# taz.de -- Frauenbewegung in Äthiopien: Die andere Hälfte | |
> Frauen spielen in der äthiopischen Politik traditionell keine Rolle. | |
> Studentinnen und Aktivistinnen wollen das nun ändern. | |
Bild: Äthiopien verändert sich: Straßenszene in Addis Abeba (Archivbild) | |
ADDIS ABEBA taz | „Komm bitte mit zur Toilette“, sagt die Dreißigjährige … | |
ihrem Freund. Als wäre es die normalste Sache der Welt, steht er auf und | |
geht mit. Sie drängen sich zwischen den Tischen der vollen Terrasse von | |
Mimis Restaurant im Zentrum der äthiopischen Hauptstadt hindurch. Die junge | |
Frau nennt sich eine Vollzeitfeministin. Warum bittet sie um männliche | |
Begleitung zur Toilette? | |
„Das erspart mir Hektik“, sagt die kleine Frau mit dem runden Gesicht, als | |
sie zu ihrem Habesha-Bier zurückkehrt. „Viele äthiopische Männer müssen | |
noch lernen, dass es nicht normal ist, obszöne Kommentare zu Frauen | |
abzugeben oder sie zu berühren.“ | |
Ihre meist männlichen Tischgenossen nicken. „Doch etwas ändert sich. Wie in | |
der Politik gibt es Reformen in der Gesellschaft. Immer mehr Männer | |
beginnen zu verstehen, dass Frauen gleich sind und so behandelt werden | |
müssen“, sagt Befeqadu Hailu. Der bärtige 38-jährige Blogger, der im | |
Gefängnis gesessen hat, fügt hinzu: „Ich bin Menschenrechtsaktivist, | |
Blogger und Feminist, weil ich für Gleichheit eintrete.“ | |
Die Emanzipation der Frauen hat begonnen. In Addis Abeba sitzen aber | |
hauptsächlich Männer auf den Caféterrassen. Frauen gehen in Gruppen aus in | |
der lebhaften Metropole, wo Autos, Fußgänger und Esel durch die Straßen | |
manövrieren. Die äthiopische Gesellschaft ist sehr konservativ, | |
insbesondere in ländlichen Gebieten gibt es keine Gleichheit zwischen | |
Männern und Frauen. | |
Erst vor zwei Jahren erfasste die Regierung erstmals das Ausmaß häuslicher | |
Gewalt. Etwa 35 Prozent der verheirateten Frauen in mehr als 16.000 | |
befragten Familien im ganzen Land berichteten, dass sie von ihren | |
Ehemännern sexuelle, emotionale oder körperliche Gewalt erlitten hätten. | |
Die meisten fanden diese Behandlung „normal“. | |
## Gelb als die Farbe der Hoffnung | |
Es sind vor allem junge, gut ausgebildete Frauen, die dagegen ankämpfen. Am | |
Anfang stand die „Yellow Movement“ an der Universität von Addis Abeba. Sie | |
wählten Gelb als die Farbe der Hoffnung. Ihre Bewegung war Teil der | |
Revolte, die in den letzten Jahren das repressive Äthiopien ergriffen hat – | |
mit dem Ergebnis eines politischen Frühlings unter dem neuen | |
reformorientierten Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. | |
„Die politischen Umwälzungen in Äthiopien sind vor allem der Arbeit junger | |
Demonstranten zu verdanken, die enormen Druck ausgeübt haben. Junge | |
Menschen haben ihre eigene Zukunft in die Hand genommen, und das schließt | |
den Kampf für die Rechte von Frauen ein“, erklärt Mhalet Tadesse. Die | |
20-jährige Jurastudentin im dritten Studienjahr hat sich bei einem | |
Softdrinkkiosk im Park gegenüber der Universität in einer großen blauen | |
Weste gegen die Morgenkälte eingekuschelt. „Das Jurastudium ist nützlich, | |
um Frauen zu helfen, wenn sie missbraucht werden oder ihre Rechte verletzt | |
werden“, erläutert sie und erzählt die Geschichte der „gelben Bewegung“. | |
Es begann vor sieben Jahren. Eine junge Dozentin wurde von einem männlichen | |
Kollegen betatscht. Eine Beschwerde bei der Universitätsleitung blieb | |
folgenlos. Erst als die Klage beim Bildungsministerium landete, wurde der | |
Mann degradiert: Er musste in ein kleineres Büro umziehen und bekam keine | |
Gehaltserhöhung für ein Jahr. Studentinnen und Lehrerinnen fanden das zu | |
wenig und riefen das „Yellow Movement“ ins Leben, um Opfer sexueller Gewalt | |
zu unterstützen. | |
Anfänglich wurden die Aktivistinnen in ihren gelben T-Shirts als | |
exzentrisch belächelt. „Inzwischen werden wir nicht nur ernst genommen, | |
sondern haben einen Platz an der Universität bekommen. Wir organisieren | |
Vorträge, Informationstage und andere Aktivitäten auf dem Campus“, sagt | |
Mariamawit Guebremedhin (20), ebenfalls Jurastudentin im Yellow Movement. | |
„Es gibt Studentinnen vom Land, die aufgeklärt werden müssen, weil dort | |
noch die Überzeugung herrscht, dass Frauen Menschen zweiter Klasse sind.“ | |
Guebremedhin dreht sich abrupt um und folgt mit ihren Augen einer jungen | |
Frau mit einem Laptop unter dem Arm und einer Schultertasche voller Bücher. | |
„Ein Rock über dem Knie! Die hat Mut.“ Sie ist nicht die Einzige, die die | |
Frau bemerkt hat. Eine Gruppe männlicher Schüler an einem Tisch dreht auch | |
die Köpfe. Nur wenige Äthiopierinnen wagen sich in kurze Röcke. Ältere | |
Frauen in der Stadt tragen oft die traditionellen langen weißen Kleider mit | |
bunten Stickereien. Junge Frauen scheinen Skinny Jeans zu bevorzugen, in | |
allen Farben und zu allen Anlässen – auch Guebremedhin und ihre | |
Kommilitonin Tadesse, die über die Frau im kurzen Rock den Kopf schüttelt: | |
„Weibliches Fleisch in der Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Diese Frau | |
trägt kaum einen Minirock.“ | |
## Mehr Frauen in Führungspositionen | |
Die Studentinnen fühlen sich gestärkt durch den 41-jährigen Reformpremier | |
Abiy. Er ernannte drei weibliche Kabinettsmitglieder, eine Frau wurde | |
Parlamentspräsidentin. Die Behörde, die für Äthiopiens Industrieparks | |
zuständig ist, wird seit Mai von einer 29-jährigen Ingenieurin geleitet. | |
Schöne Entwicklungen, sagt die Soziologin Sehin Teferra, Gründerin der | |
feministischen Bewegung Setaweet (Von der Frau). „Aber Frauen in diesem | |
Land, die Chancen erhalten, haben fast alle einen privilegierten | |
Hintergrund. Sie sind hochgebildet und kommen aus Familien, wo es bereits | |
Gleichstellung zwischen Söhnen und Töchtern gab.“ | |
Im Büro von Setaweet, mit Blick auf die Wohn- und Bürotürme von Addis | |
Abeba, stehen Stapel von Kisten mit Büchern in Amharisch, der Amtssprache | |
Äthiopiens. Es ist Literatur für Oberschüler, in der mit Karikaturen die | |
Emanzipation von Frauen erklärt wird. „Wo kann man besser anfangen als bei | |
der Jugend? Die Botschaft soll überall hinkommen. Außerhalb der Hauptstadt | |
wird nicht investiert in Mädchen. Diese Büchlein sind auch für Jungen | |
gedacht“, erklärt Yanet Assefa, die Büroverwalterin. „Wir stellen fest, | |
dass sexuelle Gewalt zunimmt. Der Grund ist unklar, aber es scheint mit der | |
Verstädterung verbunden zu sein. Auf jeden Fall handeln die Büchlein auch | |
davon.“ | |
Setaweet wurde bei der Gründung vor vier Jahren mit Argwohn betrachtet. Sie | |
galt als radikale Gruppe mit fremden Ideen, weil Gründerin Teferra ihre | |
Doktorarbeit über Emanzipation in London gemacht hatte. Heute ist Setaweet | |
gefragt. Ihre Vertreterinnen werden zu Podiumsdiskussionen eingeladen und | |
helfen bei Forschungen. | |
Teferra und ihre Kollegin Assefa tragen kurze Kleider. Sie lachen über die | |
Bemerkung, dass man über Miniröcke die Stirn runzelt. „Niemand diktiert | |
uns, was wir tragen können oder nicht!“ Teferras größter Wunsch für die | |
Zukunft ist, zu einem Treffen von Feministinnen in Addis Abeba zu gehen – | |
und dort niemanden zu erkennen. „Jetzt sind wir eine kleine Gruppe aktiver | |
Frauen, die sich alle kennen. Die Frauenbewegung muss schnell zu einer | |
mächtigen Masse wachsen. Genau wie die Masse der jungen Leute, die den Wind | |
der politischen Reformen entfacht hat.“ | |
25 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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