# taz.de -- Malis Präsident und seine Herausforderer: Die Wahl der Qual | |
> Anschläge im Norden, Kämpfe im Zentrum und Verdruss, was die Bilanz von | |
> Ibrahim Boubacar Keita angeht – dennoch stellt der sich zur Wiederwahl. | |
Bild: Zuerst muss sich jeder selbst im Wählerverzeichnis finden | |
BAMAKO/SIKASSO taz | Es ist Sonntag, Markttag. Im Zentrum von Sikasso | |
verkaufen Frauen Kartoffeln, Süßkartoffeln und Avocados, gebrauchte Jeans | |
und T-Shirts aus Europa, Aluminiumkochtöpfe und bunte Plastikschüsseln. Aus | |
Lautsprechern dröhnt Musik. Einen besseren Tag hätte sich Cheick Modibo | |
Diarra nicht aussuchen können, um in der 300.000 Einwohner zählenden Stadt | |
im Süden Malis Wahlkampf zu machen. | |
Die Anhänger des 66-jährigen ehemaligen Marsforschers, der 2012 kurz | |
Premierminister einer Übergangsregierung in Mali war, haben unterhalb des | |
1880 erbauten Festungsturms zwei Zelte und eine Bühne aufgebaut. Als sein | |
Konvoi an Händlern, Käufern und Schaulustigen vorbeifährt, ist ihm maximale | |
Aufmerksamkeit sicher. | |
Die braucht in Mali aktuell jeder Präsidentschaftskandidat. Die Wahl am | |
Sonntag ist entscheidend. [1][Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, der 2013 | |
die Wahlen gewann], nachdem Frankreichs Militär massiv in Mali eingegriffen | |
und den Norden des Landes von Islamisten zurückerobert hatte, stellt sich | |
zur Wiederwahl – in einer Zeit, wo auch solche Landesteile unsicher sind, | |
die vor fünf Jahren noch stabil erschienen. | |
Cheick Modibo Diarra lächelt, begrüßt, schüttelt Hände, wirkt freundlich | |
und entspannt. Der studierte Astrophysiker hat bessere Bildung und eine | |
Modernisierung der Landwirtschaft versprochen. In der fruchtbaren | |
Agrarregion Sikasso kommt das gut an, zum Beispiel bei dem 40-jährigen | |
Chaka Diallo: „Er kann dem Land neue Ideen bringen. Und er ist auch | |
Amerikaner, und die können arbeiten.“ Tatsächlich hat Cheick Modibo Diarra, | |
der einst für die Nasa arbeitete, zwei Staatsbürgerschaften, was ihn für | |
manche unwählbar macht – für seine Anhänger aber international. | |
„Er kann neue Ideen bringen“ | |
Sein Auftritt verläuft schnell und reibungslos. Diarra redet in der | |
Landessprache Bambara und kann noch vor Einbruch der Dunkelheit das | |
Schaulaufen in Sikasso abhaken. Hier wie auch in Bamako munkelt man: | |
Sikasso, Malis zweitgrößte Stadt, ist für die Wahl entscheidend. Hier im | |
Süden leben die meisten der 18 Millionen Malier – nicht im fernen Norden, | |
wo Krieg herrscht. | |
Dafür spricht, dass Soumaïla Cissé in Sikasso sogar seinen Wahlkampf | |
eröffnete. Cissé gilt als ewiger Zweiter der malischen Politik, da er schon | |
zwei Stichwahlen um die Präsidentschaft verlor, zuletzt eben 2013. Er | |
präsentiert sich als Wirtschaftsfachmann, der Korruption und Unsicherheit | |
bekämpfen will, und zwar im Dialog. | |
„Wir brauchen Lösungen, an denen alle beteiligt sind“, sagt Cissé, der als | |
stärkster Herausforderer von Amtsinhaber Ibrahim Boubacar Keïta gilt. IBK, | |
wie der Präsident in Mali genannt wird, hat umgekehrt planen lassen. Er | |
kommt gegen Ende des Wahlkampfs nach Sikasso. Fünf Tage vor der Wahl füllt | |
er nicht nur das Plätzchen unterhalb des Turms. Er nimmt das ganze Stadion | |
und unterstreicht seine Rolle als Amtsinhaber. | |
Kalfa Sanogo kann aus seinem Wahlkampfbüro, in frischem Grün gestrichen, | |
alle Delegationen und Konvois beobachten. Er ist Bürgermeister von Sikasso, | |
früher leitete er Malis staatliche Baumwollgesellschaft. „Sie sollen ruhig | |
alle kommen. Ich habe kein Problem damit. Es zeigt, wie wichtig Sikasso | |
ist.“ Auch Sanogos Name steht am Sonntag auf dem Stimmzettel. „Ich habe | |
mich aufstellen lassen, weil ich darum gebeten worden bin“, erklärt er und | |
versucht, bescheiden zu wirken. | |
Blauhelme schützen den Präsidenten | |
Sanogos Kandidatur wird von IBK-Gegnern unterstützt – er soll dem | |
Präsidenten im Süden Stimmen abjagen. Der große Mann im hellblauen Anzug, | |
der ein wenig nach vorne gebeugt auf seinem schweren Sofa sitzt, setzt ganz | |
auf seine Region. Deren Wählerschaft hält er für so bedeutend, dass er sie | |
in der letzten Woche vor der Wahl gar nicht mehr verlassen will. Und er | |
nennt noch einen anderen Grund: „Die Linie verschiebt sich immer mehr nach | |
Süden“, sagt Sanogo. | |
Er meint die Konflikte in Nord- und Zentralmali, die sich immer weiter | |
ausbreiten. In den Norden, etwa nach Kidal, Gao oder Timbuktu, sei er gar | |
nicht erst gefahren, obwohl die UN-Mission den Kandidaten den Transport | |
anbietet. „Trotz internationaler Streitkräfte hat sich die Lage dort | |
verschlechtert.“ Sanogo sagt es nicht direkt, umschreibt es aber: Wahlkampf | |
mit großen Sicherheitsauflagen, das fühlt sich für ihn fremd und falsch an. | |
IBK und Cissé haben es dennoch getan – und waren auf den Bildern des | |
Staatsfernsehens stets von Blauhelmsoldaten umringt. | |
Das ist das Erbe der Wirren von 2012 bis 2013, als Mali einen Staatsstreich | |
und anschließend die Besatzung des Nordens durch islamistische | |
Gruppierungen erlebte, bis Frankreichs Armee ab Januar 2013 die Terroristen | |
zurückdrängte. Damals begann die UN-Stationierung, gekoppelt mit dem Druck | |
auf Mali, so schnell wie möglich Wahlen auszurichten und zurück zur | |
Normalität zu finden. IBK schien dafür der geeignete Mann zu sein. | |
Doch bis heute kommt es im Norden manchmal mehrmals pro Woche zu | |
Anschlägen. Auch im Zentrum des Landes rund um die Stadt Mopti ist ein | |
Konflikt ausgebrochen. Der Zugang zu Land und somit zu Macht ist ein Grund, | |
weshalb es zwischen den Völkern der Dogon und den Fulani zu Kämpfen kommt. | |
Beide haben Milizen gegründet. Dazu gehört die Befreiungsfront von Macina | |
(FLM) von Amadou Koufa, der auch gute Verbindungen zu Islamisten im Norden | |
unterhält. In Bamako heißt es, dass die Regierung diesen Konflikt mit | |
Hunderten Toten viel zu lange ignoriert hat. | |
Wahlorganisation im Verzug | |
In der Hochglanzbroschüre, die im Sheraton-Hotel der Hauptstadt ausliegt, | |
ist davon nichts zu lesen. Die neue Luxusherberge in Bamako ist mit | |
Soldaten umstellt. Hier findet einer der wenigen gediegenen Auftritte von | |
IBK für geladene Gäste statt. Seine Straßenkämpfer tanzen draußen vor einem | |
Auto mit riesigen Boxen, aus denen der IBK-Song plärrt. Drinnen tritt der | |
Präsident nach einstündiger Verspätung vor das Mikro und präsentiert 25 | |
Minuten lang seine Erfolge. | |
Auf seinen Wahlplakaten wirkt IBK wie ein Felsbrocken. In Wirklichkeit ist | |
er kleiner. Er spricht langsam und gedehnt und erwähnt gerne seine | |
Wahlkampftour durch den Norden. „Die Situation heute hat nichts mehr mit | |
der von früher zu tun. Sie ist überwunden.“ Die Gäste reagieren verhalten. | |
Manchmal gibt es dünnen Szenenapplaus – nicht aber beim Thema Sicherheit. | |
IBK mag in Stadien Zustimmung erhalten. Doch andere einflussreiche | |
Unterstützer hat er verloren. Dazu gehören auch die Imame. 2013 warben sie | |
noch als religiöse Meinungsführer für IBK, diesmal nicht mehr. | |
Wird es am Sonntag überhaupt gelingen, die Wahllokale im Norden Malis zu | |
öffnen? Das ist für die Glaubwürdigkeit der Wahl von Bedeutung. Im neuen | |
Bürogebäude der Wahlkommission (Ceni) lässt sich Vizepräsident Dajié Sogoba | |
nicht auf Spekulationen ein, zieht aber einen ernüchternden Vergleich zu | |
den Wahlen von 2013. „Damals war nur der Norden betroffen. Heute ist aber | |
auch Zentralmali sehr viel unsicherer. Die Situation hat sich | |
verschlechtert.“ | |
Dazu kommen organisatorische Schwierigkeiten. Die Regierung schreibt auf | |
ihrer Homepage von 8,4 Millionen registrierten Wählern. Eine Prüfung kam im | |
April jedoch nur auf gut 8 Millionen. Cissés Anhänger sprechen von | |
manipulierten Wählerlisten. Mittlerweile hat Premierminister Soumeylou | |
Boubèye Maïga reagiert: Es gebe nur ein einziges Wählerverzeichnis, und | |
zwar das vom April. Schwierig bleibt auch die Verteilung der Wählerkarten. | |
Sie müssen am Sonntag im Wahllokal vorgezeigt werden, damit man wählen | |
kann. Aktuell sollen 69 Prozent verteilt sein – fast ein Drittel der | |
Wahlberechtigten hat also noch keine. | |
In Sikasso heißt es, dass sich die Politik zu sehr um den Norden drehe. | |
Dabei fehle es auch hier an vielem: funktionierenden Schulen und | |
Krankenhäusern, erschwinglichen Lebensmitteln. „Der Norden ist wichtig“, | |
sagt Chaka Diallo, als Cheick Modibo Diarras Konvoi abgereist und die Bühne | |
abgebaut ist. Doch seien die Kontakte in die Grenzregionen zu Burkina Faso | |
und der Elfenbeinküste hier im Süden viel bedeutender. „Aber wenn es im | |
Norden keinen Frieden gibt, dann können wir auch nicht in Ruhe leben. Wenn | |
es dort brennt, dann spüren auch wir die Hitze.“ | |
28 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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