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# taz.de -- Debatte Organspenden in Deutschland: Niere hin, Niere her
> Es gibt zu wenig Organspenden in Deutschland. Ein Organtausch sollte
> gesetzlich ermöglicht werden, um mehr Leben zu retten.
Bild: Es könnte viel mehr geholfen werden. Dazu müsste das Transplantationsge…
Mehr Organspenden! Jetzt! So steht es – zugespitzt und verkürzt formuliert
– im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Das hat einen simplen Grund: Die
Zahl [1][der Organspenden] hat unter anderem aufgrund von
Organspendeskandalen in den vergangenen Jahren [2][einen Tiefstand
erreicht]. Das ist problematisch, in Deutschland warten derzeit über 10.000
Patientinnen und Patienten auf eine neue Leber, ein neues Herz, die meisten
auf eine neue Niere.
Der Organspendepassus im Koalitionsvertrag bietet die Chance, eine Änderung
des Transplantationsgesetzes anzuregen. Das fordern seit Jahren
Ärzteverbände und Gesundheitsökonomen, insbesondere bei Lebendspenden. Von
den 1.921 Nierentransplantationen im Jahr 2017 waren 557 Lebendspenden. Im
Durchschnitt warten Patientinnen und Patienten vier bis acht Jahre auf eine
neue Niere. Bei anderen Organen kann es noch länger dauern.
Derzeit ist es in Deutschland nur erlaubt, nahen Verwandten und
Ehepartnerinnen und -partnern ein Organ zu spenden. So wie Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier, der 2010 seiner Frau Elke Büdenbender erfolgreich
eine Niere gespendet hatte.
Die derzeitige Beschränkung auf Verwandtschaft und sehr nahe Personen indes
ist ethisch problematisch und rückständig und sollte rasch aufgeweicht
werden. Denn häufig werden Nieren von Personen, die spenden würden,
darunter Ehegatten und Geschwister, von den Empfängerinnen und Empfängern
nicht angenommen. Was könnte helfen?
## Spender, bildet Ketten
Beispielsweise sogenannte „Nierentausche“: Jemand kann seiner Frau keine
Niere spenden, jemand anderem geht es genauso, weil in beiden Fällen das
Organ „inkompatibel“ ist. Was spricht dagegen, die Nieren über Kreuz zu
tauschen? Die Frau des einen kriegt die Niere des anderen und umgekehrt.
Dieses einfache Spenderverfahren kann zu „Spender-Empfänger-Ketten“ führe…
den Spendenkreislauf also erweitern und dadurch Leben retten. Diese
„Ketten“ könnten zudem mit postmortal oder altruistisch gespendeten Nieren
kombiniert werden. So wie in den USA und einigen europäischen Ländern wie
den Niederlanden. Dort gab es bereits Ketten von bis zu 70 Personen, von
denen die Hälfte eine Niere gespendet und die andere Hälfte jeweils eine
kompatible Niere aus dem Pool erhalten hatte.
Weil das deutsche Gesetz Lebendspenden einzig auf enge verwandtschaftliche
und emotionale Beziehungen beschränkt, sind anonyme Spenden hierzulande
illegal. Argumente für dieses Verbot sind oft begründet in der Sorge, dem
Organhandel würde die Tür und Tor geöffnet, wäre das Verbot aufgehoben. Das
ist ein Trugschluss. Denn Nierentausche unterscheiden sich eklatant vom
Handel mit Nieren, da keiner der Tauschpartnerinnen und -partner Geld
bezahlt oder bekommt.
Manche Kritikerinnen und Kritiker entgegnen, ein Tausch sei eine
kommerzielle Transaktion: Niere gegen Niere statt Geld gegen Niere könne
indirekt verglichen werden und sei damit ethisch unzulässig.
## Ethisch problematisch ist das bestehende Verbot
Man kann es auch anders sehen: Im Gegensatz zu einer kommerziellen
Transaktion sind beim Nierentausch die Spendenden nicht monetär, sondern
altruistisch miteinander verbunden. Die Überkreuzspende findet ja nur
statt, weil die Organe mit den nahestehenden Empfängerinnen und Empfängern
inkompatibel sind.
Ein weiteres, oft vorgebrachtes Gegenargument ist, dass Menschen unter
Druck gesetzt werden könnten, ihre Organe zu spenden. Es ist jedoch unklar,
warum diese Gefahr bei einem Nierentausch akuter sein soll als bei einer
normalen Spende. Wären Nierentausche offiziell erlaubt, müssten sich
Angehörige genauso wie bisher dafür oder dagegen entscheiden. Falls sie
sich für eine Spende entscheiden, ist es jedoch wahrscheinlicher, dass sie
auch spenden können.
Auf den Punkt gebracht: Nicht die angeregte Aufhebung des Tauschverbots ist
ethisch problematisch, sondern das bestehende Verbot. Es unterbindet – bei
gleichzeitiger Bestrafung der involvierten Ärzte – Transplantationen, die
die Lebensqualität von betroffenen Kranken verbessern oder sogar ihr Leben
retten können. Daneben verstößt es gegen die Interessen von Patientinnen
und Patienten sowie ihrer Angehörigen, diese Transplantationen nicht
stattfinden zu lassen.
Dabei sollte das Patientenwohl der entscheidende Maßstab für
gesundheitspolitische Entscheidungen sein, das sollte sich auch im
Koalitionsvertrag wiederfinden. Daraus folgt zwangsläufig, dass das Verbot
aufgeweicht werden sollte. Ökonomisch sinnvoller sind Spenden ohnehin:
Dauerhafte und regelmäßig notwendige Dialysen sind in der Regel teurer als
einmalige Transplantationen. Legalisierte Nierentausche reduzieren also die
Kosten im Gesundheitswesen.
## Spanien macht es vor
Der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge lag die Anzahl der
postmortal gespendeten Organe in Deutschland 2017 bei 2.594, das ist der
niedrigste Wert seit 20 Jahren. Daneben gab es 618 Lebendspenden – auch
diese Zahl geht kontinuierlich zurück. Die Gruppe der Lebendspendenden zu
erweitern, würde dieses Unterangebot zwar nicht komplett beheben, zumindest
aber mildern. Grundsätzlich jedoch muss die Bereitschaft steigen, dass
Menschen ihre Organe nach ihrem Tode zur Verfügung stellen.
Die Große Koalition sollte zügig die Chance ergreifen und das
Transplantationsgesetz ändern. Andere Länder machen es vor. Beispielsweise
Spanien. In dem iberischen Land werden postmortal weitaus mehr Organe
transplantiert, weil der Staat Organspenden auf eine schlichte gesetzliche
Weise regelt: Wer seine Organe nach dem Tod nicht spenden möchte, muss
einer Entnahme explizit widersprechen. In Deutschland ist es genau
andersherum.
26 Jul 2018
## LINKS
[1] /Was-tun-fuer-mehr-Organspenden/!5477051
[2] /Nichtspender-ueber-Organspenden/!5474611
## AUTOREN
Philippe van Basshuysen
## TAGS
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