| # taz.de -- 68er-Buch „Der gläserne Sarg“: Deutsche Kulturrevolutionäre | |
| > Die Ikone Mao wirkte sehr anziehend: Willi Jasper, Mitgründer der KPD/AO, | |
| > legt mit „Der gläserne Sarg“ ein selbstkritisches 68er-Buch vor. | |
| Bild: Wachsoldaten vorm Schrein mit dem Leichnam des chinesischen Staatsführer… | |
| Es gibt nicht viel Literatur von Zeitzeugen, wenn es um 1968 geht, schreibt | |
| Willi Jasper in seinem neuen Buch, und er hat damit zugleich unrecht und | |
| recht. Denn selbstverständlich gibt es Dutzende Autobiografien von 68ern, | |
| die mal mehr, mal weniger selbstbesoffen von ihren Abenteuern bei | |
| Demonstrationen berichten, auch gibt es, das räumt Jasper selbst ein, eine | |
| Unmenge von Nachrufen, in denen Weggefährtinnen und -gefährten ihre | |
| Erinnerungen schildern. Dennoch gibt es ein Erinnerungsbuch wie „Der | |
| gläserne Sarg“, das Jasper nun vorlegt, selten – denn es ist | |
| selbstkritisch, und der Jasper von heute fühlt sich seinem jugendlichen Ego | |
| gegenüber nicht überlegen. | |
| Jasper gehörte gegen Ende der 60er-Jahre zu den Gründern der | |
| Kommunistischen Partei Deutschlands, Aufbauorganisation, kurz KPD/AO. Der | |
| gläserne Sarg, der den Titel gibt, ist dem Märchen der Brüder Grimm | |
| entliehen – zugleich fußt er auf einer Erfahrung. Denn Jasper hatte den im | |
| gläsernen Sarg aufgebahrten Mao gesehen (oder eine lebensecht wirkende | |
| Mao-Puppe), diesem Mao-Korpus aber fehlte all das Heroische, das sich der | |
| Chinareisende erhofft hatte – eher sah dieser Mao alt und verbittert aus. | |
| Die KPD/AO war eine durch und durch maoistische Partei – Jasper schildert, | |
| wie viele seiner Weggefährten dem Maoismus näherstanden als dem | |
| Sowjetsozialismus, selbst Rudi Dutschke konnte dem chinesischen | |
| Revolutionsführer etwas abgewinnen. | |
| In einer Atmosphäre, in der auf Demonstranten geschossen wurde, | |
| Berufsverbote aufkamen (die ja noch heute verhängt werden) und in der im | |
| Jargon der Nazis über Studenten gesprochen wurde, war es nicht | |
| verwunderlich, dass sich auch die Germanistinnen und Germanisten zu Roten | |
| Zellen zusammenschlossen, und in eine streng geführte Partei strebten, die | |
| die Erfahrungen aus der Studentenrevolte in eine Revolution überführen | |
| sollte. | |
| Die Mao-Bibel und die Ikone Mao wirkten dabei sehr anziehend, lehrten sie | |
| doch die Sehnsucht nach einem fernen Land, in dem nach dem fatalen „Großen | |
| Sprung“, der das Land in wirtschaftliches Chaos gestürzt hatte, nun die | |
| „Kulturrevolution“ ausgerufen worden war, mit der sich die Partei selbst | |
| revolutionieren sollte. | |
| ## China schöner aussehen lassen | |
| Jasper räumt ein, dass die Mitglieder der KPD/AO der chinesischen Partei | |
| begeistert folgten, dass man die Sowjetunion öffentlich anprangerte, um | |
| China schöner aussehen zu lassen, und die Opfer, die die „Kulturrevolution“ | |
| in Asien forderte, nicht sehen wollte oder leugnete. Heute weiß Jasper, | |
| dass damals „Millionen Menschen öffentlich gedemütigt, gefoltert, ermordet | |
| oder in den Selbstmord getrieben und zahllose kulturhistorisch bedeutsame | |
| Bauten und religiöse Stätten zerstört“ worden sind. | |
| Daher geht es ihm darum, am eigenen Beispiel zu erläutern, warum er, der | |
| spätere Stalin-Forscher Karl Schlögel oder der damalige Parteiführer und | |
| spätere taz-Autor Christian Semler so begeistert an China glaubten – bis | |
| sie nach Maos Tod in das Sehnsuchtsland eingeladen wurden und dabei sahen, | |
| dass Arbeiter, deren Werk ausgiebig besungen wurde, genauso ausgebeutet | |
| wurden wie in den Jahren vor Maos Aufstieg. Infolge solcher | |
| Desillusionierungen löste sich die KPD/AO schließlich auf. | |
| Man hätte sich in Jaspers Buch genauere Quellenangaben gewünscht, denn den | |
| vielen geistigen Pfaden, die Jasper in einem derart schmalen Buch nur | |
| andeuten konnte, wäre man gern noch ein bisschen weiter gefolgt. Zu einer | |
| der eindrücklichsten Szenen etwa gehört die Schilderung, wie ein deutscher | |
| Genosse begeistert von der „Kulturrevolution“ schwärmt und das chinesische | |
| Publikum sich dabei vor Lachen krümmt. | |
| Der Idealismus, der den Deutschen bewegte, war den Chinesen, die wussten, | |
| was diese „Kulturrevolution“ bedeutete, längst abhandengekommen. Jasper, | |
| der noch immer ein Linker ist, kann dies schildern, ohne die | |
| sozialistischen Utopien völlig zu verdammen und sich als „geläutert“ | |
| darstellen zu müssen. Er weiß, dass die Linke aus ihren Fehlern lernen | |
| sollte. Auch deshalb ist „Der gläserne Sarg“ ein wichtiges Buch. | |
| 2 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Sundermeier | |
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