# taz.de -- Interview mit Illustratorin Kat Menschik: „Tusche ist gut für di… | |
> Erst zeichnet sie per Hand, dann am Computer, weil es schnell gehen soll. | |
> Kat Menschik hat sich mit ihren Comics für Tageszeitungen einen Namen | |
> gemacht. | |
Bild: Illustratorin Kat Menschik in ihrem Zuhause | |
taz: Frau Menschik, ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hatte gehofft, Sie | |
hätten einen Tuschefinger. | |
Kat Menschik: Ich dachte, fürs Interview kann ich mir mal die Hände | |
waschen. (lacht) | |
Aber beim Arbeiten haben Sie einen Tuschefinger? | |
Klar. Ich zeichne ja mit der linken Hand, also ist mein linker Mittelfinger | |
immer schwarz. Aber alles andere ist auch oft bekleckert. | |
Was ist wichtig an der Tusche? | |
Ich zeichne die Umrisse mit Tusche. Dann scanne ich das Bild ein, | |
retuschiere, schattiere und koloriere es am Computer. Ich liebe es sehr, | |
beim ersten Schritt mit der Tusche zu arbeiten. Denn ich bastle gern, mache | |
gern etwas mit den Händen. Ich finde, es ist wichtig, dass auch mal was | |
schiefgeht. Das ist gut für die Seele, glaube ich. Außerdem konnte mein | |
Strich nur so werden, wie er ist. | |
Wie würden Sie Ihren Strich beschreiben? | |
Mein Strich ist kräftig, immer gesetzt, eine durchgezogene Linie, aber | |
nicht ganz perfekt und glatt. Ich glaube, es gibt im Rechner mittlerweile | |
auch Werkzeuge, mit denen man einen dort erzeugten Strich ungleichmäßiger | |
gestalten kann. Aber das ist nicht dasselbe, finde ich. | |
Ist es typisch für Ihre Generation, dass man so am Analogen hängt? | |
Muss ich jetzt über mein Alter reden? | |
Um Gottes willen! | |
(lacht) Natürlich ist es entscheidend, wie alt man ist. Als ich anfing zu | |
arbeiten, Anfang der 90er, bei meinem ersten Studentenjob, da habe ich | |
wirklich noch richtig analog gezeichnet. Auch per Hand koloriert. Meine | |
Arbeitsweise hat sich erst geändert, als ich begann, für Zeitungen zu | |
arbeiten. Da musste ich mir eine schnellere Technik zulegen. Denn ich | |
musste ja immer mal wieder etwas ändern oder aktualisieren. Seitdem arbeite | |
ich so. Es ist recht effektiv. | |
Seit 2016 gestalten Sie für den [1][Berliner Galiani Verlag die | |
„Illustrierte Reihe“], bislang sind zum Beispiel Erzählungen von Franz | |
Kafka, [2][E.T.A. Hoffmann] und [3][Edgar Allan Poe] erschienen. Diese | |
Bücher sind nicht nur schön illustriert, sondern auch schön gemacht. Warum | |
der Aufwand? | |
Ich finde es sinnvoll, Bücher auf dem Kindle lesen. Keine | |
Papierverschwendung, kein schweres Gepäck im Urlaub. Daraus folgt aber für | |
mich auch, dass die einzige Alternative zum digitalen Lesen das schön | |
gemachte Buch ist. Bücher, die man sich gern ins Regal stellt, die man | |
gern anfasst. Alle anderen brauche ich eigentlich nicht mehr. | |
Nicht mal einen Krimi für 9,99? | |
Da haben Sie mich erwischt. Die kaufe ich mir schon noch. Aber ich glaube | |
trotzdem, dass es sich mit dieser Art von Buch bald erledigt haben wird. | |
Wer kauft sich Ihre Bücher? Ich meine: Eigentlich haben viele noch eine | |
alte Kafka-Reclam-Ausgabe im Regal. Warum soll man dafür noch mal 18 Euro | |
ausgeben? | |
Diese 18 Euro sind noch viel zu wenig für das, was man da geboten bekommt. | |
Für den Aufwand, den wir da betreiben: Innen illustriert, Vorsatzpapier | |
bedruckt mit Sonderfarben und das Cover noch mal besonders gestaltet: | |
Eigentlich rechnet sich das wenig. Aber es macht einfach unheimlich Spaß, | |
so etwas gestalten zu dürfen. | |
Könnten diese Bücher auch als Statussymbol dienen – so wie jetzt plötzlich | |
wieder alle Welt Vinyl kauft und sich ins Wohnzimmer stellt? | |
Vielleicht manchmal. Aber vielleicht ist auch das Buchvolk ein bisschen | |
eigener. Es geht ihm weniger um Status als um den Aufbau einer Bibliothek, | |
ums Sammeln. Ich würde sagen, sie sind im besten Sinne zeitlos und uneitel. | |
Suchen Sie die Titel in der Reihe für Galiani selbst aus? | |
Ich suche sie aus und bespreche sie dann mit dem Verlag. Am Ende kommen | |
auch manchmal andere Dinge heraus. Bei Kafka hatte ich zum Beispiel am | |
Anfang eine andere Geschichte im Sinn, ich wollte [4][„Blumfeld, ein | |
älterer Junggeselle“] illustrieren. Darin kommt ja ein Mann vor, der von | |
zwei Tischtennisbällen verfolgt wird. Dazu hatte ich hübsche Bilder im | |
Kopf. Aber dann kamen wir auf den „Landarzt“, eigentlich ja eine Anthologie | |
von Kürzestgeschichten, die in Ton und Inhalt sehr unterschiedlich sind. | |
Also wollte ich es mal anders machen als bei den anderen Büchern, die ich | |
oft homogen zu illustrieren versuche. Das Buch ist eine Art Katalog meiner | |
Arbeitsweisen geworden: Holzschnitt und Zeichnungen, Schwarz-Weiß und Farbe | |
… | |
Warum Kafka, Poe, Hoffmann? | |
Ich finde es toll, das Moderne mit romantischen Elemente aus vergangenen | |
Epochen zu kombinieren, ich liebe den Jugendstil und Art déco. Manchmal | |
muss ich sogar aufpassen, dass ich nicht zu sehr in diese Zeit reingehe, | |
dass es nicht zu schön wird oder zu sehr retro – also nicht modern. | |
Was interessiert Sie inhaltlich an dieser Literatur? | |
Ich mag märchenhafte, surreale Literatur, dunkel und traumhaft. Diese | |
Bücher haben mich seit meiner Teenagerzeit begleitet. Ich kenne und verehre | |
sie seit frühester Jugend. | |
Wie kommen Sie bei den Erzählungen zu den Bildern? | |
Die größte Arbeit ist es, eine Idee zu finden, wie man ein Buch gestaltet. | |
Mit dieser Grundidee muss ich das Buch durchzeichnen können. | |
Wie würden Sie die Grundidee zum Poe-Buch beschreiben? | |
Bei Poe war die Idee, eine Neonfarbe zu benutzen. Also das krachige | |
Neonorange im Kontrast zum dunklen Lila, in dem auch der Text gesetzt ist. | |
Ich denke, dass das funktioniert. Es hat etwas wirklich Widerwärtiges, | |
etwas Unnatürliches und Krankes. Das macht für mich Poes Geschichten aus. | |
Das Albtraumhafte. | |
Ja, auch das Bedrohliche. | |
Die Geschichten von Poe sind manchmal auch sehr brutal. | |
Ja, aber das Rohe, Splatterhafte, das will ich ja nie zeigen. Die Bilder | |
sollen schön sein, ästhetisch. Erst wenn man genauer hinguckt, darf ein | |
grusliger Aspekt hinzukommen. Aber eine Wunde oder etwas halb Verwestes | |
würde ich nie zeichnen. | |
Ihre Ideen können oft sehr weit weg gehen vom Text, nicht? | |
Es ist eigentlich ja so: Wenn man den Text zu den Bildern nicht lesen | |
würde, dann könnte man anhand der Illustrationen nicht die Geschichte | |
rekonstruieren. Diesen Effekt möchte ich immer provozieren. Es ist das | |
Tolle an meiner Arbeit: Ich bin nicht wie beim Comic darauf angewiesen, zu | |
erzählen. Der Text steht so da, wie er nun einmal ist. Das ermöglicht es | |
mir, von der Geschichte wegzugehen und etwas ganz anderes zu erzählen. | |
Sie haben ja viele Fans, aber geht das auch manchen Lesern zu weit? | |
Klar! Neulich hat mich einer kritisiert, der nicht verstanden hat, warum | |
ich für das Poe-Buch den Arm eines Kraken gezeichnet habe, der in der | |
Geschichte gar nicht vorkommt. Aber das war halt meine Assoziation, das | |
Ende einer Bilderkette, das von einer verfilzten Haarsträhne ausgeht, über | |
die Lockenwickler bis zu den Tentakeln. Mir ist daran gelegen, etwas | |
Eigenes zu erzählen. Es wäre mir auch als Leser langweilig, wenn ich ein | |
Bild sehe, das im Text schon beschrieben ist. Das brauche ich doch nicht | |
doppelt, oder? | |
Insofern sind Sie schon auch eine Geschichtenerzählerin. Auch ein | |
Gartenbuch haben Sie mal selbst geschrieben, „[5][Der goldene Grubber“]. | |
Haben Sie nicht öfter Lust, die Geschichten zu Ihren Bildern auch selbst zu | |
schreiben? | |
Ich habe das in den 90ern öfter versucht, aber ich fand immer, dass ich | |
keine gute Geschichtenerzählerin bin. Ich war nicht einmal gut darin, | |
meinem Kind Geschichten frei zu erzählen, als es noch klein war. Ich konnte | |
mir nie einfach so irgendwas ausdenken. Etwas ganz selbst zu machen, das | |
hat mich immer unter einen riesengroßen Druck gesetzt. Andererseits: | |
Vielleicht ist das auch Quatsch. Gerade eben habe ich mein erstes Kochbuch | |
fertig geschrieben. Da stehen ja eigentlich auch Geschichten drin. | |
Ein Kochbuch? | |
Es ist voller Rezepte, die ich selbst koche oder die Freunde für mich | |
kochen, weil ich es nicht selbst kann. Der Witz ist, dass ich eigentlich | |
gar nicht so gern koche. Es ist nicht meine große Superleidenschaft, die | |
ich zelebriere oder bei der ich meditieren kann. | |
Sondern? | |
Für mich ging es immer darum, die Familie satt zu kriegen. Und wenn man das | |
Jahrzehnte macht, dann kann man das einfach irgendwann. In dem Buch gibt es | |
also Klassiker wie Pellkartoffeln mit Quark, Senfeier oder Königsberger | |
Klopse und Nudeln mit Tomatensoße. Alles unprätentiöse Gerichte, die einmal | |
durchs Jahr gehen. Also mit Fastenzeit, Saisongemüse und solchen Sachen. | |
Als Leserin von [6][Haruki Murakami] interessiert mich Ihre Zusammenarbeit | |
mit dem japanischen Autor sehr. Wie kam es dazu? | |
Sein deutscher Verleger hat mich dazu eingeladen. Und dann lief das so: | |
Murakami nimmt weltweit jedes Artwork persönlich ab. Und wenn dem Meister | |
was nicht gefällt, dann findet das auch nicht statt. Ich musste also | |
Zeichnungen machen und ein Probecover entwerfen, und dann war erst einmal | |
Zittern angesagt. | |
Und dann? | |
Dann passierte etwas wirklich Tolles. Murakami hat sich gewünscht, dass er | |
ab sofort jedes Bild von mir bekommt, sobald es fertig ist. Mittlerweile | |
sind vier Bücher aus Kurzgeschichten von Murakami entstanden. | |
Ich würde gern noch ein bisschen mehr darüber erfahren, wo Sie herkommen – | |
also wie Sie sich zu der Illustratorin entwickelt haben, die Sie heute | |
sind. Der Siebdruck hat da eine große Rolle gespielt, oder? | |
Das ist richtig! Ich komme vom Siebdruck her. Ich habe 1997 als Studentin | |
mit meinem Kommilitonen Jan Hülpüsch einen eigenen Verlag gegründet, den | |
Millionen Verlag. Und da haben wir unsere eigene Siebdruck-Edition | |
herausgegeben. Die Edition A.O.C. – bis zum Jahr 2000 ging das, alle drei | |
Monate eine neue Ausgabe. | |
Wie sah Ihr Magazin aus? | |
Wir haben den Innenteil dreifarbig gedruckt. In jeder Ausgabe haben wir | |
selbst etwas veröffentlicht, aber auch je fünf andere Künstler im Wechsel | |
eingeladen. Und da haben auch namhafte Künstler zugesagt. Wo kriegst du das | |
schon, dass deine Arbeiten so aufwendig reproduziert werden? | |
Wie hoch war die Auflage? | |
Klein! Am Anfang 100, später 200 Exemplare. Aber das hat uns schon an die | |
Grenze unserer Belastbarkeit gebracht, denn wir haben ja die ganze Logistik | |
selbst gemacht. Wir haben Leute eingeladen, sind ihnen wegen der Abgabe | |
hinterhergerannt, man bekommt die Dinge ja selten pünktlich. Und dann haben | |
wir mindestens einen Monat oder anderthalb Monate lang gedruckt. Also: 200 | |
mal 58 Seiten in drei Farben drucken, das war Wahnsinn. | |
Inwiefern? | |
Es war sehr oft so, dass wir bis morgens um vier in dieser Druckwerkstatt | |
standen. Ich habe mich aber bis zum Schluss geweigert, dort zu übernachten. | |
Also bin ich tapfer nach Hause gefahren – nur um dann morgens um halb | |
sieben wieder dort zu stehen. Wir waren ganz arm. Aber das war egal, wir | |
brauchten ja nichts. Wir brauchten immer nur das Geld für das nächste | |
Magazin – und mit unseren Abonnenten, die wir dann damals hatten, waren wir | |
immer auf plus minus null und konnten die nächste Ausgabe machen. Das war | |
toll. | |
Aber auch Eigennutz, oder? | |
Natürlich! Ich war damals ganz, ganz schüchtern. Ich hätte niemals gedacht, | |
dass mir für das, was ich zeichne, jemand Geld geben wird. Und da habe ich | |
zu mir gesagt: Guck dir nur mal die HdK an. Da gibt es 5.000 Studenten und | |
ich bin einer davon. Und in drei Jahren mache ich meinen Abschluss, und es | |
kennt mich immer noch keiner. Und danach bin ich Teil des Heers | |
arbeitsloser Grafiker. Dank des Magazins musste ich raus und in Buchläden | |
gehen und fragen, ob die für uns ein paar Exemplare verkaufen wollen. Ich | |
musste lernen, dass man alle Fragen stellen darf. | |
Wäre es heute noch möglich, so etwas zu machen? | |
Ich habe ein Kind, das gerade erwachsen wird und ausziehen möchte. Diese | |
Generation hat es viel schwerer, selbstständig zu werden. Sie sind auf die | |
Eltern angewiesen. Unsere Mieten waren dagegen zu vernachlässigen. Wir | |
konnten uns einfach alles nehmen, was wir brauchten. Mir war es auch total | |
egal, ob, was und wie viel ich esse. Nudeln mit Ketchup reichten. Und das | |
Bier war auch billig. | |
War es damals einfacher, neben dem Studium produktiv zu sein? | |
Ich habe mir große Freiheiten rausgenommen, alle möglichen Kurse | |
geschwänzt, mich durchgemogelt, abgeschrieben, wenn irgendwas abgegeben | |
werden musste. Sie haben uns trotzdem einfach machen lassen, uns in Ruhe | |
gelassen. Sie haben gesagt: Ihr seid zwar am Thema vorbei, aber ihr macht | |
wenigstens irgendwas. Ich fand das auch richtig. Das wäre heute alles nicht | |
mehr möglich. | |
Sie leben schon ganz schön lang hier in Prenzlauer Berg, oder? | |
Seit Anfang der 70er. Mit 18 habe ich hier meine erste Wohnung besetzt, wie | |
das damals so üblich war. Und dann bin ich nicht mehr weg. | |
Wie gefällt es Ihnen heute? | |
Na, sagen wir mal so: Ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich meine Wohnung | |
genau hier gefunden haben, an der Peripherie der großen Puppenstube | |
sozusagen. Hierher verirren sich kaum Touristen. Und ich habe einen Blick | |
auf den Fernsehturm, und das ist ein Bild, das mir sehr wichtig ist. Ich | |
kann mir nicht vorstellen, woanders zu wohnen, auch, wenn ich mir den Kiez | |
eigentlich gar nicht mehr so oft antue. | |
Wie das? | |
Ich habe noch ein Haus auf dem Land, im Nordosten, und bin viel weg, | |
vielleicht zu 70 Prozent sogar. Ich kann da gut arbeiten. Aber wenn ich | |
dann auf dem Land denke, dass ich die Klatsche kriege und langsam | |
verschrulle, dann genieße ich es auch, wieder nach [7][Prenzlauer Berg] zu | |
fahren und unter Leute zu gehen. | |
Haben Sie hier denn trotz der ganzen Umschichtung noch viele Freunde? | |
Na klar! Die wohnen alle im Umkreis von 500 Metern. Wir sind hier alle | |
aufgewachsen. | |
22 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.galiani.de/autor/kat-menschik/1481/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/E._T._A._Hoffmann | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Allan_Poe | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Kafka | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/cartoons/kat-menschik-der-goldene-gru… | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Haruki_Murakami | |
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Kat_Menschik | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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