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# taz.de -- „Lifeline“-Kapitän vor Gericht: Wenn Leben retten strafbar sei…
> Die Staatsanwaltschaft wirft dem „Lifeline“-Kapitän vor, das Schiff sei
> nicht korrekt registriert worden. Ihm droht eine Haftstrafe von einem
> Jahr.
Bild: „Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch vor dem Gerichtsgebäude in Va…
Valletta taz | Seit dem Vormittag hatten Fotografen und Kameraleute vor dem
Gerichtsgebäude in Maltas prächtiger Hauptstadt auf Claus-Peter Reisch
gewartet. Kurz vor halb zwölf betrat der deutsche Kapitän aus Landsberg in
Bayern, gekleidet in ein kariertes Sakko, das Gerichtszentrum.
Konsularbeamte und ein Team von Anwälten begleiteten ihn. Im Saal 24 begann
der zweite Verhandlungstermin des Prozesses gegen Reisch.
Der hatte am 27. Juni das Rettungsschiff „Lifeline“ der deutschen
Organisation Mission Lifeline [1][in den Hafen von Valletta gesteuert]. An
Bord waren rund 230 MigrantInnen und Flüchtlinge, die meisten aus dem
Sudan, Somalia und Eritrea, dazu 17 deutsche Besatzungsmitglieder. Sechs
Tage war das Schiff zuvor auf dem Mittelmeer blockiert worden, die
Situation für einige der Menschen war lebensgefährlich.
Die Staatsanwaltschaft von Valletta wirft dem am vergangenen Montag auf
Kaution freigelassenen Reisch vor, das Rettungsschiff sei nicht korrekt in
den Niederlanden registriert gewesen. Mission Lifeline weist dies zurück.
Die in Dresden ansässige NGO glaubt, dass Maltas Regierung die Seenotretter
[2][aus politischen Gründen verfolgt].
Fraglich ist, warum den maltesischen Behörden die angeblich nicht korrekte
Registrierung erst jetzt auffiel: Die „Lifeline“ wurde schon im vergangenen
August gekauft – es handelt sich um das ehemalige Rettungsschiff Sea Watch
2 – und lag seither im Hafen von Valletta. Sie durfte ein- und ausfahren,
ohne dass es je Beanstandungen gegeben hätte. Reisch droht nun ein Jahr
Haft, das aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde.
Am Donnerstag traten zunächst nacheinander drei Polizisten und
Küstenwächter als Zeugen auf. Sie beschrieben, wie sie mit Reisch
kommuniziert hatten und erläuterten, dass die für die Koordination des
„Lifeline“-Einsatzes zuständige Rettungsleitstelle MRCC in Rom der
„Lifeline“ die Einfahrt nach Italien verweigert hatte. Gleichzeitig habe
Reisch nicht akzeptiert, dass die Libyer die Zuständigkeit für den Fall
übernehmen sollten. Reisch habe jedoch weiter Malta und Italien um Aufnahme
der Menschen gebeten.
Anschließend trat Ivan Sammut, ein Beamter des maltesischen
Schiffsregisters, in den Zeugenstand. Der behauptete, das die „Lifeline“
„staatenlos“ sei. Das Schiff sei zwar in den Niederlanden bei einem
„Yachtclub“ gemeldet, damit aber nicht für den internationalen Verkehr
unter niederländischer Flagge registriert.
Reischs Anwalt Cedric Mifsud protestierte: Dies könne ein maltesischer
Beamter gar nicht beurteilen. Daraufhin brüllten sich der Anwalt Mifsud und
der Richter, Joe Mifsud, minutenlang an.
Reisch wurde die auf maltesisch geführte Verhandlung übersetzt. Nach zwei
Stunden vertagte der Richter auf den kommenden Dienstag. Einen Antrag der
Verteidigung, den Prozess zu unterbrechen, damit Reisch seine 92-jährige
Mutter besuchen kann, lehnte das Gericht ab.
„Alle wollen, dass der Prozess ein schnelles Ende hat“, sagte Reisch. „Die
Insel ist schön, aber ich will hier nicht länger bleiben.“ Er habe Familie,
seine hochbetagte Mutter feiere bald Geburtstag, da wolle er zu ihr dürfen.
Er sei nicht vorbestraft, habe mit den Behörden zusammengearbeitet und alle
Fragen beantwortet. Zudem sei er bereit, zurückzukommen und sich auch dem
Rest der Verhandlung zu stellen. „Wie kann es sein, dass Leben retten eine
Straftat ist?“ fragte Reisch.
Während der Verhandlung protestierten AktivistInnen vor dem Gerichtsgebäude
in der Fußgängerzone. Wo Tausende Touristen entlang flanierten, breiteten
sie Leichensäcke auf dem Boden aus, auf die sie die Zahl der Ertrunkenen
allein in der vergangenen Woche gesprüht hatten: 500.
„Sehr seltsam“ sei die Behauptung, das Schiff sei „staatenlos“ gewesen,
sagte einer von Reischs Anwälten nach der Verhandlung. Die Verteidigung
will nun Vertreter des niederländischen Schiffsregisters als Zeugen laden.
„An die haben wir sehr interessante Fragen“, sagte der Anwalt.
Derweil landete am Donnerstagmorgen ein Flugzeug mit 52 der Geretteten der
„Lifeline“ auf dem Flughafen Paris Charles de Gaulle. Malta hatte die
„Lifeline“ nach der tagelangen Blockade nur deshalb in den Hafen gelassen,
weil insgesamt neun EU-Staaten erklärt hatten, einen Teil der Menschen
aufzunehmen. Die Verantwortung untereinander aufzuteilen, sei möglich und
könne auf „menschliche und effektive“ Art und Weise übernommen werden,
twitterte Maltas Premier Joseph Muscat.
In den letzten Jahren hatten fast alle privaten Seenot-NGOs in Malta ihr
Basislager errichtet und waren mit den Behörden gut ausgekommen. Allerdings
wurden die auf See Geretteten schon seit Jahren nicht mehr in den winzigen
Inselstaat Malta gebracht – der näher an Libyen liegt – sondern nach
Italien. Genau dies aber blockiert seit einigen Wochen Italiens
rechtsextremer Innenminister [3][Matteo Salvini]. Malta gibt den Druck auf
die Seenotretter direkt weiter: Sie dürfen [4][nicht mehr auslaufen]. Dabei
sind allein im zentralen Mittelmeer in den letzten vier Wochen 564 Menschen
ertrunken.
Am Samstag will die Initiative seebruecke.org in mehrere deutschen Städten
für ein Ende der Blockade der Seerettung demonstrieren.
5 Jul 2018
## LINKS
[1] /Seenotrettungsschiff-vor-Malta/!5516647
[2] /Nach-Drama-um-Rettungsschiff-Lifeline/!5516954
[3] /Rettungsschiffe-von-deutschen-NGOs/!5513556
[4] /Lifeline-und-Sea-Watch-im-Mittelmeer/!5514619
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Mittelmeer
Lifeline
Seenotrettung
Migration
Mission Lifeline
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Flüchtlingshilfe
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Malta
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