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# taz.de -- Der Berliner Wochenendkommentar I: Minimale Menschlichkeit
> Kündigung wegen Eigenbedarf ist rechtens: Wohnraum hat einen emotionalen
> Wert. Das Mietrecht behandelt ihn nur als Ware. Sich darüber aufzuregen,
> ist richtig.
Bild: Sich ein leeres Zimmer leisten können? Das ist Luxus und kein Grundrecht
Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen ist nie schön. Selbst dann,
wenn man vor Ungerechtigkeit toben und sich über individuelles
Fehlverhalten aufregen möchte, ist ein Shitstorm gegen eine Einzelperson
zumindest aus ethischer Perspektive kaum vertretbar.
Manchmal steht das Fehlverhalten einer Person dennoch für etwas Größeres,
das öffentliche Aufmerksamkeit fordert – für [1][grundlegend verfehlten
MieterInnenschutz] zum Beispiel. So im [2][Fall von Jürgen Rostock]: Wegen
Eigenbedarf kündigte die Eigentümerin dem über 80-Jährigen seine Wohnung in
der Torstraße. Er klagte aufgrund seines fortgeschrittenen Alters auf
Härtefall, verstarb jedoch während des laufenden Verfahrens. Das
Landgericht Berlin entschied am Dienstag nun zugunsten der Eigentümerin.
Eigentum verpflichtet, bloß leider nicht zu Menschlichkeit. Es lässt sich
darüber streiten, ob die Eigentümerin mit Nachwuchswunsch nicht genauso ein
Anrecht auf die Wohnung hatte wie der über 80-jährige Langzeitmieter. Vor
Gericht war der Fall klar, weil die Härtefallregelung nach Rostocks Tod
hinfällig ist.
## Rechtens ist nicht immer gleich richtig
Schmerzhaft ungerecht wird die Geschichte durch ihren Kontext. Die
Eigentümerin hat (noch) kein Kind. Sie lebt in einer etwas kleineren
Dreiraumwohnung, wo es aber – wie sie im Interview mit einem
Minimalismus-Blog sagt – bereits in einem der Räume hallt wie im Museum,
weil sie sich dem entbehrungsfreudigen Lifestyle entsprechend vieler
Besitztümer entledigt hat.
Jürgen Rostock hatte in seiner Dreizimmerwohnung wohl ebenfalls kein
Platzproblem, lebte aber seit fast 30 Jahren in dem Wohnhaus und seinem
Kiez. Die Moral würde hier die rechtlich, emotional und körperlich
schwächere Partei schützen. Das Gesetz tut das nicht, und darüber muss man
sich aufregen.
Besonders jetzt, wo Wohnraum zum Luxusgut geworden ist, darf diese
Diskrepanz zwischen dem, was richtig ist, und dem, was rechtens ist, nicht
sein. Wohnraum ist eben keine austauschbare Ware, sondern ein Ort mit
emotionalem Wert. Dieser Wert steigt in der Regel, je länger man in der
Wohnung Routinen entwickelt, Erinnerungen schafft und das Selbst durch
Nippes oder Einrichtungsgegenstände nach außen kehrt. Diese Tatsache ließe
sich unkompliziert juristisch verankern.
Wer zum Beispiel in Dänemark LangzeitmieterIn ist, kann selbst bei
Eigenbedarf nicht so leicht gekündigt werden. Wenn in Frankreich ein
Mietverhältnis mit über 65-Jährigen beendet werden soll, gilt eine
Kündigungsfrist von drei Jahren. Dann müssen EigentümerInnen
Ersatzwohnungen für die MieterInnen finden. Es gibt genug Möglichkeiten; um
sie einzufordern, braucht es öffentlichen Druck.
21 Jul 2018
## LINKS
[1] /Kommentar-Eigenbedarfskuendigungen/!5518045
[2] /Eigenbedarfsklage-in-Berlin/!5517869
## AUTOREN
Lin Hierse
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Wohnen
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Berlin-Mitte
Räumungsklage
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