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# taz.de -- Die Wahrheit: Brandneues aus Riad
> Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman inszeniert sein Comeback
> jetzt per ausgetüftelter, kupferner Topflappen-Reform.
Bild: Auch künftig sind Stofftopflappen nur als Wandschmuck in Saudi-Arabien e…
Seit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 steht
der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud, dem man dieses
Verbrechen anlastet, weltweit in der Kritik. Geraume Zeit hat er das
PR-Desaster nach seinem mutmaßlichen Mordauftrag auszusitzen versucht.
Er hielt sich im Hintergrund, umgeben nur von seinen Leibwächtern,
Mätressen, Speichelleckern und Finanzberatern. Jetzt aber geht Mohammed bin
Salman al-Saud in die Offensive. Mit einem Reformvorhaben, das ihm die
Herzen zurückerobern und ihn als Global Player wieder an den Start bringen
soll.
Man weiß ja, dass die Frauen in Saudi-Arabien nicht viele Rechte haben. Das
Autofahren, beispielsweise, ist ihnen erst Mitte letzten Jahres erlaubt
worden. Der Kronprinz will ihnen nun ein neues Privileg gewähren: Ab
Neujahr 2020 sollen sie beim Kochen Topflappen benutzen dürfen.
Topflappen, das muss man wissen, sind in der saudi-arabischen Küche schon
seit dem Frühmittelalter verpönt. Sie gelten als Inbegriff der Dekadenz. In
Saudi-Arabien fassen Frauen auch die heißesten Töpfe traditionell mit
bloßer Hand an, und im höchsten Ansehen stehen Köchinnen, deren Finger von
Brandblasen übersät sind. In einer klassischen Ode des aus Dschidda
stammenden Hofdichters Sahar Daschwir el-Afnu (865–917) heißt es: „Siehe,
Weib, deine verkohlten Hände, / am Herd geschwärzt und versengt von der
Hitze der Pfannen, / ein Siegel deiner Ergebenheit sind sie / und ein
Unterpfand deiner Liebe zu Allah!“
Widerstand gegen diese Denkweise rührte sich nur einmal kurz unter der
Herrschaft der Haschimiten, als ein Kebsweib des Emirs Abu Dschafar beim
Servieren eines gegrillten Hammelkopfs in einem Bordell in Medina im Jahre
1924 eine Verbrennung dritten Grades erlitten hatte. Die Unruhen, die
daraufhin ausbrachen, wurden mit Feuer und Schwert erstickt, und seither
hat es niemand mehr gewagt, in Saudi-Arabien das Thema Topflappen
anzuschneiden.
## „Heißes Eisen“ Topflappen
Bis auf Kronprinz Mohammed. Als Modernisierer hat er vorige Woche auch
dieses „heiße Eisen“ angefasst und das Königshaus mit einer Gesetzesnovel…
überrascht, die die Einfuhr, die Produktion und den Gebrauch von Topflappen
bloß noch in besonders geregelten Ausnahmefällen unter Strafe stellt.
Verboten ist nach wie vor „die Verwendung von Topflappen, die mit
christlichen oder pornografischen Motiven bestickt sind“, und es dürfen
auch keine Topflappen angefasst werden, „die bei ihrer Erzeugung oder
Zwischenlagerung in die Nähe von Artikeln gekommen sind, die der weiblichen
Monatshygiene dienen (Mindestabstand: sieben Klafter)“. Desgleichen bleiben
Topflappen tabu, deren Handhabung „Gefühle der Sinnesfreude“ hervorrufen
könnten. Dem Wortlaut des Gesetzes zufolge scheiden daher alle Topflappen
aus, die aus weichen Stoffen bestehen. Zugelassen sind nur Topflappen aus
Kupferdraht.
Dummerweise gehört Kupfer zu den Materialien, die eine besonders gute
Wärmeleitfähigkeit besitzen. Doch das ficht den Kronprinzen nicht an. In
einer Pressemitteilung hat er erklärt: „In dieser Sache habe ich mich
inzwischen weit genug aus dem Fenster gelehnt. Entweder
Kupferdrahttopflappen oder überhaupt keine Topflappen. Im Jemen haben sie
nicht mal Kochgeschirr! Wenn mein Neuerungsvorschlag nicht auf Gegenliebe
stoßen sollte, werde ich die Verstecke aller Ungläubigen ausräuchern und
meine gesamten Schwarzkonten in der westlichen Welt auflösen. Allahu
akbar!“
Diese Drohung scheint gewirkt zu haben. Ein Sprecher der Deutschen Bank hat
bereits beteuert, dass Topflappen aus Kupferdraht „zwar etwas
gewöhnungsbedürftig, aber im Grunde gar nicht so übel“ seien, und auf
Twitter hat Donald Trump die Initiative des Kronprinzen mit den Worten
begrüßt: „The Crown Prince is right. There’s nothing better than potholde…
knitted from copper wire!“
Es ist jedoch fraglich, ob die saudi-arabischen Frauen diese Wohltat
annehmen werden. Viele von ihnen sind stolz auf ihre verbrühten Hände und
lassen sie durchaus gern einmal aus einem Nikabschlitz heraushängen. Und
auch die saudi-arabischen Hautärzte begegnen der neuen Regelung mit
Skepsis. „Kommt dieses Gesetz durch, dann müssen wir alle betteln gehen“,
schreibt auf seiner Homepage ein Dermatologe aus der Stadt Hofuf. „Wovon
sollen wir leben, wenn es keine Brandwunden mehr gibt?“
In Riad hat unterdessen der Bau einer Fabrik begonnen, in der jährlich
zweihundert Millionen Topflappen aus Kupferdraht hergestellt werden sollen.
Wie sich das auf die Beliebtheit des Kronprinzen Mohammed auswirkt, bleibt
abzuwarten. Immerhin verdient er schon mal gut an der Aktion, denn er ist
der Alleineigentümer von zehn der zehn größten Kupferminen Saudi-Arabiens.
8 Jan 2019
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Saudi-Arabien
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