# taz.de -- Aufarbeitung der Franco-Ära in Spanien: Die Babys des Dr. Vela | |
> Während und nach der Franco-Diktatur sollen 30.000 Babys ihren Müttern | |
> entrissen worden sein. Ein Arzt steht jetzt vor Gericht. | |
Bild: Ines Madrigal vor einem Gericht in Madrid | |
Madrid taz | Inés Madrigal wurde am Dienstag früh von Dutzenden von | |
LeidensgenosInnen mit Applaus empfangen. „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!“, | |
rief die Menge, als die 1969 geborene Frau aus der spanischen Provinz | |
Murcia das Amtsgericht von Madrid betrat. Sie ist, wie diejenigen, die sie | |
empfingen auch, ein „gestohlenes Baby“. Sie hat es geschafft, den | |
85-jährigen Arzt Eduardo Vela vor Gericht zu bringen, der ihre | |
Geburtsurkunde einst gefälscht und sie an ihre Adoptiveltern übergeben | |
haben soll. | |
Vela war damals der Chefgynäkologe der Madrider Geburtsklinik San Ramón. | |
Ihm drohen im Falle eine Verurteilung bis zu 11 Jahre Haft sowie 350.000 | |
Euro Schadensersatz wegen „Entführung eines Minderjährigen“, | |
„Kindesunterschiebung“ und „Urkundenfälschung“. | |
Madrigal ist sich sicher, dass sie ihrer leiblichen Mutter nach der Geburt | |
weggenommen und ihrer Adoptivmutter übergeben worden war. Der Beweis: Ihre | |
Adoptivmutter Inés Pérez hatte ihr das gestanden, als sie im Alter von 17 | |
Jahren feststellte, dass die Frau, die sie bis dahin für ihre leibliche | |
Mutter hielt, unfruchtbar war. Madrigals Geburtsurkunde ist dennoch auf den | |
Namen ihrer Adoptiveltern ausgestellt. Die Unterschrift stammt von Doktor | |
Vela. | |
Von ihrer Adoptivmutter erhielt Madrigal bis zu deren Tod 2016 | |
Unterstützung bei der Suche nach der leiblichen Mutter und beim Verfahren, | |
obwohl sie sich dafür selbst anzeigen musste. Ihre Version: Vela habe ihr | |
das Baby aus Mitleid wegen ihrer Unfruchtbarkeit geschenkt. Madrigal ist | |
sich sicher, dass ihr Adoptivvater Geld an einen Pfarrer bezahlt hat, der | |
die Adoption eingefädelt haben soll. | |
Der Fall Madrigals ist das erste Verfahren wegen Babydiebstahl, aber | |
ziemlich sicher nicht der letzte. In den ersten Jahren der Diktatur von | |
General Francisco Franco wurden in Spanien rund 30.000 Kinder ihren | |
leiblichen Müttern weggenommen und an regimetreue Adoptiveltern verkauft. | |
Die leiblichen Mütter waren meist politische Gefangene. | |
## Der Raub war ein gutes Geschäft | |
Was aus ideologischen Motiven begann, um die Kinder vor den „roten Müttern“ | |
zu retten, ging bis in die 1990er-Jahre weiter, lange nach Ende der | |
Diktatur. Opfer wurden nun „gefallene Mädchen“ – junge alleinstehende | |
Schwangere – aus einfachen Verhältnissen. | |
Der Raub der Babys war ein gutes Geschäft, nicht nur in Madrid. Frauen wie | |
Madrigals Adoptivmutter warteten in einem Nebenzimmer, mit künstlich | |
ausgestopftem Schwangerschaftsbauch auf die Geburt. Sie entfernten die | |
Kissen unter ihrer Kleidung und verließen als „Mutter“ die Klinik. Es | |
flossen hohe Geldbeträge. Die Betroffenenorganisationen gehen davon aus, | |
dass insgesamt rund 300.000 Babys geraubt und verkauft wurden. | |
Immer wieder taucht dabei der Name der Klinik San Ramón und von Doktor Vela | |
auf. Die Nonne María Florencia Gómez Valbuena, die dem Arzt zur Seite | |
stand, starb kurz vor einem Gerichtsverfahren gegen sie im Januar 2013. Ein | |
Reporterteam der mittlerweile eingestellten Zeitschrift Interviú enthüllte | |
bereits 1981 die mafiösen Machenschaften der Klinik. Ein Fotograf stieg | |
dort nachts ein und fand ein totes Baby, das vermutlich den Müttern als | |
Beweis für den tragischen Tod ihres Neugeborenen gezeigt wurde. | |
Ermittlungen gegen Vela, durchgeführt von einem Polizeibeamten, der unter | |
der Diktatur gefoltert haben soll, wurden 1982 eingestellt. | |
Madrigal gehört zu einer Gruppe von 260 mutmaßlich gestohlenen Babys und | |
Müttern auf der Suche nach ihren Kindern, die Ende der Nullerjahre vor | |
Gericht gegangen waren. Der mittlerweile seines Amtes enthobene spanische | |
Star-Richter Baltasar Garzón begann damals zu ermitteln. | |
Madrigal macht sich wenig Hoffnungen, dass Vela preisgeben könnte, wer ihre | |
eigentliche Mutter war. „Vergesst es, eure Eltern zu finden. Alles lief | |
mündlich, es gibt keine Archive und keine Beweise auf Papier“, hatte er | |
gegenüber der Zeitschrift Interviú 2011 erklärt. Vor Gericht leugnete Vela | |
alles: „Ich habe niemandem ein Mädchen gegeben“, sagte er am Dienstag aus. | |
26 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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