| # taz.de -- Chorleiterin Meregaglia über Theaterpreis: „Wir haben eine Missi… | |
| > Den Kurt-Hübner-Preis erhalten am Montag Alice Meregaglia und der | |
| > Opernchor des Bremer Theaters – auch weil er als ein Modell für gelebte | |
| > Diversität gelten kann. | |
| Bild: Hurra, ein Preis! Der Bremer Opernchor freut sich | |
| taz: Frau Meregaglia, wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren: Sie und Ihr | |
| Chor bekommen den Kurt Hübner-Preis? | |
| Alice Meregaglia: Ich wusste nicht einmal, dass es diesen Preis gibt, ich | |
| bin ja noch nicht so lange im Haus und zum Ende der Spielzeit oft | |
| unterwegs: Als mich am 10. Juni abends der Intendant anrief, dachte ich | |
| zuerst, es ist ein guter Freund aus dem Ensemble, der macht solche Späße | |
| manchmal. Er sagte also: Hallo hier Börgerding, und ich war kurz davor zu | |
| sagen: Ach Mensch, es ist doch schon spät, ich bin müde, lass doch den | |
| Quatsch. Habe ich aber zum Glück nicht! | |
| Der Chor hat oft eine undankbare Rolle. Auch die Opernkritik speist ihn | |
| meist nur mit pflichtschuldigen Floskeln ab … | |
| Sí, ja, und das ist sehr schade – gerade auch, weil die Arbeit der | |
| Chorsänger manchmal eine Routinesache zu werden droht: Sie kommen jeden | |
| Tag, vormittags und abends, sie proben mit mir im Chorsaal, sie sitzen | |
| immer neben den gleichen Leuten, ich bin immer da. Wenn wir Freude teilen | |
| können, ist das sehr gut. Aber Frustration kommt manchmal auch auf, eben | |
| weil der Rahmen so fest ist und so tiefe Bindungen entstehen. | |
| Das ist ein Nachteil? | |
| Nein, weil aus tieferen menschlichen Verbindungen mehr Schönheit entstehen | |
| kann. Aber du bekommst auch mehr Schwierigkeiten mit ihnen, weil es mehr | |
| Kontakte gibt und Reibungen. | |
| Das Pensum des Chors ist enorm … | |
| Ja. Sie kommen fast jeden Tag, proben am Morgen das eine Werk und spielen | |
| am Abend ein anderes, oft in einer anderen Sprache … | |
| Vergangene Saison waren das Deutsch, Italienisch, Französisch, Russisch … | |
| … und Tschechisch und Englisch: Das ist unglaublich, denke ich. | |
| Dazu passt, dass die 40 Sänger*innen des Chors aus mindestens elf Nationen | |
| kommen. Führt das zu Problemen oder ist das eine Chance? | |
| Es ist ein Charakteristikum. Sicher kann es zu sprachlichen Problemen | |
| kommen, in der Kommunikation. Aber wenn wir in unterschiedlichen Sprachen | |
| singen, haben wir dafür immer jemanden dabei, der diese Sprache beherrscht. | |
| Für den Charakter des Chors ist es wichtig – und eine Bereicherung. | |
| Verschiedenen Nationalitäten sagt man auch bestimmte Qualitäten nach. Wir | |
| haben zum Beispiel viele koreanische Sänger*innen. Denen wird oft | |
| unterstellt, technisch herausragend gut, im Ausdruck aber introvertiert zu | |
| sein. | |
| Und das stimmt nicht? | |
| Wenn das Klischee stimmt, habe ich in meinem Chor untypische Koreaner. | |
| Allerdings ist ihre Kultur viel weniger extrovertiert. Die Herausforderung | |
| ist, 100 Prozent von ihnen zu bekommen. Oder bei manchen Sänger*innen gibt | |
| es die Neigung, weniger al dente zu singen, … | |
| Also wie Nudeln? | |
| Ja, wie wenn Pasta zu lange gekocht ist: Die Noten zu lang, oder zu wenig | |
| brillant. Eben ohne Biss. Aber das kann man so gar nicht pauschal sagen | |
| natürlich, jede Sängerin und jeder Sänger ist einzigartig. Sie haben alle | |
| einen unterschiedlichen Ausgangspunkt: Eine Stimme ist für mich in erster | |
| Linie eine Persönlichkeit. | |
| Muss die nicht gerade im Chor zurücktreten? | |
| Nein: Persönlichkeit bedeutet für mich sowohl Flexibilität als auch | |
| Kontrolle über die eigene Stimme. Wenn jemand heraussticht, dann nicht, | |
| weil er zu viel Persönlichkeit hat. Das ist in meinen Augen keine Frage der | |
| Quantität. Viel ist für sich genommen weder schlecht noch gut. Es geht um | |
| Qualität. Wenn jemand mich fragt: Willst du 5.000 Euro, sage ich: Ja, | |
| gerne, her damit. Wenn jemand mich fragt ob ich 5.000 Fußtritte will, sage | |
| ich: Danke, nein, nicht einmal zwei. | |
| Dass Ihr Chor als eine Einheit auftritt, in der diese Vielfalt erhalten | |
| bleibt, hatte auch die Jury besonders hervorgehoben: Wie machen Sie das? | |
| Im Chor müssen alle das gleiche Ziel haben, das ist wichtig, darum geht es. | |
| Dann gehen wir alle in dieselbe Richtung. Zum Beispiel gibt es in der „Lady | |
| Macbeth von Mzensk“ eine Stelle, in der Chöre fast immer zu laut singen, | |
| auch meiner. | |
| Der Gefangenenchor? | |
| Genau, im Gulag. Ich denke: Wenn mein Chor hier nicht genug Piano singt, | |
| ist das mein Fehler. Dann habe ich nicht die richtige Übersetzung für meine | |
| Gefühle gegeben. Nur dann kann ich überzeugen. An dieser Stelle muss ich | |
| das Gefühl von Resignation, von Ohnmacht vermitteln, Tränen wecken. Ein | |
| Gefühl, als hätte man fast keine Kraft mehr zu singen. | |
| Erstmals ist der Opernchor in dieser Saison raus in die Stadt gegangen und | |
| hat diese verrückte „Petite Messe Solennelle“ von Gioachino Rossini mit | |
| unterschiedlichen Kirchenchören gesungen. Wie kam es dazu? | |
| Die Idee kam aus der Dramaturgie, von Isabelle Becker. Und ich dachte, das | |
| könnte eine sehr gute Idee sein. Die „Petite Messe Solennelle“ braucht ja | |
| nur drei Instrumente, zwei Klaviere und ein Harmonium, die kann man einfach | |
| überall hinbringen. Und ich finde es wichtig, dass die Musik auch rausgeht, | |
| um die Leute zu erreichen, die nicht ins Theater kommen, weil sie denken, | |
| es ist zu teuer, oder weil sie glauben, Oper ist langweilig. | |
| Was nicht stimmt! | |
| Oper kann sehr langweilig sein. Wenn ich die Sprache nicht verstehe, die | |
| Geschichte, die erzählt wird, nicht kenne und mit der Musik nichts anfangen | |
| kann – dann langweilt mich das auch. Aber wenn du verstanden hast: Was ist | |
| auf der Bühne los, was kannst du hören, was sehen – dann ist das die beste | |
| Sache der Welt. Aber das gelingt nur, wenn sich Oper nicht elitär | |
| zurückzieht, sondern auch nach draußen geht. | |
| Zugleich bewundern alle die Spielfreude Ihrer Chorist*innen. Woher kommt | |
| die? | |
| Sie sind spielfreudig. Das ist richtig. Und ich habe viel Energie, und | |
| versuche die zu kommunizieren – weil ich diese Leute liebe. Auch haben wir | |
| alle eine Mission: Die Leute, die ins Theater kommen, sollen Spaß haben und | |
| glücklicher sterben. Vielleicht nicht gleich nach der Aufführung. Aber wenn | |
| sie am Ende ihres Lebens stehen, sollen sie wissen: Ich hatte einen guten | |
| Moment. Dafür zu sorgen, das ist unsere Aufgabe. | |
| 24 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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