# taz.de -- Die Wahrheit: „Schmaaz wia a Britsch!“ | |
> Der Suhrkamp-Verlag macht es möglich: Alles über Franz Beckenbauers | |
> Kant-Krisen in einem neuen Prachtband. | |
Bild: Disparate Richtungen des Denkens: Beckenbauer (l.) und Kant im Dialog | |
Es ist kein Geheimnis, dass der reife Franz Beckenbauer sich intensiv mit | |
Philosophie beschäftigt hat. Auf seinem Nachttisch haben unter anderem die | |
Werke von Konfuzius, Plato, Schopenhauer, Jostein Gaarder, Richard David | |
Precht und Peter Sloterdijk gelegen. Neu ist allerdings die Nachricht, dass | |
er sich auch an Immanuel Kant herangewagt hat, und an den Standard einer | |
Breaking News reicht die Meldung heran, dass der Suhrkamp Verlag in diesem | |
Herbst eine faksimilierte Ausgabe von Beckenbauers persönlichem Exemplar | |
der „Kritik der reinen Vernunft“ veröffentlichen wird – mit | |
handschriftlichen Notizen, die der „Kaiser“, wie man ihn gern nennt, mit | |
einem Stabilo-Fineliner am Seitenrand untergebracht hat. | |
Da geht es gleich gut los. „Die menschliche Vernunft hat das besondere | |
Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse, daß sie durch Fragen | |
belästigt wird, die sie nicht abweisen kann“, heißt es in Kants Vorrede zur | |
ersten Ausgabe vom Jahre 1781. Beckenbauer hat die Worte „durch Fragen | |
belästigt“ unterstrichen und dazu angemerkt: „Kenn ich! Einziges | |
Gegenmittel: Schwamm drüber!“ | |
Einige Seiten danach hat er die Worte „a priori“ unterstrichen und den | |
Kommentar hinzugefügt: „Erinnert mich an Domobrowski oder wie der Kaas | |
heißt.“ Dankenswerterweise wird dieses Detail, so wie auch viele andere, im | |
Fußnotenapparat erläutert: Beckenbauer hatte einst den FC Dnjepr | |
Dnjepropetrowsk als „Domobrowski“ verballhornt und fühlte sich durch Kants | |
Wortwahl offensichtlich in eine schwierige Phase der Münchner Bayern | |
zurückversetzt. | |
## Die Auflagen der Autobiografien | |
Auf die nicht ohne Stolz vorgetragene Erklärung des Königsberger | |
Philosophen, dass es sich bei seiner „Kritik der reinen Vernunft“ um „ein | |
großes und wichtiges Werk“ handele, hat Beckenbauer mit der leicht | |
schnippischen Randglosse reagiert: „Ja mei, aber wer hat’s gekauft?“ Dabei | |
leitete ihn wahrscheinlich die Überzeugung, dass die Auflagen seiner beiden | |
Autobiografien – „Einer wie ich“ (1975) und „Ich – Wie es wirklich wa… | |
(1992) – deutlich höher liegen als die des Gesamtwerks von Kant. Und im | |
folgenden verstärkt sich von Seite zu Seite der Eindruck, dass Beckenbauer | |
mit ihm, salopp gesagt, ein Hühnchen zu rupfen hat. | |
Hören wir noch einmal Kant: „Nun scheint es zwar natürlich, daß, so bald | |
man den Boden der Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit | |
Erkenntnissen, die man besitzt, ohne zu wissen woher, und auf den Credit | |
der Grundsätze, deren Ursprung man nicht kennt, sofort ein Gebäude | |
errichten werde, ohne der Grundlegung desselben durch sorgfältige | |
Untersuchungen versichert zu sein, daß man also die Frage vorlängst werde | |
aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Kenntnissen a | |
priori kommen könne, und welchen Umfang, Gültigkeit und Werth sie haben | |
mögen.“ Wozu Beckenbauer nur trocken anmerkt: „Schmarrnbeppi, der! Des is a | |
Schmaaz wia a Britsch!“ | |
Auf den restlichen Seiten fallen auch noch andere schimpfliche Ausdrücke | |
wie „Saupreiß“, „Kletznsepp“, „Schlawuzi“ und „Zwiderwurzn“, d… | |
schließen lassen, dass Beckenbauer den Ausführungen Kants mit Reserve | |
begegnet. Sage und schreibe dreißig Fragezeichen hat er neben einen Absatz | |
gemalt, in dem Kant die transzendentalen Aufgaben der reinen Vernunft | |
erörtert („Die kosmologischen Ideen haben allein das Eigentümliche an sich, | |
daß sie ihren Gegenstand und die zu dessen Begriff erforderliche empirische | |
Synthesis als gegeben voraussetzen können, und die Frage, die aus ihnen | |
entspringt, betrifft nur den Fortgang dieser Synthesis, so fern er absolute | |
Totalität erhalten soll, welche letztere nichts Empirisches mehr ist, indem | |
sie in keiner Erfahrung gegeben werden kann“). | |
Kein Zweifel: Aus Franz Beckenbauer und Immanuel Kant werden in diesem | |
Leben keine elf Freunde mehr. Sie haben einander nicht viel zu sagen – und | |
Kant Beckenbauer sogar noch weniger als Beckenbauer Kant. Was also mag den | |
Suhrkamp Verlag dazu bewogen haben, dieses Buch ins Programm aufzunehmen? | |
## Nachwort mit Spurenelementen | |
Eine Antwort auf diese Frage findet sich auch in dem von Lothar Matthäus | |
beigesteuerten Nachwort nur in Spurenelementen. „Der Franz war immer ein | |
absoluter Stratege“, liest man dort. „Deshalb hat er auf dem Platz auch die | |
absolute Totalität verlangt, und das verbindet ihn vielleicht mit dem | |
Immanuel. Ich sehe da ein ausgeglichenes Chancenplus auf beiden Seiten. Da | |
gibt es natürlich auch erbitterte Rivalität und viele Emotionen. Das ist | |
eben der Wettbewerb. So läuft heute das Geschäft. Wenn ich ein Buch vom | |
Franz lese und hinterher ‚Die Kritik der reinen Vernunft‘, dann sind das | |
Welten. Auch der Bastian Schweinsteiger hat beispielsweise eine ganz andere | |
Spielweise gehabt. Der hätte nie allein auf der defensiven | |
Mittelfeldposition spielen können. Wenn der Gegner die Räume im Zentrum eng | |
macht, hilft nur aggressives Pressing. Da kann man nicht von Tikitaka | |
träumen!“ | |
In der Branche hat sich unterdessen herumgesprochen, dass Franz Beckenbauer | |
für den Herbst 2018 eine große Lesereise durch Deutschland plant, gemeinsam | |
mit dem Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner, der die von Beckenbauer | |
kommentierten Kant-Zitate vortragen soll. Hier die vorläufig noch geheimen | |
Tourdaten: 28. 10. Berlin, Journalisten Club im Axel-Springer-Hochhaus; 29. | |
10. Sölden, Felsenstüberl; 30. 10. Zirndorf, Playmobil FunPark; 1. 11. | |
Aschaffenburg, Schlappeseppel; 2. 11. Meppen, | |
Yummi-Yummi-Erdbeer-Sahne-Bärchen-Kampfbahn; 3. 11. Hannover, Funky | |
Kitchen; 4. 11. Mainz, Sekretariat der Kant-Gesellschaft. Die Karten kosten | |
im Vorverkauf 1,80 Euro; an der Abendkasse 2,10 Euro. U-21-Nationalspieler | |
und Frauen unter 28 haben freien Eintritt. | |
27 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Henschel | |
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