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# taz.de -- Schuldspruch im Berliner Kippa-Prozess: „Ein sehr unbefriedigende…
> Der 19-jährige Syrer wurde nach Jugendstrafrecht schuldig gesprochen. Er
> kommt mit einer glimpflichen Strafe davon. Am Urteil gibt es Kritik.
Bild: Der Hausarrest gilt wegen der Untersuchungshaft als verbüßt, sodass der…
Berlin taz/dpa | Zwei Monate nach dem Gürtel-Angriff auf einen Kippa
tragenden Israeli in Berlin ist ein 19-Jähriger wegen Beleidigung und
Körperverletzung [1][schuldig gesprochen worden]. Das Amtsgericht
Tiergarten verhängte am Montag einen Arrest von vier Wochen gegen den Syrer
Knaan Al S. nach Jugendstrafrecht. Zudem wird er für ein Jahr unter
Erziehungsaufsicht gestellt. Der Arrest gilt wegen der Untersuchungshaft
als verbüßt. Der Verurteilte kommt frei. Laut Urteil muss der 19-Jährige
zudem das Haus der Wannsee-Konferenz besuchen. In der Villa am Berliner
Wannsee hatten die Nazis die systematische Vernichtung der Juden
abgesprochen. „Vielleicht kann das ja ein erstes kleines Nachdenken
bewirken“, so der Richter Günter Raecke zum Angeklagten, „damit Sie sich
nicht mehr fragen müssen: Was haben die sich denn alle so?“.
Dem Urteil zufolge schlug der Syrer den jungen Israeli mehrmals mit einem
Hosengürtel, dessen Freund, ein Deutsch-Marokkaner, beschimpfte er
antisemitisch. Beide trugen am 17. April im Stadtteil Prenzlauer Berg die
traditionelle Kopfbedeckung jüdischer Männer. Der Angriff hatte eine
Antisemitismus-Debatte ausgelöst, in mehreren deutschen Städten [2][gab es
Solidaritätskundgebungen]. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich
betroffen gezeigt.
Mit dem Urteil sind nicht alle glücklich. „Ich finde es sehr
unbefriedigend“, sagte Mike Samuel Delberg nach der Verkündung. Er hat für
die Jüdische Gemeinde zu Berlin das Verfahren beobachtet. „Das Wort
Antisemitismus ist in der Urteilsbegründung kein einziges Mal gefallen“, so
Delberg, „und die Botschaft lautet nun: Wer einen anderen schlägt, weil der
Jude ist, bekommt vier Wochen Arrest, einen Ausstellungsbesuch und einen
Life-Coach.“ Mit dem „Life-Coach“ meint Delberg, der auch zum zweiten
Prozesstag am Montag demonstrativ mit Kippa erschienen war, den
Betreuungshelfer, der Al S. ein Jahr lang zur Seite stehen soll.
Die Anwältin des Geschädigten Adam Armush als Nebenkläger hatte [3][die
Judenfeindlichkeit des Angriffs] in den Mittelpunkt gestellt. In ihrem
Plädoyer hatte sie sich mit flammenden Worten an den Angeklagten gewandt
(„Der Hass, den Sie im Herzen tragen, ist wie ein Vulkan, der sich in Ihrem
Angriff entladen hat“) und das geflügelte Wort von der Sicherheit Israels
als deutscher Staatsräson bemüht: „Wenn hier jemand einen israelischen
Bürger attackiert, tritt Deutschland in die Verantwortung, Herr Al S.“.
## Ziel der Nebenklage: Antisemitismus nachzuweisen
Möglicherweise keine besonders kluge Argumentation, denn davon, dass der
Angreifer die beiden Kippa-Träger nicht nur als – vermeintliche – Juden,
sondern als Israelis identifiziert habe, war ja gar nicht die Rede gewesen.
Offenkundiges Ziel der Nebenklage war es, Knaan Al S. und seinem zwei Jahre
älteren Cousin Mohamad, der ihn begleitet hatte und am Montag als Zeuge
aussagte, Antisemitismus als Triebfeder nachzuweisen.
Ob er sich für Politik interessiere, wollte Armushs Anwältin vom Cousin
wissen. Was er von Israel halte? Ob er für die Facebook-Seite der syrischen
Jerusalem-Brigade (Liwa al-Quds) ein Like vergeben habe? Ja, habe er, so
Mohamad Al S., weil sich die vor allem aus Palästinensern aus seinem
ehemaligen Wohnviertel in Damaskus zusammensetze und weil sie an der Seite
der Armee gegen terroristische Gruppen in Syrien kämpfe. Im Übrigen habe es
Israel auf den Landkarten in seinen Schulbüchern gar nicht gegeben. „Was
denn dann?“, so der Richter. „Palästina, das Land meiner Großväter.“
Bisweilen wurde recht deutlich, dass Richter Raecke nicht sonderlich
interessiert war, gegen Knaan Al S. ein Exempel wegen antisemitisch
motivierter Gewalt zu statuieren. Ob die Nebenklage den Prozess zu einem
Seminar über politische Auffassungen machen wolle, fragte er einmal, um
später noch zu erwähnen, dass seine eigene Familie vor einiger Zeit einen
palästinensischen Austauschschüler aufgenommen habe, der dann auch
„Schreckliches“ zu berichten hatte.
Die Begegnung mit den beiden Kippa tragenden Männern am Helmholtzplatz, so
Raecke, habe Al S. als „Ventil“ für seinen aus allen möglichen Gründen
angestauten Frust gedient. Das gemeinsame Narrativ des Angeklagten und
seines Cousins verfing bei Richter und Schöffen jedenfalls nicht: Sie
hätten sich gegenseitig im Spaß beleidigt, dabei sei unter anderem der
Spruch „Ich verfluche deine Juden“ gefallen. Den hätten Armush und sein
Freund, die auf der anderen Straßenseite unterwegs waren, auf sich bezogen
und die drei Araber ihrerseits als „Hurensöhne“ beschimpft, was Al S. dann
zum Anlass für die Gürtelattacke genommen haben wollte.
## Gegen den Zeugen wird wegen Beleidigung ermittelt
Erst währenddessen – das Video ging viral – wollte er Armushs Kippa bemerkt
haben, was die „Jude“-Rufe erkläre. Dass er anschließend noch eine Flasche
hochgehoben habe, sei auch nicht als Drohung gemeint gewesen, sondern habe
der Verteidigung gegen Armush dienen sollen, der ihm auf die andere
Straßenseite gefolgt sei. „Da passt gar nichts zusammen“, befand der
Richter in der Urteilsbegründung und folgte hier den Einschätzungen des
Staatsanwalts.
Das Gericht habe „nicht den geringsten Grund“ finden können, warum sich die
Kippa-Träger mit der syrisch-palästinensischen Gruppe hätten anlegen
sollen. Es schenkte den Erläuterungen des jungen Israelis und seines
deutsch-marokkanischen Freundes Glauben, dass Knaan Al S. die beiden von
Anfang aufgrund der Kopfbedeckung als Juden identifiziert und [4][genau
deshalb angefeindet] habe.
Dass dieser im Rahmen seiner eigenen Version ganz freimütig bekannt hatte,
er habe sich im Recht gefühlt, auf Beleidigungen mit Schlägen zu antworten,
sei „schon ein starkes Stück“, meinte Raecke. „Da hat jemand ganz gründ…
etwas nicht verstanden.“ Auch die durch den Anwalt von Al S.' Cousin in die
Welt gesetzte Mutmaßung, bei der ganzen Angelegenheit habe es sich um einen
Fake gehandelt, ja selbst eine der Zeuginnen sei möglicherweise eingeweiht
gewesen, kam noch einmal auf. „Das war alles eine ganz schlechte
Inszenierung“, so Mohamad Al S. in seiner Zeugenaussage, „um das als
rassistisch oder so aufzubauschen.“
Ob er damit meine, alles sei nur eine Show gewesen, fragte Richter Raecke
nach: „Glauben Sie, da gab es ein Drehbuch, und Sie haben sich naiverweise
zum Mitspieler gemacht?“. Ganz so wollte es der Zeuge, gegen den selbst
wegen Beleidigung ermittelt wird, dann doch nicht verstanden wissen: „Ich
kann nicht sagen, dass es von Anfang an so gemeint war. Aber als plötzlich
alle Politiker darüber geredet haben, dachte ich wirklich, vielleicht ist
es eine Intrige.“
26 Jun 2018
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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