# taz.de -- Oper für alle: Exzesse des Nonsens | |
> Mit Gioacchino Rossinis „L'Italiana in Algeri“ kehrt das Theater Bremen | |
> ins Leben zurück: Lustig temporeich und luftig open air. | |
Bild: Umwiderstehlich: Stephen Clark als Macho und Nathalie Mittelbach als Ital… | |
BREMEN taz | In Wirklichkeit ließe sich ja Anstoß nehmen an der Idee | |
bereits, „L'Italiana in Algeri“ aufzuführen. Denn sie ist ja nicht harmlos, | |
auch als Open Air im Bremer Theatergartentheater nicht, wo aus dem | |
Fürstenhof des Bey ein von Carla Maria Ringleb coronakonform entworfener | |
knallblauer Kiosk mit Coffee-to-go-Ausschank geworden ist. | |
Selbstverständlich wirken ja im Hintergrund von Angelo Anellis Libretto die | |
europäisch-osmanischen Auseinandersetzungen um diesen Teil Nordafrikas mit. | |
Heute lassen sie sich als Vorspiel der entsetzlichen französischen | |
Kolonialherrschaft über dieses seit der Antike immer von irgendwem besetzte | |
Land lesen, 17 Jahre vor ihrem Beginn. Und klar ist auch: In Gioacchino | |
Rossinis Musik feiert gut hörbar ein karikierender Orientalismus Urständ', | |
die unserer Gegenwart eher zynisch als fröhlich anmuten. Könnten. | |
Aber das Seltsame ist ja: Dieses Grundrauschen des Schreckens mag der Oper | |
eingeschrieben sein. Aber Regisseur Josef Zschornack lässt sich null darauf | |
ein, und das fühlt sich richtig an. Denn diese Oper gelingt desto besser, | |
je weniger es aus seiner kontrapunktischen Lauer hervorgelockt wird. | |
## Raserei der Musik | |
In exzessivem Nonsens entfaltet sich ihre Schwachsinns-Handlung, als wäre | |
sie Notwehr. Und in atemberaubender Raserei jagt die Musik über Freud und | |
Leid, über alles hinweg: Dank Alice Meregaglia entdecken die Bremer | |
Philharmoniker den Turbo an ihren Instrumenten. | |
Und in der Ouvertüre verdient sich Konzertmeisterin Anette Behr-König den | |
großen Julius Winkler-Orden in Gold für ihr luftiges Sautillé, das | |
tatatámmtatatámmtatatámmtatatámmtadammtamm! über die Saiten hoppelt, wie | |
eine rhythmusbewusste Wüstenrennmaus. Das zu hören ist für sich schon ein | |
tolles Erlebnis. | |
Die Story ist eigentlich zu konfus, um sie hier zusammenzufassen. Ihr | |
Zentrum bildet ein rabiater Geschlechterkrieg: Mustafà, der Bey, ein Macker | |
und absoluter Herrscher des Kiosks, den Stephen Clark unwiderstehlich im | |
buntscheckigen Geckenanzug selbstverliebt singt, will Elvira, seine | |
bisherige, gegen eine neu an seinem Trinkerpavillon aufgetauchte Frau | |
eintauschen: Isabella, die Italienerin halt, die Titelfigur, der Nathalie | |
Mittelbachs Sopran eine schöne Entschiedenheit verleiht. | |
Die zwei verbünden sich und übertölpeln ihn. Was leicht ist. Er ist nämlich | |
dumm. Sehr dumm, das Libretto ist da explizit. Strunzdumm. | |
Am Ende sind die alten Verhältnisse wiederhergestellt. Isabella flüchtet | |
mit dem wundervollen lyrischen Tenor Hyojong Kim als Lindoro, der irgendwie | |
in die Gewalt des Bey geraten war und den sie auch immer schon liebte. | |
Proklamiert wird die Herrschaft der Frauen. | |
Mitten drin aber hat, wie der Wind die Bäume in den Bremer Wallanlagen, wo | |
ja der Theatergarten liegt, oder wie ein Wahnsinn, die neue Zeit das ganze | |
Ensemble erfasst. Die Geräusche der sich in die Mechanik flüchtenden Welt | |
ersetzen alle Worte und aller Sinn verflüchtigt sich in lautmalerische | |
Einsilber, die sich verdoppeln und einander überlagern: „din din, bum bum, | |
crà crà, tac tà“ tönt es, simultan, im großen Schluss-Septett des Ersten | |
Aktes. | |
„Din din, bum bum, crà crà, tac tà“, in einem bedrohlichen Tempo, eine | |
durch die unerbittliche Harmonie der Moderne organisierte Kakophonie, ein | |
Triumph des Unsinns: Alle Zusammenhänge haben sich aufgelöst, jedes Uhrwerk | |
tickt für sich neben dem anderen, nicht richtig, vielleicht, unaufhaltsam, | |
wahrscheinlich, immer schneller, ganz sicher. Und wenn das nicht so lustig | |
wäre, wäre es zum Verzweifeln. | |
20 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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