# taz.de -- Ausnahmezustand in Äthiopien: Politischer Sprengsatz für das Land | |
> Nach dem Rücktritt des Regierungschefs herrscht in Äthiopien der | |
> Ausnahmezustand. Ein politischer Machtkampf verschärft die Krise. | |
Bild: Freude nach der Entlassung des Oromo-Oppositionellen Bekele Gerba | |
Äthiopiens Ausnahmezustand hat es in sich. Alle Versammlungen sind | |
verboten. Polizei und Militär dürfen ohne richterliche Anordnung | |
Verhaftungen vornehmen und ohne Begründung Häuser durchsuchen und Güter | |
beschlagnahmen. Straßen dürfen gesperrt, öffentliche Dienstleistungen | |
ausgesetzt werden. Verboten sind Veröffentlichungen, die geeignet sind, | |
Unruhe oder Verdächtigungen zu verbreiten, sowie Symbole, die Gewalt | |
schüren könnten. | |
Kein Wunder, dass nach offiziellen Berichten das über 100 Millionen | |
Einwohner zählende Land total ruhig ist, seit am Freitag für zunächst sechs | |
Monate der Ausnahmezustand verhängt wurde. | |
Die drakonische Maßnahme folgt auf politische Wirren, die die | |
Regierungspartei EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen | |
Völker) an den Rand der Spaltung getrieben haben. Am Donnerstag hatte | |
Ministerpräsident Desalegn Hailemariam seinen Rücktritt erklärt und dies im | |
Staatsfernsehen mit „Unruhen und politischen Problemen“ begründet. Sein | |
Rücktritt sei „vital“, um Reformen zu ermöglichen, die zu „Frieden und | |
Demokratie“ führen würden, sagte er – eine elegante Weise, auf den Mangel | |
an Frieden und Demokratie im Land hinzuweisen. | |
Damit erreichte die Unruhe, die Äthiopien seit dem Beginn von | |
Massenprotesten gegen die Regierung vor rund zwei Jahren heimsucht, die | |
Staatsspitze. Die EPRDF, sagen Analysten, muss sich grundlegend umbauen, um | |
die Kontrolle über das Land nicht zu verlieren. | |
## Experiment des politischen Pluralismus gescheitert | |
Die EPRDF kämpfte sich 1991 in Äthiopien als Guerilla an die Macht – als | |
Allianz von Aufständischen gegen die Militärdiktatur von Mengistu Haile | |
Mariam. Rebellen des Tigray-Volkes aus dem Norden des Landes sowie aus dem | |
äthiopisch besetzten Eritrea kämpften gegen das Regime in Addis Abeba, das | |
ebenso wie das frühere, jahrtausendealte Kaiserreich vom kleinen | |
Hochlandvolk der Amharen getragen wurde. Kluge US-Diplomatie schmiedete | |
damals die Tigray- und Eritrea-Kämpfer mit Rebellen von Äthiopiens größter | |
Ethnie der Oromo in der EPRDF zusammen. Als Vierter kam eine Allianz | |
südäthiopischer Volksgruppen dazu. | |
Nach ihrem Sieg baute die EPRDF Äthiopien zum Bundesstaat um und regierte | |
als Parteienbündnis, mit ethnischen Teilstaaten und Mitgliedsparteien. | |
Eritrea durfte unabhängig werden. Aber danach, sagen Oppositionelle, | |
favorisierten die Tigray-Generäle um Ministerpräsident Meles Zenawi ihre | |
eigene Region, Oromos und Südäthiopier wurden ebenso wie Amharen | |
marginalisiert. | |
Ein Experiment des politischen Pluralismus führte 2005 zu Wahlsiegen neuer | |
Oppositionsparteien und wurde von der EPRDF-Regierung abrupt beendet. | |
Äthiopien weist unter der EPRDF das höchste Wirtschaftswachstum ganz | |
Afrikas in diesem Jahrhundert auf, aber der Staat wurde immer autoritärer. | |
Proteste gegen Landraub und Vertreibung im Zuge der Wirtschaftsentwicklung | |
führten 2016 zu schweren Unruhen mit Hunderten Toten. Das Neue: Explizit | |
verbündeten sich Oppositionelle von Oromo und Amharen gegen die | |
Tigray-Elite – ein Sprengsatz für ein Land, das ohnehin die Abspaltung | |
Eritreas nie verwunden hat. | |
## Die kraftlose Marionette Desalegn hat abgedankt | |
Ministerpräsident Desalegn ist dagegen ziemlich machtlos gewesen. 2012 nach | |
dem Tod seines mächtigen Vorgängers Meles an die Spitze der Regierung | |
gehievt, war er eine Kompromisslösung: Als Führer der südäthiopischen | |
Teilpartei der EPRDF war er weder Tigreer noch Oromo. Aber sein Image als | |
kraftlose Marionette der Parteispitze konnte er nie abschütteln. Als er im | |
Januar öffentlich die Freilassung aller politischen Gefangenen ankündigte, | |
wurde ihm aus der Regierung öffentlich widersprochen – ein unerhörter | |
Vorgang. | |
Immerhin kamen wichtige Oppositionsführer frei, und Berichten zufolge ist | |
als neuer Ministerpräsident ein Oromo im Gespräch – die Tigray-Generäle, so | |
heißt es, suchen wieder das direkte Bündnis mit Politikern der größten und | |
aufsässigsten Ethnie, die auch in der Hauptstadt die Bevölkerungsmehrheit | |
stellt. Für diese Version spricht, dass erst vor Kurzem das Staatsfernsehen | |
Oromo-Protesten unüblich breiten Raum einräumte. Seit der Verhängung des | |
Ausnahmezustands wurden Unruhen nur noch aus der Amhara-Stadt Gondar | |
gemeldet. | |
Ausländische Regierungen haben den Ausnahmezustand kritisiert. Am Dienstag | |
bestellte die Regierung sämtliche in Addis Abeba akkreditierten Diplomaten | |
ein und erklärte ihnen den offiziellen Berichten zufolge, die Maßnahme sei | |
nötig, um den Frieden und die Verfassung zu schützen. Die Diplomaten hätten | |
der Notwendigkeit, dies zu tun, zugestimmt. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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