| # taz.de -- Gefangenenfreilassung in Äthiopien: Ein kleiner Hoffnungsschimmer | |
| > Äthiopien erkennt die Existenz von politischen Häftlingen an und will sie | |
| > freilassen. Eine Folteranstalt soll zum Museum werden. Wie kann das sein? | |
| Bild: Marsch in Bishoftu zum Jahrestag des Massakers an den Oromo, 1. Oktober 2… | |
| NAIROBI taz | „Erst sehen, dann glauben“, reagiert Soliana Shimeles auf die | |
| Ankündigung, dass Äthiopien alle politischen Gefangenen freilassen wird. | |
| Die äthiopische Bloggerin gehört zur Gruppe Zone9, die unabhängige | |
| Meinungen über die Lage im Land publiziert. Viele ihrer Mitglieder haben | |
| dafür mit Gefängnis bezahlt. Shimeles selbst floh ins Ausland. | |
| Wie viele Dissidenten ist sie überrascht über die Ankündigung von | |
| Premierminister Hailemariam Desalegn vom Mittwoch. „Aber es gibt noch viel | |
| Unklarheit“, meint Shimeles. „Wann soll das geschehen? Wie viele kommen | |
| frei und wer?“ Keiner weiß genau, wie viele politische Gefangen es in | |
| Äthiopien gibt und wo sie alle sind. Von manchen hat man schon seit Jahren | |
| nichts mehr gehört. | |
| Zwar ließ die Regierung voriges Jahr schon Tausende von Gefangenen frei, | |
| die nach den schweren Unruhen vom vergangenen Sommer inhaftiert worden | |
| waren, aber noch nie haben die Behörden dabei von politischen Gefangenen | |
| gesprochen, wie es der Premierminister jetzt getan hat. | |
| Oppositionspolitiker, Journalisten und andere Dissidenten wurden meistens | |
| wegen Terrorismus verurteilt. | |
| Nicht jeder in der Regierung ist anscheinend einverstanden mit Desalegns | |
| Wortwahl. Regierungssprecher Zadiq Abraha sagte: „Es gibt keine politischem | |
| Gefangenen. Aber manche Mitglieder von politischen Parteien und andere | |
| Individuen werden wegen Verbrechen verdächtigt.“ | |
| Einer der bekanntesten politischen Häftlinge in Äthiopien ist Bekele Ger, | |
| Vizevorsitzender der OFC (Oromo Federal Congres), eine Partei der größten | |
| ethnischen Gruppe im Land. Obwohl Äthiopien offiziell ein | |
| Mehrparteiensystem hat, hält die Opposition im Parlament keinen einzigen | |
| Sitz. Vertreten sind ausschließlich die seit 1991 regierende ehemalige | |
| Befreiungsallianz EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen | |
| Völker) und ihre Verbündeten. Auch als politische Häftlinge bekannt sind | |
| zwei Journalisten, Eskinder Nega und Woubshet Taye, die schon seit 2011 ihr | |
| Leben im Gefängnis verbringen. | |
| Sehr bemerkenswert ist auch das Versprechen von Desalegn, das | |
| Zentralgefängnis der Hauptstadt Addis Abeba zu schließen. Bekannt als | |
| Maekelawi (Zentral), liegt die Haftanstalt im Stadtzentrum,eingeklemmt | |
| zwischen einem Hotel und einer Kathedrale, und besorgt jedem im Land | |
| Gänsehaut. Politische Gefangene werden dort verhört und oft auch gefoltert. | |
| Die Zusage von Desalegn, dass aus Maekelawi ein Museum gemacht werden soll, | |
| hört sich an wie ein Schuldbekenntnis der Regierung. | |
| Der Premier hofft, eine nationale Versöhnung zu erreichen. Die | |
| überraschenden Bekanntmachungen kommen nach langen Sitzungen der | |
| Führungsgremien der Regierungspartei und nach Jahren von gewalttätigen und | |
| oft tödlichen Protesten der Bevölkerung. Hunderte von Menschen starben im | |
| Jahr 2016 in den schwersten Unruhen seit die Regierung 1991 an der Macht | |
| kam. Es ging um Landraub, Unterdrückung durch die Regierung und | |
| Auseinandersetzungen zwischen den zehn ethnischen Gruppen – Schattenseiten | |
| des äthiopischen Wirtschaftswunders, das sich seit der Jahrtausendwende mit | |
| jährlichen Wachstumsraten von rund 10 Prozent bemerkbar macht. Riesige | |
| Infrastruktur- und Investitionsprojekte wurden durchgeführt und oft wurden | |
| dafür Menschen verjagt, weil ihr Land für neue Betriebe, Staudämme und | |
| Eisenbahnstrecken gebraucht wurde. | |
| ## Die Macht liegt bei den Sicherheitsbehörden | |
| Nicht nur wurden viele Äthiopier so in den letzten Jahren aus ihren Häusern | |
| vertrieben – sie spürten auch kaum etwas vom Wirtschaftswunder. Noch immer | |
| sind rund 6 der über 100 Millionen Äthiopier jedes Jahr auf | |
| Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Vor allem die Volksgruppen der Oromo und | |
| Amhara, die zwei größten Ethnien im Land mit zusammen mehr als 60 Prozent | |
| der Bevölkerung, leisten den stärksten Widerstand. Sie haben sowieso großen | |
| Groll auf die Regierung, die von der ethnischen Gruppe der Tigray und deren | |
| ehemaligen Guerillaführern kontrolliert und dominiert wird – obwohl die | |
| Tigray nur 6 Prozent der Bevölkerung ausmachen. | |
| Die Frage ist, ob Äthiopien mit der angekündigten Freilassung politischer | |
| Häftlinge jetzt die ersten wichtigen Schritte getan hat in Richtung einer | |
| Demokratisierung. Schließlich ist Premier Desalegn, der erst 2012 nach dem | |
| Tod seines mächtigen und langjährigen Vorgängers Meles Zenawi an die Macht | |
| kam, kein Tigrayer, sondern gehört einer südäthiopischen Ethnie an. | |
| Politiker wie Desalegn sind nicht die wirkliche Macht im Land. Die liegt | |
| bei den Sicherheitsbehörden. Und sind die bereit, ihre unbegrenzte Macht zu | |
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| 4 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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