| # taz.de -- Geschichtsschreibung bei Kühne+Nagel: Des Patriarchen alternative … | |
| > Der Mehrheitsaktionär des Logistikers Kühne+Nagel nennt die Kritik am | |
| > Umgang mit der NS-Geschichte des Unternehmens „verzerrt“. Eine | |
| > Erwiderung. | |
| Bild: Ist es Pippi L. oder Klaus-Michael-Kühne? Beide machen sich die Welt, wi… | |
| Bremen taz | Klaus-Michael Kühne ist nicht zu beneiden. Erst steigt der von | |
| ihm persönlich gesponserte HSV ab, wo man seine taktischen und personellen | |
| Ratschläge nicht ausreichend berücksichtigen wollte. [1][Und jetzt erwähnt | |
| der Bremer Weser-Kurier auch noch die NS-Vergangenheit von Kühnes | |
| Logistikkonzern]. Zwar nur in zwei Absätzen eines ganzseitigen Interviews, | |
| aber früher und für lange Zeit hätte – und hatte – es solche Fragen nicht | |
| gegeben. | |
| Kühne ist tatsächlich – und ganz im Ernst – nicht zu beneiden. Als Erbe | |
| einer strengen Unternehmer-Dynastie, in der der Erfolg von Firma und | |
| Familie als eins betrachtet wird, ist es nicht einfach, kritische Distanz | |
| zur Vorgängergeneration zu entwickeln. Viel leichter ist es für einen | |
| modernen Aufsichtsratsvorsitzenden, das Geschäftsgebaren seiner | |
| Vorvorvorgänger in der NS-Zeit erforschen zu lassen. Das Handeln des | |
| eigenen Vaters und Onkels der Bewertung von externen Experten anheim zu | |
| stellen, ist eine substanziell komplexere Situation. Dennoch ist es | |
| inakzeptabel, dass Kühne, wie jetzt wieder, die historische Rolle seiner | |
| Firma weiterhin relativiert und sich als Opfer einer „verzerrten | |
| Darstellung“ geriert. | |
| Zur Erinnerung: Kühne + Nagel bemühte sich erfolgreich um eine [2][zentrale | |
| Rolle] beim Abtransport jüdischen Eigentums zur weiteren „Verwertung“. Die | |
| Internationalisierung der Firma erfolgte in den Fußstapfen der Wehrmacht. | |
| Das Netz von Niederlassungen in den eroberten Ländern diente als | |
| logistische Grundlage der Beraubung, parallel entwickelte das Unternehmen | |
| das Geschäftsfeld der Militärlogistik – in dem es bis heute eine führende | |
| Rolle spielt. Mit anderen Worten: Kühne + Nagel verdankt seinem Engagement | |
| in der NS-Zeit bis heute wesentliche Entwicklungsimpulse. | |
| Bemerkenswert ist zunächst Kühnes zeitliche Zuordnung: Wann eine | |
| historische Aufarbeitung der Firmengeschichte angemessen gewesen wäre? „Ich | |
| hätte“, sagt er im Interview, „dafür Verständnis gehabt, wenn man sich n… | |
| dem Krieg damit befasst hätte, in den 50er-, 60er- Jahren“ – nicht aber, | |
| „nachdem so viel Zeit vergangen war“. Da habe er es „überraschend“ | |
| gefunden, „dass dieses Thema wieder auf den Tisch kam“. | |
| Wer nicht nicht über das Wort „wieder“ stolpert, mag das plausibel finden. | |
| Aber will Kühne ernsthaft behaupten, Historiker, die sich in den | |
| 50er-Jahren für die Firmengeschichte interessiert hätten, hätten etwas | |
| anderes erhalten als die harschen Dreizeiler, mit denen Kühne + Nagel | |
| heutzutage auf fachliche Anfragen reagiert? Die Kühnes taten „nach dem | |
| Krieg“ alles andere, als sich um moralische Aspekte von NS-Profiten zu | |
| kümmern: Mit umfangreichen Eingaben und anwaltlicher Unterstützung setzten | |
| Alfred und Werner Kühne alles daran, als „nur nominelle Parteimitglieder“ | |
| durchzugehen – womit sie letztlich Erfolg hatten. | |
| ## Aktivisten und Nutznießer | |
| Dass sie bereits am 1. Mai 1933 Aufnahmeanträge stellten, dass sie eine | |
| Werksbibliothek voller Nazi-Literatur einrichteten, dass ihre Firma 1937 | |
| mit dem kurz zuvor eingeführten „Gau-Diplom“ als „nationalsozialistischer | |
| Musterbetrieb“ ausgezeichnet wurde, eine Auszeichnung, die Kühne + Nagel ab | |
| Kriegsbeginn 1939 jährlich erhielt: Wegen all dieser Fakten hatte der | |
| zuständige Prüfungsausschuss Werner Kühne, der selbst auf „unbelastet“ | |
| plädiert hatte, zunächst als „Aktivisten und Nutznießer“ klassifiziert. … | |
| „Aktivist“ galt, „wer durch seine Stellung oder Tätigkeit die | |
| nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert hat“ – die | |
| zweithöchste Belastungskategorie. | |
| Warum durften die Kühnes zum 1. Juli 1948 dennoch wieder die | |
| Geschäftsführung übernehmen? Im Bremer Staatsarchiv liegt ein als „TOP | |
| SECRET“ gekennzeichnetes Dokument vom 17. Februar 1948: Die in Herford | |
| stationierte „HQ Intelligence Division“ schrieb an das Bremer | |
| Entnazifierungskomitee: „It is considered vital for operations which are | |
| already on hand, that Mr. Alfred KUHNE be denazified in such a category so | |
| that he is able to retain his business.“ | |
| Diese als von vitaler Wichtigkeit bezeichneten „operations“, wegen derer | |
| Kühne die Rückkehr in seine Firma zu ermöglichen sei, waren | |
| geheimdienstlicher Natur. Es ging um die Arbeit der von den US-Behörden | |
| gegründeten „Organisation Gehlen“. Diese mit NS-Spezialisten gespickte | |
| Vorgängerinstitution des Bundesnachrichtendienstes wollte die | |
| Niederlassungen des Logistikkonzerns in Bonn, Bremen und München zur | |
| Tarnung wichtiger Mitarbeiter nutzen. Offenbar zugunsten dieses Deals | |
| wurden beide Firmenchefs vom Entnazifizierungskomitee letztlich zu bloßen | |
| „Mitläufern“ herabgestuft. | |
| Zurück zu der Frage, wie die Kühnes mit ihren NS-Profiten umgingen: In den | |
| Entnazifizierungsakten finden sich neben Dokumenten über erhebliche | |
| Gehaltssprünge auch mehrere Auflistungen von Immobilien, die die Kühnes bis | |
| kurz vor dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ unter anderem in Lübeck, | |
| Leipzig und Hamburg erwarben; noch im März 1945 in Hamburg-Blankenese. | |
| Privat residierte ein Teil der Familie ab 1938 in einem feudalen | |
| „arisierten“ Anwesen, der Villa Lichtensee in Hoisdorf bei Hamburg. Zuvor | |
| hatte es den Erben des bekannten jüdischen Industriellen Hugo Hartig | |
| gehört. Welches „Verständnis“, um wiederum Klaus-Michael Kühne zu zitier… | |
| zeigte die Familie nach dem Krieg für die Entschädigungsansprüche der | |
| Hartigs? Nicht die mindesten. Stattdessen prozessierten die Kühnes bis 1952 | |
| mit unnachgiebiger Härte um den Besitz, den sie zu kaum einem Viertel des | |
| Verkehrswertes erhalten hatten. | |
| ## Kühne gibt sich überrascht | |
| In den von Kühne angesprochenen 60er-Jahren, in denen man sich ihm zufolge | |
| noch legitimerweise um die Vergangenheit hätte kümmern können, trug er im | |
| Übrigen schon selbst einen Großteil der Verantwortung: seit 1963 als | |
| persönlich haftender Gesellschafter und Teilhaber, seit 1966 als | |
| Vorstandsvorsitzender. Seit dem Krieg brachte die Firma verschiedene | |
| Unternehmenschroniken heraus. Wer sich für „verzerrte Darstellungen“ | |
| interessiert: Darin findet man viele. | |
| So viel zur Faktenlage, die Kühne nur eingeschränkt zur Kenntnis nimmt. | |
| Positiv ist immerhin, dass er mittlerweile nicht mehr infrage stellt, dass | |
| seine Firma für den NS-Staat „Güter jüdischer Eigentümer transportierte�… | |
| Umso erstaunlicher ist die nun bekundete „Überraschung“ darüber, dass die | |
| NS-Geschichte des Konzerns ab 2015 kritisch thematisiert wurde – zunächst | |
| von der Bremer taz, dann auch bundesweit und darüber hinaus: Es war die | |
| Firma selbst, die ihre Geschichte, arg geschönt, in den Mittelpunkt der | |
| umfangreichen Veranstaltungen zum 125. Firmengeburtstag stellte. | |
| Kein Journalist hatte in den Gelben Seiten geblättert, um ein zu | |
| investigierendes Unternehmen zu suchen – es genügte ein Gang über den | |
| Bremer Marktplatz, wo Kühne sein Jubiläumsjahr mit umfangreichem | |
| History-Marketing einläutete. Die 30er- und 40er-Jahre kamen dabei allzu | |
| kurz vor: als „schwere Kriegszeit“. Als die taz bei der | |
| Unternehmenskommunikation nachfragte, ob es da nicht doch etwas mehr als | |
| nur Mühsal gegeben habe, war die Antwort: „Diesen Zeitperioden mangelt es | |
| an Relevanz für die Firmengeschichte.“ Zudem seien alle entsprechenden | |
| Geschäftsakten verbrannt. Muss man sich da über weitere Recherchen wundern? | |
| Dass alles im Krieg verbrannt sei, bemüht Kühne immer noch, auch im | |
| aktuellen Interview mit dem Weser-Kurier. Der Bremer Firmensitz wurde in | |
| der Tat am 6. Oktober 1944 zerbombt, aber bereits 1943 hatte K + N sein | |
| Zentralkontor zunächst nach Regensburg, dann nach Konstanz verlagert. | |
| Zurecht hatte man angenommen, dass Konstanz aufgrund der Nähe zur Schweizer | |
| Nachbarstadt Kreuzlingen nicht bombardiert werden würde. Das „Verzeichnis | |
| Deutscher Wirtschaftsarchive“ weist ein „Firmenarchiv Kühne + Nagel“ aus: | |
| mit Beständen ab 1902 und der Inhaltsangabe „Urkunden, Akten, Protokolle, | |
| Geschäftsberichte, Druckschriften, Fotos etc. Benutzung nur mit Genehmigung | |
| der Geschäftsleitung“. | |
| Klaus-Michael Kühne ist nicht zu beneiden. Aber er hat Handlungsoptionen. | |
| 29 Jul 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutschland-welt-vermischtes_a… | |
| [2] /Kuehne-und-Nagels-NS-Vergangenheit/!5259911/ | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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