# taz.de -- Reaktionen auf NSU-Prozess im Ausland: „Rechtsextreme Untergrundk… | |
> Die türkischen, französischen und britischen Medien kritisieren den | |
> NSU-Prozess und das Urteil. Manche Reaktionen sind boulevardesk, andere | |
> gehen in die Tiefe. | |
Bild: Nach dem Urteil im NSU-Prozess gab es unter anderem in München Demonstra… | |
ISTANBUL/PARIS/DUBLIN taz | „[1][Das Urteil im NSU-Prozess] bringt keine | |
Gerechtigkeit“ titelte am Mittwoch die Website der englischsprachigen | |
regierungsnahen Zeitung Daily Sabah. Damit fasst das Blatt die Kritik der | |
türkischen Regierung zusammen, die das Außenministerium verbreitete. Darin | |
heißt es, das Gericht habe es versäumt, dass volle [2][Ausmaß der Mordserie | |
zu untersuchen und die Hintergründe aufzuklären]. Insbesondere die | |
Verwicklung des „tiefen Staates“ – in der Türkei eine Beschreibung für … | |
Mischung von Geheimdiensten, Bürokraten und Nationalisten, die im | |
Hintergrund die Fäden ziehen – sei nicht berücksichtigt worden. | |
Gemeint ist die mögliche Verwicklung des Verfassungsschutzes in die | |
Mordserie. Damit blieben die wirklichen Kriminellen weiterhin im Dunkeln. | |
Das Urteil werde deshalb dem Gerechtigkeitsempfinden weder gerecht noch | |
liefere es der Öffentlichkeit Vertrauen in staatliches Handeln. | |
Das Außenministerium erinnert noch einmal daran, dass [3][die Familien der | |
Opfer] schon während der Ermittlungen diskriminiert wurden und diese | |
Diskriminierung bis heute nicht überwunden hätten. Die türkische Regierung | |
kündigte an, dass sie weiterhin beobachten wird, ob die deutschen Behörden | |
die Ermittlungen in Sachen NSU fortsetzen werden, um mögliche weitere | |
Mittäter zu ermitteln. | |
Weiterhin fordert das türkische Außenministerium, wie bereits in früheren | |
Stellungnahmen, angesichts des wachsenden Rassismus und zunehmender | |
Fremdenfeindlichkeit in Deutschland einen verantwortlichen Umgang von | |
Politikern und Medien mit dem Thema statt populistische Reflexe zu | |
bedienen. Türkische Politiker und Medien haben den gesamten NSU-Komplex | |
über Jahre immer wieder kommentiert und Versäumnisse in der Aufklärung | |
bemängelt. Außerdem diente der deutsche Umgang mit der Mordserie des NSU | |
der türkischen Regierung auch immer wieder als Gegenargument, wenn die | |
deutsche Regierung oder die deutsche Öffentlichkeit | |
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei kritisierten. | |
## Frankreich: „Bitterer Nachgeschmack“ | |
Die meisten französischen Medien haben das Urteil im NSU-Prozess zwar | |
gemeldet. Nur wenige Zeitungen und Online-Dienste haben dem Thema aber | |
eigene Berichte gewidmet. Die Tageszeitung Libération veröffentlichte den | |
Bericht einer Korrespondentin, die schreibt: „Am Ende hat dieser | |
NSU-Prozess mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten zu liefern bezüglich der | |
Morde gegen die türkische Gemeinschaft in Deutschland. Er belegt die Furcht | |
vor gewaltsamen und heimlichen Neonazi-Kreisen mit internationalen | |
Verbindungen, die weit über das Trio Zschäpe-Mundlos-Böhnhardt hinaus | |
reichen. Die fünf Jahre Prozess haben nur eines ermöglicht: Die | |
Rehabilitierung der grundlos des Mordes an Angehörigen verdächtigten | |
Familie.“ Auch Le Figaro ist der Ansicht, nach diesem Prozess, der „einen | |
bitteren Geschmack des Unfertigen hinterlässt“, bleibe vieles noch unklar. | |
Wenn auch nicht alle Zeitungen eigene Korrespondenten-Berichte publizieren | |
– so reicht das Interesse an dem Prozess doch bis in die Karibik, wo | |
beispielsweise das Nachrichtenportal „martinique.fr“ ausführlich über das | |
Urteil berichtet hat. Der gemeinsame Online-Dienst der öffentlichen | |
Rundfunk- und Fernsehsender „francetvinfo.fr“ unterstreicht, dass diese für | |
Deutschland schockierende Affäre „ein grausames Licht auf die Mängel und | |
Unterlassungen der Inlandsnachrichtendienste geworfen hat und die | |
unterschätzte Gefahr dieser rechtsextremen Netzwerke in Deutschland | |
verdeutlicht“. Es sei auch „peinlich“ für die Bundesregierung, dass „d… | |
mutmaßlichen Mörder während so langer Jahre völlig unbehelligt agieren | |
konnten“. | |
Großbritannien und Irland: „Bonnie und Clyde und Clyde“ | |
Auf die britischen Boulevardblätter ist Verlass. „Nazi-Braut als Teil einer | |
Bande, die ausländische Opfer in Deutschland abschlachtete, SCHULDIG des | |
Mordes“, titelte der Mirror. Die Sun schrieb in großen Buchstaben über | |
„Hitlers Braut“. Der Independent, der nur noch online erscheint, wunderte | |
sich, dass Beate Zschäpe eher wie eine „adrette Fachkraft als wie ein | |
Nazi-Monster“ aussehe. | |
Lediglich der Guardian geht kritischer mit dem Prozess und vor allem mit | |
der Berichterstattung in den deutschen Medien um. „Statt zu untersuchen, | |
warum die rechtsextremen Mörder so lange unentdeckt blieben“, heißt es, | |
„berichteten die meisten deutschen Medien reißerisch über den NSU und | |
insistierten, dass er nur aus drei Personen bestand, allen voran der | |
Spiegel, der mit einer Geschichte über die ‚eiskalte Präzision‘ der | |
‚Braunen Armee-Fraktion‘ aufmachte.“ | |
Für die Medien seien es Bonnie und Clyde und Clyde gewesen – mit | |
schlüpfrigen Anspielungen auf eine Ménage-à-trois, schreibt der Guardian. | |
Die Bedeutung des Gerichtsverfahrens sei aber viel größer als das, was | |
Zschäpe über die Mordserie wusste oder nicht. Deutschlands | |
Selbstverständnis habe vor Gericht gestanden: „Was die Staatsanwaltschaft | |
herausgefunden hat, deutet darauf hin, dass Deutschland – eine Nation, die | |
darauf stolz ist, die dunklen Winkel seiner Vergangenheit gewissenhaft | |
konfrontiert zu haben – eine blühende rechtsextreme Untergrundkultur | |
unangetastet gelassen hat.“ | |
Die AfD sei nur das neueste Symptom für [4][eine weit verbreitete | |
Feindseligkeit gegen den liberalen Nachkriegskonsens]. „Dunkle Strömungen | |
der Unzufriedenheit werden im Internet öffentlich zur Schau gestellt – und | |
an Zeitungskiosken sowie im Fernsehen, wo rechte Argumente zunehmend Gehör | |
finden“, heißt es in dem Blatt. | |
Derek Scally schreibt in der Irish Times, dass Deutschland das System | |
überdenken müsse, wie Verbrechen bekämpft werden. Man müsste vielleicht | |
„die 70 Jahre alten föderalen Strukturen in Deutschland verändern, da sie | |
die Macht zwischen der Bundesregierung in Berlin und den 16 Bundesländern | |
aufteilen“. | |
12 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
Ralf Sotscheck | |
Rudolf Balmer | |
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