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# taz.de -- Gewalt gegen Obdachlose in Deutschland: Die empathielose Gesellscha…
> In Berlin wurden zwei Obdachlose im Schlaf angezündet. Sie überlebten
> schwer verletzt. Solche Taten sind nur der Gipfel struktureller Gewalt.
Bild: Mahnwache für die schwer verletzten Obdachlosen am Montagabend in Berlin…
Berlin taz | „Sauberkeit macht glücklich“ steht auf dem handgemalten Plakat
an einem Bauzaun vor dem Berliner S-Bahnhof Schöneweide. Zehn Meter weiter
wurden am späten Sonntagabend zwei schlafende Obdachlose von einem
Unbekannten [1][mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und
angezündet]. Schwer verletzt befinden sie sich in stationärer Behandlung.
Sie wohnten hier auf der Straße, an diesem wenig glücklichen Ort, an dem
sich die lokale Trinkerszene trifft und Wohnungs- und Obdachlose
gelegentlich ihr Lager aufschlagen. Offensichtlich verstört nehmen die noch
die Solidaritätsbekundungen bei einer Mahnwache am folgenden Abend zur
Kenntnis. Der Schock über die unfassbar menschenverachtende Tat sitzt tief.
Niemand kann seelisch darauf vorbereitet sein, gezielt einem derart
abscheulichen Angriff ausgesetzt zu sein, auch Obdachlose nicht, für die
Gewalterfahrungen Alltag sind. Über die innere Verfasstheit von Menschen,
die Wehrlosen derart grausame Gewalt antun, mag man nicht spekulieren. Ganz
offensichtlich entmenschlichen die Täter sich selbst, die Diskussion über
Motive, psychische Konditionierung und Resozialisierungsaussichten kann man
getrost den Justizbehörden überlassen. Eine demokratische und sozial
verantwortliche Gesellschaft kommt jedoch nicht daran vorbei, sich mit dem
Skandal auseinanderzusetzen, dass es überhaupt Wohnungslosigkeit gibt und
wie schutzlos Menschen, die auf der Straße leben, Verbrechen ausgeliefert
sind.
Zu den Schwächsten der Gesellschaft gehörend, an den Rand und außer Sicht
gedrängt, sind sie leichtes Ziel für jede Form der Viktimisierung. Das
beginnt bei allgemeiner Ignoranz, der alltäglichen Zurückweisung und
Vertreibung durch die Mehrheitsgesellschaft, die in ihrer beiläufigen
Brutalität den Boden für weitaus Schlimmeres bereiten. Nicht hinzuschauen
ist ein verständlicher Reflex, geboren aus Hilflosigkeit, mehr oder weniger
bewussten Schuldgefühlen, Ekel sogar. Nicht konfrontiert sein zu wollen mit
dem Elend anderer ist Selbstschutz, Selbstschutz aber unter Preisgabe von
Humanität.
## Leichtes Ziel für Straftäter
Elend wird verwaltet, das Hilfenetz gerade so dicht gespannt, dass die
Störung des bürgerlichen Regelbetriebes durch die Ausgestoßenen in einem
akzeptierten Rahmen verbleibt. Am unteren Ende der sozialen Leiter wird der
Platz derweil immer enger, seit Jahren steigt die Zahl der Wohnungslosen.
Der größte Teil von ihnen kann noch in Hilfeeinrichtungen untergebracht
werden, aber auch jene, die auf der Straße landen, werden mehr – und damit
steigt die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf sie.
Überdurchschnittlich oft werden Obdachlose Opfer von Raub, Körperverletzung
und Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Nicht selten kommen die
Täter aus demselben Milieu. Das sprichwörtlich harte Pflaster, auf dem
Menschen mitten unter uns leben, nimmt oft auch den Betroffenen selbst die
Empathie, die der Rest der Gesellschaft ihnen schon lange nicht mehr
entgegenbringt.
Genauso werden jene, die auf der Straße leben müssen, immer wieder Opfer
von Hassverbrechen. In der Liste der [2][von Rechtsradikalen Getöteten
findet sich eine Vielzahl Obdachloser], an denen Neonazis ihr
Herrenmenschentum auslebten.
Die Lebensrealität der Opfer rückt nach diesen schweren Gewaltverbrechen
für einen Moment in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Sommerloch vielleicht
noch etwas prominenter als sonst. Was danach bleibt, ist der Skandal der
Wohnungslosigkeit, der Menschen soziale Absicherung, Teilhabe und Respekt
nimmt.
Gewiss, auch wenn es keine Zwangsräumungen und keinen Mietwucher mehr gibt,
selbst wenn die Hilfesysteme für Menschen in Notlagen mit allen nötigen
Mitteln ausgestattet sind, wird es jene geben, die sich nicht in unseren
kleinen sauberen und glücklichen Garten Eden eingliedern lassen wollen oder
können. Einer Sache sollten sie sich in dieser utopischen Zukunft wie auch
schon heute sicher sein können: Niemand wird ihnen Hass und Verachtung
entgegenbringen, niemand wird ihnen Gewalt antun, niemand sie in ihrem
Schlaf ermorden wollen. Das ist das Mindeste und zwar immer.
24 Jul 2018
## LINKS
[1] /Anschlag-auf-Obdachlose-in-Berlin/!5519575
[2] /Kommentar-Angriff-auf-Obdachlosen/!5369896
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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