diese Saison!“
Werder-Euphorie, wohin man hört. Kaum ist der HSV, der bei jedem Blick über
die Grasnarbe gleich wieder die Champions League ins Visier nahm, in die
Zweite Liga entschwunden, bewirbt sich das Werder-Umfeld um die Nachfolge
als Tönespucker der Liga. Befeuert von den Spielern, von denen sich fast
niemand mehr scheut, das Wort Europa League in den Mund zu nehmen.
Woher dieser Übermut bei einem Klub, der noch vor wenigen Monaten bangen
musste, den HSV auf dem Weg nach unten zu begleiten? Die Antwort darauf
könnte auch für die Bremer Parteien interessant sein, die von „Bock auf
Wahlkampf“ nur träumen können. Denn die liegt in diesem Fall tatsächlich
mal neben dem Platz. Die augenblickliche Stimmungslage in Fußball-Bremen
zeigt: Es genügt schon, einen mutigen Plan zu haben, überzeugend darüber zu
reden und eine Personalauswahl nach fachlichen Kriterien zu treffen, um
Euphorie zu erzeugen.
„Das wirklich Wichtigste ist ja, dass Werder – Achtung, grün-weiße
Metapher! – auch vom Kopf her gut riecht“, sagt der Schriftsteller Moritz
Rinke in „Mein Werder“ und meint das Dreigestirn Marco Bode
(Aufsichtsratschef), Frank Baumann (Sportchef) und Florian Kohfeldt
(Trainer). In diesem Führungstrio verfügt nicht nur jeder einzelne über
soziale Intelligenz weit über Bundesliga-Niveau – es arbeitet auch noch
vertrauensvoll zusammen. So hatten Bode und Baumann im Herbst 2017 den Mut,
das Trainertalent Kohfeldt gegen viel Skepsis aus der U23-Mannschaft ins
Profiteam zu befördern.
Kohfeldt überraschte die Bundesliga damit, seine Mannschaft nicht wie sonst
im Abstiegskampf üblich auf destruktiven Ergebnisfußball einzuschwören,
sondern eine offensive, kreative Spielidee zu propagieren. Diese erklärte
er den Spielern dann auch noch so verständlich, dass die Quadratur des
Kreises gelang: spielerischer Fortschritt bei gleichzeitiger Rettung in
gesicherte Tabellenregionen.
Werders neuer Stil gewinnt vor der Folie der vergangenen
Fußball-Weltmeisterschaft noch an Bedeutung: Ihm ist sowohl der
ballschiebende Überlegenheitshabitus spanischer und deutscher Herkunft als
auch das schlichte Underdog-Rezept aus langen Bällen und gewonnen
Zweikämpfen fremd. Er ähnelt eher dem abwechslungsreichen
Kombinationsfußball, den die WM-Lieblinge Belgien und Frankreich
zelebrierten.
Mit großer Konsequenz sucht sich Werders sportliche Leitung seit letztem
Winter das Personal für diesen Stil zusammen. Gefragt sind Individualisten
mit großem Drang zum Tor, wie sie das einförmige Nachwuchssystem in
Deutschland kaum noch hervorbringt. Milot Rashika, Martin Harnik und Yuya
Osako sind in der Lage, mit ihren Läufen und Dribblings Löcher in enge
Abwehrverbünde zu reißen, Davy Klaassen, mit 15 Millionen Euro Ablösesumme
der teuerste Werder-Einkauf aller Zeiten, kann sie richtig in Szene setzen.
Dazu machte Kohfeldt den Spieler mit dem größten Eigensinn zum Kapitän: Max
Kruse. Die Botschaft: Action statt Berechenbarkeit.
Als i-Tüpfelchen auf die mutigen Entscheidungen holten Baumann und Kohfeldt
noch zwei Legenden in ihren jeweiligen Wirkungskreis zurück. Ex-Trainer
Thomas Schaaf arbeitet jetzt als technischer Direktor an der
Trainerausbildung mit, der 39-jährige Rekordtorschütze Claudio Pizarro
firmiert als Edeljoker und Mentor der jungen Stürmer.
Zwei Alpha-Tiere und Fan-Lieblinge, die sich jetzt damit begnügen sollen,
aus zweiter oder dritter Reihe Tipps zu geben – kann das gut gehen? Es
zeugt jedenfalls von Souveränität und Führungsstärke, sich nicht von der
Angst leiten zu lassen, starke Persönlichkeiten könnten einem die Show
stehlen oder am eigenen Stuhl sägen.
Eine andere Frage ist, ob es auch die Eitelkeit eines Mannschaftskapitäns
verkraftet, wenn er selbst schon drei Tore geschossen hat, das Publikum
aber den alten Mann bejubelt, der nichts macht, als sich an der Außenlinie
warm zu laufen. Aber selbst solche Ungewissheiten tragen in Bremen im
Moment zur Vorfreude auf Samstag, 15.30 Uhr, bei.
24 Aug 2018
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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