| # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Versteht meine Gefühle! | |
| > Über eine Aussage des kongolesischen Staatschefs Kabila wird gerätselt. | |
| > Man kann dabei einiges über die Kunst des kleinen Wortes für Eingeweihte | |
| > lernen. | |
| Bild: Joseph Kabila ist seit 17 Jahren an der Macht. Alle spekulieren auf seine… | |
| Das Dekor war makellos, als sich Joseph Kabila am Nachmittag des 19. Juli | |
| 2018 vor dem Volkspalast von Kinshasa aus seinem Dienstwagen wuchtete, | |
| einem wandelnden Panzerschrank gleich, und unter militärischen Ehren auf | |
| dem roten Teppich ins Plenum des Parlaments schritt, um dort seine lang | |
| erwartete Rede an die Nation zu halten. | |
| Es war eine Rede, von der sich die 80 bis 100 Millionen Kongolesen – so | |
| genau weiß das niemand – viel erhofften: Würde der Staatschef endlich | |
| Klarheit schaffen über die Wahlen, die Ende 2016 fällig waren und [1][deren | |
| aktueller Termin, der 23. Dezember 2018], noch immer auf Skepsis stößt? | |
| Würde er ankündigen, dass er entweder die Verfassung bricht und erneut | |
| antritt, obwohl er schon zweimal gewählt worden ist – oder dass er sich | |
| zurückzieht und einem Nachfolger Platz macht? Jede Aussage dazu würde über | |
| Krieg oder Frieden in der Demokratischen Republik Kongo entscheiden. | |
| Noch bevor er zum vorbereiteten Redetext anhob, brachte der Präsident, der | |
| wohl von allen Kongolesen am wenigsten zu Spontaneität und Witz neigt und | |
| nie Gefühle zeigt, den mit Hunderten Würdenträgern gefüllten Saal zum | |
| Lachen. Er verspüre „eine kleine Spannung in diesem Saal“, sagte er, | |
| wartete auf die Lacher, grinste und fuhr fort: „Ich weiß, warum es diese | |
| Spannung gibt. In diesem Saal warten manche darauf, dass ich ‚Comprenez mon | |
| émotion‘ sage.“ Das Publikum tobte, Kabila schaute belustigt zu, um dann | |
| beruhigend mitzuteilen, er wolle stattdessen lieber seine „Passion für den | |
| Kongo“ verstanden wissen. | |
| „Comprenez mon émotion“ – auf Deutsch „Versteht meine Emotion“, sinn… | |
| etwa: Seht doch, wie nah mir das alles geht – ist im Kongo ein geflügeltes | |
| Wort für große Führer, deren Zeit zu Ende geht. [2][Mobutu Sese Seko | |
| flüsterte diesen Satz ins Mikrofon], als er am 24. April 1990 in seiner | |
| historischen Rede vor dem Parlament in Kinshasa nach Jahrzehnten finsterer | |
| Autokratie den Einparteienstaat abschaffte, politische Freiheiten für alle | |
| verkündete und dann in Tränen ausbrach, als er den eigenen Rückzug von der | |
| Führung der Staatspartei erklärte. | |
| ## Weltmeister in der politischen Satire | |
| Eine Ära ging zu Ende, ein Vierteljahrhundert einer der monströsesten | |
| Diktaturen Afrikas. Mobutu stürzte sich selbst – live. 28 Jahre später | |
| kennt jeder Kongolese „Comprenez mon émotion“. Der Satz ist Kult, ein wenig | |
| wie Erich Mielkes „Ich liebe doch alle“, er entspringt derselben tragischen | |
| fehlgeleiteten Selbsteinschätzung und wird genauso gern veralbert; die | |
| Kongolesen sind Weltmeister in der politischen Satire. | |
| Deswegen kann ein kongolesischer Präsident, der genau weiß, dass alle auf | |
| sein Ende spekulieren, aber niemand darüber offen spricht, damit spielen | |
| und seine Macht zur Schau stellen, indem er die Lacher auf seine Seite | |
| zieht. | |
| Außerhalb des Kongo kennt den Satz kaum jemand. Manche internationalen | |
| Beobachter rätselten nun, was Kabila da wohl gemeint haben könnte und warum | |
| der ganze Saal zu lachen anfing. Sie merkten nicht, dass der Präsident mit | |
| seiner Absage an „Comprenez mon émotion“ auch seinem eigenen Rückzug von | |
| der politischen Bühne eine Absage erteilte – kodiert, aber verständlich für | |
| alle, die es anging. | |
| Und in seiner Rede machte Kabila dann klar: Was im Kongo geschieht, geht | |
| nur Kongolesen etwas an. Zu seiner eigenen Zukunft sagte er nichts, aber | |
| das war auch gar nicht mehr nötig. Alle haben verstanden. | |
| ## Permanenter Rechtsbruch | |
| Die Kunst des kleinen Wortes für Eingeweihte ist ein bewährtes | |
| Herrschaftsinstrument. Wer mit einem scheinbar nichtssagenden Insiderwitz | |
| seine Leute auf Linie und bei Laune halten kann, braucht sich um seine | |
| Macht keine Sorgen zu machen. Mobutu schaffte es mit drei Worten, die | |
| Demokratisierung als persönliches Trauma zu inszenieren statt als | |
| politischen Reformprozess. Es ging ihm um seine eigene Gefühlswelt, nicht | |
| um die Zukunft seines Landes. | |
| Deswegen folgte darauf auch keine Demokratisierung, sondern sieben Jahre | |
| Staatszerfall, bis Rebellen unter dem Vater des heutigen Präsidenten dem | |
| Spuk ein Ende setzten. | |
| Joseph Kabila, Sohn des damaligen Rebellenführers, ist seit 2001 an der | |
| Macht, also siebzehn Jahre. In einem Land, das in Generationen rechnet und | |
| nicht in Wahlperioden, nähert sich damit allmählich, aber unausweichlich | |
| die Zeit des Umbruchs, obwohl nach außen alles festgefügter erscheint denn | |
| je. Schnell wird dieser Umbruch nicht kommen; Joseph Kabila gedenkt nicht | |
| zu verschwinden. Und er hat es nicht nötig, dazu etwas zu sagen. | |
| Wenn in den nächsten Wochen die Kandidaturen für Kongos | |
| Präsidentschaftswahl eingereicht werden, wird man ja sehen. Vielleicht | |
| tritt Kabila tatsächlich nicht mehr selbst an. Dann aber kommt garantiert | |
| jemand, der das Kabila-System – eine Mischung aus Clanherrschaft und | |
| orchestriertem permanentem Rechtsbruch, in dem es keine Gewissheiten gibt | |
| jenseits des geflüsterten präsidialen Machtworts – weiterführt, womöglich | |
| aus der eigenen Familie. | |
| ## Historischer Moment für Afrika | |
| Vielleicht kandidiert er aber einfach doch und lässt es darauf ankommen. | |
| Kritik perlt an ihm ab. Herausforderungen begegnet er mit Gewalt. | |
| Kongos Wahl 2018 soll eigentlich nach Verfassungsmaßstäben eine | |
| Schicksalswahl werden, bei der erstmals in der [3][Geschichte dieses | |
| riesigen Landes, von dessen Zukunft die Zukunft Afrikas abhängt], auf | |
| friedlichem Wege die Macht von einem Präsidenten an den anderen übergeht. | |
| Das wäre ein historischer Moment für ganz Afrika, der die aktuellen | |
| Umbrüche in Simbabwe und Äthiopien in den Schatten stellt. | |
| Die Appelle an Kabila, das zuzulassen, das Erbe des Satzes „Comprenez mon | |
| émotion“ anzunehmen und als Held des Verzichts in die Geschichtsbücher | |
| einzugehen, sind groß. Aber für Mobutu ging das seinerzeit nicht gut aus. | |
| Der damals 60-Jährige starb sieben Jahre später entmachtet und einsam an | |
| Krebs im Exil, und zwischenzeitlich war sein Land im Krieg versunken. Seine | |
| Inszenierung fiel auf ihn selbst zurück. Kabila ist erst 47. Er hat noch | |
| Zeit. | |
| 23 Jul 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Vor-den-Wahlen-im-Kongo/!5509753 | |
| [2] /Kolumne-Afrobeat/!5411926 | |
| [3] /Demokratische-Republik-Kongo/!5488428 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Joseph Kabila | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Afrobeat | |
| Joseph Kabila | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Simbabwe | |
| Kongo | |
| Jean-Pierre Bemba | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Wahlkampfauftakt im Kongo: Ein Staat der Willkür | |
| Im Kongo gibt es jetzt mehrere Präsidentschaftskandidaten. Der Amtsinhaber | |
| will seinen Griff auf das Land jedoch nicht lockern. | |
| Präsidentschaftswahl in Kongo: Bemba nach Haftstrafe zurückgekehrt | |
| Zehn Jahre saß Bemba in Haft in Den Haag. Als Hoffnungsträger der | |
| Opposition leitet er mit seiner Rückkehr nach Kinshasa den Wahlkampf ein. | |
| Wahlen in Simbabwe: Regierungspartei gewinnt Mehrheit | |
| Die Regierungspartei Zanu-PF hat nach vorläufigen Ergebnissen eine Mehrheit | |
| im Parlament geholt. Der Sieger der Präsidentenwahl steht noch nicht fest. | |
| Neuer Armeechef im Kongo: General mit düsterer Geschichte | |
| Menschenrechtler machen General John Numbi für einen brutalen Mord | |
| verantwortlich. Nun kehrt er im Militär nach ganz oben zurück. | |
| Kongos Ex-Vizepräsidenten Bemba: Kriegsverbrecherurteil aufgehoben | |
| Das Weltstrafgericht schlägt das Kriegsverbrecherurteil gegen Kongos | |
| Ex-Vizepräsidenten Bemba nieder. Aber frei kommt er noch nicht. | |
| Vor den Wahlen im Kongo: Mehrere Millionen Wähler zu viel? | |
| Im Dezember soll im Kongo gewählt werden. Jetzt bestätigt Kritik an der | |
| Wählerregistrierung einige Bedenken der Opposition. |