# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Wer sich dumm stellt, spielt gut | |
> Der Fußballbetrieb übersieht Diskriminierungen immer wieder großzügig. Er | |
> verleugnet seinen politischen Gehalt und läuft so bestens. | |
Bild: Der weiße Kaiser spricht: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven … | |
Nein, dumm sind Fußballer nicht, auch Sinisa Mihajlovic nicht, der | |
serbische Trainer des FC Turin. Als Mihajlovic auf die Aufkleber mit | |
antisemitischen Sprüchen und dem Motiv Anne Franks angesprochen wurde, die | |
jüngst von Fans von Lazio Rom massenhaft im Stadion verbreitet wurden, | |
beteuerte er, nicht zu wissen, wer das abgebildete jüdische Mädchen war. | |
Wenn Mihajlovic klug ist, wird er seine Behauptung, noch nie von Anne | |
Frank, ihren Tagebüchern und ihrem Schicksal gehört zu haben, noch eine | |
ziemliche Weile durchziehen. Und der Fußball, so ist zu befürchten, wird | |
ihm seine Schaustellung von Ignoranz danken. Denn dieser Sport lebt ja von | |
der Behauptung, er sei „nur ein Spiel“, das „mit Politik nichts zu tun“ | |
habe. Gerade diese Lüge ist es ja, die den Fußball so groß gemacht hat. | |
Das war schon immer so. Als 1994 im Berliner Olympiastadion ein Länderspiel | |
zwischen Deutschland und England ausgetragen werden sollte, sagte der | |
damalige Bundestrainer Berti Vogts gefühlte drei Wochen lang in jedem | |
Interview zum avisierten Termin, dem 20. April: „Ich weiß nicht, wer an | |
diesem Tag Geburtstag hat.“ | |
## Fußball und Folter | |
1978 fand die Fußball-Weltmeisterschaft in der Militärdiktatur Argentinien | |
statt, Amnesty International hatte prominente Fußballer für seine Kampagne | |
„Fußball ja, Folter nein“ gewinnen wollen. Doch die | |
Menschenrechtsorganisation musste die eiserne Klugheit erleben, mit der | |
Fußballprofis sich lieber dumm stellen, als etwas Fußballfremdes zu sagen. | |
„Ich habe keine Angst, dahin zu fahren. Das ist sicher gut abgesichert“, | |
wusste Dieter Müller vom 1. FC Köln, dass eine Diktatur ja nicht nur | |
Nachteile haben muss. „Nein, belasten tut mich das nicht, dass dort | |
gefoltert wird“, ergänzte Manfred Kaltz vom Hamburger Sport-Verein. Am | |
deutlichsten qualifizierte sich Berti Vogts für höhere Aufgaben: „Ich habe | |
keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Und er fügte hinzu, ob die | |
Frage auch gestellt würde, wenn die Weltmeisterschaft in der Sowjetunion | |
stattfände. Dafür attestierte ihm die Welt aus dem Hause Springer | |
„unvergleichlich viel Mut“. | |
Vogts’ Vorlage nahm später sogar der Kaiser auf. „Ich habe noch nicht einen | |
einzigen Sklaven in Katar gesehen“, berichtete er 2013 vom WM-Ausrichter | |
2022 Katar, „weder in Ketten, gefesselt noch mit Büßerkappe auf dem Kopf.“ | |
Mag sein, dass Beckenbauer kurzfristig Häme erntete. Aber letztlich gelang | |
ihm nicht weniger als die Rettung des Fußballs, wie wir ihn kennen. So | |
gesehen war auch Beckenbauers Interview klug und mutig. | |
Feige ist auch Sinisa Mihajlovic nicht. Er teilte denen, die ihn mit Häme | |
überzogen, mit, warum er Anne Frank nicht kennt. „Wie denn auch, ich werde | |
ja selbst dauernd beleidigt.“ Mihajlovic spielte im Jahr 2000 mit Lazio | |
Rom beim FC Arsenal in der Champions League und war mit dem französischen | |
Nationalspieler Patrick Vieira aneinandergeraten. Der warf ihm vor, ihn | |
einen „schwarzen Bastard“ genannt zu haben. Mihajlovic sagte dazu: „Er hat | |
mich ‚Zigeunerscheiße‘ genannt, also gab ich ihm ‚schwarze Scheiße‘ z… | |
Weil ich stolz darauf bin, ein Gypsy zu sein, war ich nicht beleidigt. Ich | |
glaube auch nicht, dass er beleidigt sein kann, wenn ich sage, dass er | |
schwarz ist.“ | |
Nun also hat Mihajlovic mit Hinweis darauf, dass er selbst zu einer | |
Minderheit gehört, erklärt, warum er Anne Frank nicht kenne. Dass ihm ihr | |
Name sehr wohl etwas sagt, ist zwar in der Logik seiner Antwort begründet, | |
aber im Fußballgeschäft stört das niemanden. Dass Berti Vogts 1978 die | |
Gegenfrage zur Sowjetunion stellte, war ja auch der Beweis, dass er | |
wusste, welches Regime damals in Argentinien herrschte. Das funktioniert | |
immer noch. Der Betrieb ist weiter fest entschlossen, alles abzuwimmeln, | |
was man an Tagen wie dem 9. November als Lehre aus der Geschichte | |
bezeichnen könnte. | |
9 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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