| # taz.de -- Musiktheater in Bremen: Anschlussfähige Avantgarde | |
| > Mit "Die Gehetzten" bringt das Bremer Theater eine Oper zur Uraufführung, | |
| > die durchaus ihren Weg ins Repertoire finden könnte: Dafür bürgt der | |
| > gutbürgerliche Humor, der Bernd Redmanns Stück für jedes Abo-Publikum | |
| > zugänglich macht. | |
| Bild: Das Datennetz und seine Göttin (Nadine Lehner): Die Bremer Uraufführung… | |
| Die Vergabe von Uraufführungs-Aufträgen durch deutsche Theater ist beileibe | |
| keine Selbstverständlichkeit. Zumindest nicht in deren kostenintensivster | |
| Sparte, der Oper. Bremen leistet sich den relativen Luxus der unmittelbaren | |
| Zeitgenossenschaft im Musiktheater immerhin etwa einmal pro Spielzeit. | |
| Diesmal mit einer Arbeit von Bernd Redmann, der in München eine Professur | |
| unter anderem für Gehörbildung bekleidet, Vorstandsmitglied der deutschen | |
| "Gesellschaft für Musiktheorie" ist - und noch nie zuvor eine Oper | |
| geschrieben hat. | |
| Die Ankündigungen ließen nichts Gutes ahnen. "Es ist einfach die passende | |
| Oper zu unserer gegenwärtigen Welt!", posaunte das Bremer Theater selbst | |
| und verhieß "ein Panorama der Absurdität" samt "Ästhetik der Irritation und | |
| Unvorhersehbarkeit": Begriffe, mit denen man offenbar meint klingeln zu | |
| müssen, um "zeitgenössisch" auf der Höhe zu sein. | |
| Redmann selbst sprach von "Revue-Charakter" und einem "Patchwork" | |
| verschiedenster Stile zwischen Mozart, Jazz und Tango. Und was erwartet | |
| man, wenn der Regisseur vorab verkündet, das Stück sei "interpretatorisch | |
| weit zu fassen"? Eben: ein postmodernistisches Collagen-Mischmasch mit | |
| niedrigem Message- und Sinnlichkeitsfaktor. | |
| Doch die Oper mit dem eher irreführenden Titel "Die Gehetzten" entpuppt | |
| sich bei ihrer Uraufführung als sinnenfrohe Farce, als stellenweise sogar | |
| großartige Groteske. Sie besitzt weder stringente Handlungen noch sich | |
| entwickelnde Figuren, aber zahlreiche theatrale Situationen, in denen sich | |
| die SängerInnen spielerisch nach Herzenslust austoben. | |
| Zum Beispiel der bei einer Probe ermordete Regisseur, der nach seiner | |
| Auferstehung aus einer Gefriertruhe heraus eine Pressekonferenz über die | |
| "Kunst der Zukunft" abhält und daraufhin von einem Sänger, der im echten | |
| Parkett einen falschen Zuschauer mimt, wild beschimpft wird, woraufhin sich | |
| der Opernchor selbst niedermetzelt und … und dann kommt irgendwann das | |
| Jüngste Gericht, in diesem Fall ein Amtsgericht, dessen Amtsträger alle | |
| unter 30 sind, ein Grab öffnet sich und aus dem Mund der Toten krabbeln | |
| Kakerlaken, während sie vom - kleines Missverständnis - "jüngstem Gesicht" | |
| singt. | |
| Kurz: Die vier hoch motivierten HauptdarstellerInnen stürzen backstage in | |
| immer neue Kostüme und Rollen, ein Umstand, der noch am ehesten den Titel | |
| des in 21 Fragmente aufgesplitterten Stücks rechtfertigt. | |
| Während zeitgenössisches Musiktheater sonst oft die lyrischen oder | |
| dramatischen Register zieht, setzen Redmann, von dem auch das Libretto | |
| stammt, und sein Regisseur Kay Kuntze, bekannt als künstlerischer Leiter | |
| der Berliner Kammeroper, auf Humor - in all seiner Ambivalenz zwischen | |
| erheiternd und bieder. Redmann und Kuntze bedienen durchaus auch jenen | |
| Bereich gutbürgerlichen Humors, der sich seit Jahrhunderten an | |
| musikalischen Scherzen à la Haydns "Abschiedssinfonie" erfreut: Auch bei | |
| den "Gehetzten" treten die MusikerInnen am Ende sukzessive ab, die Posaune | |
| - des Komponisten Lieblingsinstrument - macht sozusagen das Licht aus. | |
| Zuvor jedoch ist von dem nur 13-köpfigen Ensemble der Bremer | |
| Philharmoniker, das statt aus dem Graben - den es im Schauspielhaus ohnehin | |
| nicht gibt - hinter einer Mauer spielt, mitunter Spannendes zu hören: Immer | |
| dann, wenn sich Redmann nicht nur im epigonale Zitieren quer durch die | |
| Musikgeschichte ergeht, sondern eigene, fein ziselierte Klangnuancen ins | |
| Allerlei zwischen Requien und Gassenhauern einbringt. Mit Tarmo Vaask hat | |
| ein Dirigent die Leitung, der sich mittlerweile als hoch kompetenter | |
| Geburtshelfer sämtlicher Bremer Uraufführungen einen Namen gemacht hat. | |
| So entsteht ein Stück ohne allzu nachhaltige Wirkungen, aber von | |
| kurzweiliger Gegenwart: Wer reingeht, wird sich sicher nicht langweilen. | |
| Das ist gut, wäre aber natürlich zu wenig, wenn nicht die Spiellust so | |
| ansteckend wäre, mit der insbesondere Christian Hübner und | |
| Christian-Andreas Engelhardt in Bente Matthissens lustvoll errichteten | |
| Bühnenbildern agieren. Engelhardts großer komödiantischer Erfolg in "Die | |
| Gehetzten" spiegelt das Prinzip, nachdem man dieser Oper durchaus eine | |
| Zukunft außerhalb der Schublade nur einmal gespielter Erstlingswerke | |
| zutrauen kann: So wie Engelhardt bislang ungeahnte Qualitäten im eher | |
| seltenen Tenor-Fach "farcenhafter Humor" zeigt, so werden die "Gehetzten" | |
| dank ihrer durch das Prädikat "zeitgenössisch" geadelten | |
| Amüsement-Trächtigkeit die Gunst des Publikums finden - als | |
| "anschlussfähige Avantgarde", die weder weh tut noch langweilt. | |
| 22 Mar 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
| Henning Bleyl | |
| ## TAGS | |
| Theater Bremen | |
| Oper | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Chorleiterin Meregaglia über Theaterpreis: „Wir haben eine Mission“ | |
| Den Kurt-Hübner-Preis erhalten am Montag Alice Meregaglia und der Opernchor | |
| des Bremer Theaters – auch weil er als ein Modell für gelebte Diversität | |
| gelten kann. | |
| Abschied nach zehn Jahren: Wo die weißen Klone wohnen | |
| Markus Poschner lässt mit seiner letzten Premiere als Bremer | |
| Generalmusikdirektor die Philharmoniker im Orchestergraben glänzen |