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# taz.de -- Paywalls im Internet: Nur über meine Bezahlschranke
> Immer mehr Medien verlangen Geld für ihre Onlinenachrichten. Ein
> wichtiges Prinzip des Internets geht dadurch verloren.
Bild: Immer mehr Nachrichtenmedien zäunen die Schmuckstücke unter ihren Artik…
Man stelle sich vor, ein Orkan fegt über Deutschland und jemand will im
Netz schnell etwas zur Lage in der Heimatregion in Erfahrung bringen. Auf
der einzigen relevanten Nachrichtenseite in seiner Region stößt der
Suchende allerdings auf eine Mauer: „Jetzt Abo abschließen und weiterlesen“
oder „Ihr Kontingent an Artikeln für diesen Monat ist erschöpft“. Wie
wichtig ein freier Zugang zu Medien sein kann, lässt sich an solchen
öffentlichen Notfällen beobachten.
Einige Zeitungen haben in der Vergangenheit darauf reagiert und
Bezahlschranken auf ihren Onlineauftritten ausgeschaltet: die Rheinische
Post zum Beispiel Anfang 2018 beim Orkantief „Friederike“. Aber auch in
weniger katastrophalen Fällen sind frei zugängliche Nachrichten
wünschenswert, etwa wenn es um gesellschaftliche Themen wie
Rechtspopulismus oder Klimawandel geht. Selbstverständlich ist das längst
nicht mehr bei allen Medien.
In den letzten Jahren haben sich Bezahlschranken in verschiedenen
Ausformungen zum Branchentrend entwickelt. Immer mehr Nachrichtenmedien,
dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger zufolge bereits 205, zäunen
die Schmuckstücke unter ihren Artikeln ein und versuchen die Menschen auf
diese Weise in den eigenen Premium-Garten zu locken. Nur so könne man der
schädlichen „Gratismentalität“ im Internet begegnen und
Qualitätsjournalismus sichern.
Klar, Zeitungen müssen Geld verdienen. Aber sind Onlineartikel ebenso als
Ware zu verstehen, wie es in Printzeitungen der Fall ist? LeserInnen
rezipieren im Netz anders. Sie informieren sich schneller und weniger
linear: Beiträge werden geteilt und ausgetauscht – viele LeserInnen
kapitulieren dabei an Bezahlschranken oder aber sie teilen die Artikel
trotzdem.
Welche drastischen Auswirkungen das Wegsperren relevanter Informationen
haben kann, zeigt das Beispiel eines Bild-Textes, der im Frühjahr 2018
viral ging und Stimmung gegen Geflüchtete machte. Eine geflüchtete Familie
kassiere 7.300 Euro im Monat, war in der reißerischen Überschrift zu lesen.
Im Rest des Artikels wurden die Umstände genauer geschildert und aufgelöst,
dass der Familie letztendlich nicht mehr als der Sozialhilfesatz ausgezahlt
wurde. Perfiderweise war der gesamte Artikel allerdings nur
Bild-Plus-Abonnenten zugänglich. Viele, die den Artikel in Empörungswut
geteilt haben, dürften ihn also gar nicht gelesen haben.
Die Bandbreite des öffentlichen Diskurses werde durch digitale Schranken
geschmälert, erklären die beiden US-Kommunikationsforscher Victor Pickard
und Alex T. Williams. Sie bewerten Paywalls sogar als Versuch, „das
Internet davon abzuhalten, das Internet zu sein“. Bezahlschranken tasten
ein wichtiges Prinzip des Internets an, das Prinzip der Offenheit. Das
freiheitliche Potenzial des Internets lässt sich nicht zur historischen
Abweichung erklären; und es besteht gerade darin, nicht nur Marktplatz zu
sein – auch wenn viele ihn mangels anderer Ideen dazu machen wollen.
Die Autorin Merja Myllylathi von der Auckland University of Technology
sieht neben der fehlenden Zugänglichkeit vieler Onlineartikel noch ein
weiteres Problem in dem Zur-Ware-Werden von Nachrichten: Bezahlschranken
hätten das Potenzial, dem digital divide – damit ist die ungleiche
Verteilung im Zugang und in der Nutzung von Information und
Kommunikationstechnologien gemeint – eine neue soziale Dimension
hinzuzufügen: „zwischen denen, die es sich leisten können, für Nachrichten
zu bezahlen, und denen, die es eben nicht können“. Nur diejenigen
LeserInnen können sich umfassend informieren, die über die nötige Kaufkraft
für Plus-Angebote verfügen.
Eine Studie aus der amerikanischen Medienforschung belegt zudem, dass
Menschen, die für Inhalte im Netz bezahlen, sich tendenziell auf solche
Inhalte beschränken, die ihrem Weltbild entsprechen. Anders gesagt: Man
zahlt ungern für ein digitales Abo der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,
wenn man kein Liebhaber der Zeitung ist. Genauso wenig wie man Fisch im
Restaurant bestellt, wenn man Fisch nicht mag. Das war früher nicht anders,
nur passt die treue, exklusive LeserInnen-Blatt-Bindung von damals immer
weniger in die heutige Zeit.
Die Verbreitung von Journalismus und die Wahl des richtigen Modells kann
nicht allein anhand der ökonomischen Dimension ausgelotet werden. Wenn sich
gesellschaftlich relevanter Journalismus hinter Bezahlschranken einmauert,
dann muss zumindest danach gefragt werden (dürfen), inwieweit dadurch die
Möglichkeit zur demokratischen Teilhabe eingeschränkt wird.
Der [1][Guardian] setzt auf die freie Wahl bei der finanziellen
Unterstützung. Der Journalismus der britischen Tageszeitung soll weiter
frei zugänglich bleiben. In Zeiten von Brexit und Trump sieht man der
fairen und sachlichen Berichterstattung hier immer größere Bedeutung
zukommen. „Warum sollten wir Menschen zwingen, für unsere Arbeit zu
bezahlen, wenn wir sie einfach darum bitten können?“, schreibt die
Community-Redakteurin des Guardian, Natalie Hanman. Man setzt auf
Engagement und Mitgliedschaft und hat nach eigenen Angaben schon knapp eine
Viertelmillion digitale UnterstützerInnen.
In Deutschland setzen die [2][taz] und das Neue Deutschland auf das Modell
der freiwilligen Bezahlung. Der Leitgedanke ist derselbe: Menschen, die
sich kein Abo leisten können, sollen nicht von kritischer Information
ausgeschlossen werden. Auch journalistische Neugründungen wie die
niederländische Webseite [3][De Correspondent] kommen ohne eine Paywall aus
und setzen auf die Beteiligung einer aktiven Leserschaft. Diese Medien
zeigen, dass das Internet viel Raum zum Experimentieren mit Bezahlmodellen
lässt.
Wie auch immer solche Versuche ausgehen, sie legen den Schluss nahe, dass
Bezahlschranken nicht die einzige und beste Form der Finanzierung von
Journalismus im Digitalen sind. Eine möglichst große Zahl von freien
Inhalten im Netz ist ein erstrebenswertes Ziel, welches das Internet das
machen lässt, was es am besten kann: grenzenlos informieren und zum
Mitmachen bewegen.
Der Autor Ilija Matusko betreut das [4][Online-Bezahlmodell der taz]
25 Jul 2018
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/us
[2] /taz-zahl-ich/!p4697/
[3] https://decorrespondent.nl/
[4] /Untersttzung/taz-zahl-ich/!p4697/
## AUTOREN
Ilija Matusko
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