# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Elf mal Marx im Aufgebot | |
> Sport diene der Reproduktion der Arbeitskraft, so hieß lange das linke | |
> Dogma. So spaßbefreit betrachtet heute wohl kaum jemand mehr das | |
> Sporteln. | |
Bild: Marx muss vom Platz: Offenbachs Trainer Oliver Reck verteilt keine Geburt… | |
Wenn es um Sport geht, wähnt sich die deutsche Linke zu Zeiten des 200. | |
Geburtstags von Karl Marx gut aufgestellt. Konkret darf man sich das wohl | |
etwa so vorstellen: | |
Tor: Thorsten Vangsgard Marx (Thisted FC, Dänemark) | |
Abwehr: Alexander Marx (Barsbütteler SV) – André Marx (TuS Koblenz) – | |
Oliver Marx (AFC Wrexham, Wales) – Jan-Hendrik Marx (Kickers Offenbach) | |
Mittelfeld: Steven Marx (VSG Altglienicke) – Dominik Marx (VfL Wolfsburg, | |
U19) – Joshua Marx (Hamburg Hurricanes) – Kai-Niklas Marx (Heesseler SV) – | |
Pascal Marx (SG Osburg/Thomm/Lorscheid) | |
Angriff: John Marx (SV Grün-Weiß Großbeeren) | |
Als Trainer könnten Stephan Engels, einst 1. FC Köln, oder Gert Engels, | |
Co-Trainer beim FC Vissel Kobe in Japan, genannt werden. | |
Ist die Linke mit derart vielen Marxens in kurzen Hosen also gut | |
aufgestellt? Nur wenn man’s sehr, sehr oberflächlich mag. Was hierzulande | |
vor und nach „68“ an Sportkritik vorgetragen wurde, ist leider sehr dünn. | |
„Aber stell dir mal vor / Bundesligaendspiel“ sang Franz-Josef Degenhardt | |
1968 in seiner „Verteidigung eines Sozialdemokraten vor dem Fabriktor“, und | |
neben der lustigen Vorstellung eines Ligafinales ließ der Barde seiner | |
Kompetenz auch sonst freien Lauf: „Aber angenommen sogar, ich bin Fritz | |
Beckenbauer / die hören doch gar nicht hin“, ist auf einer Liveaufnahme von | |
1973 deutlich zu hören. | |
Doch auch da, wo man sich explizit um den Sport kümmern wollte, war nicht | |
viel Expertise. „Der Leistungssport ist ein Zerrspiegel, der der | |
Gesellschaft ihr Bild zurückwirft, in dem sie sich zu erkennen glaubt und | |
das sie schön findet'“, schrieb der Soziologe Lothar Hack 1972. „Es hat | |
wenig Sinn, auf den Spiegel zu schießen.“ | |
## Eigentore der Beherrschten | |
Und der Psychologe Gerhard Vinnai formulierte in seiner 1970 erschienenen | |
Kampfschrift „Fußballsport als Ideologie“, dieser Sport versuche, „die | |
Menschen unerbittlich zur Bedienung der Maschine einzuschulen, in dem er | |
durch sein Training den Leib und die Seele tendenziell der Maschine | |
angleicht“. Die Argumentation gipfelte in dieser Erkenntnis: „Die Tore auf | |
dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten.“ | |
Unmittelbar auf Marx bezog sich weder Vinnai noch ein anderer | |
Sportkritiker. Wie auch? „Der Turnunterricht fällt durchgehend aus“, | |
notiert Jürgen Neffe in der recht neuen Biografie („Marx. Der | |
Unvollendete“). Schlimmer noch: In Marx’ „Kapital“ findet sich im – s… | |
empirisch gehaltenen – 13. Kapitel eine kurze Anmerkung über „die | |
Möglichkeit der Verbindung von Unterricht und Gymnastik mit Handarbeit“. | |
Marx bezieht sich auf Erkenntnisse von Fabrikinspektoren. Aus dieser | |
dürftigen Notiz wurde später, vor allem in der DDR, eine Art „marxistische | |
Sporttheorie“ gezimmert. | |
Das ist ärgerlich, denn Sport gilt in dieser Perspektive nur als etwas, das | |
der Reproduktion der Arbeitskraft dienlich ist. Dass Fußball Spaß machen | |
kann, dass er professionell betrieben, ja, sogar zum Traumberuf avancieren | |
kann, das findet in dieser Sporterklärung als „Gymnastik mit Handarbeit“ | |
nicht statt. Noch schlimmer: Wer Sport mag, gilt als verblendet, verhangen | |
in falscher Ideologie, abgelenkt vom Klassenkampf. | |
Immerhin: So platt formuliert, argumentiert derzeit wohl kaum noch jemand. | |
Bleibt die Frage, ob Witze über Marx-Engels-Fußballmannschaften wirklich | |
besser sind. Eine gute Aufstellung ist was anderes. | |
11 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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