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# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Lob der Ameise. Mit Dialog
> Was könnten wir nicht alles in Erfahrung bringen, würden wir endlich mit
> Ameisen reden. Ein Plädoyer gegen den Homozentrismus.
Bild: Ich will mit Ameisen reden. Natürlich über Kapitalismus
Ameisen sind voller Wunder. Jüngst haben Myrmekologen fantastisches über
sie herausgefunden. So gibt es faule Ameisen, die neben der Ameisenstraße
sitzen und nichts tun. Werden dir als Ameisensoldatin im Kampf gegen die
Termiten ein, zwei Beine halb abgebissen, dann tragen dich
Stammesgenossinnen zurück in den Bau und zutscheln dir die Wunden aus, auf
dass sich nichts entzündet. Gibt's mal eine Überschwemmung, so haken sich
Ameisen unter wie BraunkohlegegnerInnen beim Tagebaublockieren und bilden
so ein Ameisenfloß und schwimmen.
Außerdem melken sie Läuse.
Jüngst döste ich auf einer Bank und beobachtete dabei einige Ameisen, wie
sie auf dem Steinboden unter mir scheinbar ziellos mal hier, mal dort hin
wuselten. Wahre Anarchisten, Antichristen vielleicht. Sie denken in Geruch.
Haben sie Pheromonhumor? Olfaktorische Wortspiele? Ohne richtiges Gehirn
wohl schwer, doch Vorsicht vor der Arroganz des Homo Sapiens. Wer sich für
die Nummer eins der Biosphäre hält, der scheidet ratzfatz aus der
Gruppenphase des Überlebens aus.
Ich will mit Ameisen reden. Natürlich über Kapitalismus. Vielleicht auch
über Gott, auf keinen Fall über Fußball und nur, wenn es nicht irgendwie
seltsam rüberkommt auch über Sex. Bevor wir zum Dialog schreiten, kurzer
Exkurs.
Menschen, die sich erfolgreich suggerieren ließen, unfassbar einzigartig
und individuell zu sein – dein Deo, deine Himalaja-Rucksacktour, deine
Playlist – neigen dazu, in ihren Mitmenschen abschätzig ameisenhaftes
Verhalten zu erkennen: Wie diese ganzen Langeweiler jeden Tag wie auf einer
unsichtbaren Pheromonspur ameisengleich auf den immer selben Wegen in die
Büros watscheln. Ich nicht. Ich bin anders. Ich bin individuell. Ich trage
unterm kleinkarierten Hemd ein lustiges T-Shirt mit einem Spruch über
Drogen drauf.
Diese Metaphern mit Ameisen sind falsch aber wichtig. Wenn wir
Massenindividualisten Menschliches in diesen winzigen Hautflüglern zu
entdecken glauben, ist das pathologischer Homozentrismus. Stellen Sie sich
nur mal eine Ameise in der Größe von Horst Seehofer vor: Wie sie aus
sturen, riesigen Facettenaugen vor sich hin starrte, mit Fühlern, drei Mal
so lang wie die Hundekrawatte von Alexander Gauland. Nein, sie sind ganz
anders als wir – und trotzdem: Empathie mit Ameisen ist der erste Schritt
zu einem umfassenden Frieden in der Galaxis.
Wie redet man mit Ameisen? Ich vermute, sie hinterlassen, wenn sie, wie
jetzt gerade, über Steinböden flitzen, ihre Duftausscheidungen und
mathematische Muster für uns, die gilt es zu entschlüsseln.
Ich glaube die wollen wirklich quatschen – und wir, wir quetschen nur.
Da aber global vermutlich hundert Mal so viel in die Ameisengiftforschung
als in die Ameisenkommunikationsforschung investiert wird, kann ich hier
einen Dialog nur imaginieren.
Ich: „Hallo Ameise. Was haltet ihr vom Kapitalismus?“ Ameisendrohne
übersetzt: Rennt über Boden, verteilt Pheromone. Ameise fühlert sich die
Duftspuren entlang, entziffert. Trägt einen Brotkrümel weg.
5 Jul 2018
## AUTOREN
Ingo Arzt
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