# taz.de -- Unterwanderung der Kirchen: „Christen mit Rechtsdrall“ | |
> Wo treffen sich Rechte und Christen? Liane Bednarz über | |
> Islamfeindlichkeit, den sogenannten Genderwahn und den Einfluss | |
> konservativer Christen auf CDU und AfD. | |
Bild: „Das Christentum wird für Politik instrumentalisiert“, sagt Liane Be… | |
taz: Frau Bednarz, Sie bezeichnen rechte Christen als „Angstprediger“. Um | |
wen geht es? | |
Liane Bednarz: Gemeint ist ein Teil des konservativen Milieus beider | |
Konfessionen, das sich momentan zunehmend von genuin konservativen | |
Haltungen verabschiedet und rechte Feindbilder übernimmt. Inhaltlich geht | |
es besonders um die angebliche Islamisierung und den sogenannten | |
Genderwahn. Über diese beiden Themen reden gen rechts gedriftete Christen | |
Bedrohungsszenarien herbei und verstärken damit den Einfluss rechter | |
Populisten. | |
Wie groß ist das Spektrum, von dem Sie sprechen? | |
Es geht schätzungsweise um 20 bis 30 Prozent innerhalb des | |
konservativ-christlichen Milieus in Deutschland. In Zahlen ist das schwer | |
auszudrücken. Die Relevanz begründet sich aber auch dadurch, dass Vertreter | |
und Kampagnen sehr aktiv und laut sind und darüber auch in Unionskreise | |
eindringen. | |
Wer sind die ProtagonistInnen? | |
Die Katholikin Hedwig von Beverfoerde organisiert seit 2014 die „Demo für | |
alle“ und kämpft gegen die sogenannte Genderideologie. Dort sprachen | |
bereits Unionsleute und AfD-Mitglieder wie Markus Frohnmeier. Eine Art | |
Starstatus in der Szene hat Gabriele Kuby, die besonders krude Thesen | |
vertritt. Sie behauptete bereits 2011 auf einem Kongress, dass es eine | |
„homosexuelle Agenda“ gebe, die „von den mächtigsten Institutionen dieser | |
Erde, der UN und der EU, mit aller Macht vorangetrieben“ werde. | |
Warum treffen sich Religion, verschwörungstheoretisches und neurechtes | |
Gedankengut genau an den beiden Themen Islam und Gender? | |
Viele Christen mit Rechtsdrall neigen im Gegensatz zu den beiden | |
Großkirchen dazu, den Wahrheitsanspruch des Christentums so zu überhöhen, | |
dass der Islam die falsche Religion und ein Dialog deshalb nicht nötig ist. | |
Sie verdrehen das Christentum in ein antimuslimisches Abwehrbollwerk. Das | |
kann gerade in der Flüchtlingsfrage zu einer kalten Variante des | |
Christentums führen, es gibt dort bei vielen kaum Empathie. | |
Widerspricht das nicht dem Anspruch auf Nächstenliebe? | |
So zu denken sollte sich aus christlicher Sicht verbieten. Aber | |
Nächstenliebe wird im Milieu der rechtsgerichteten Christen häufig örtlich | |
interpretiert: der „Nächste“ ist dann etwa mein Mann, meine Familie, mein | |
Land. Der Syrer aber ist der „Fernste“. So wird Theologie verflacht und | |
verzerrt. | |
Woher kommt die Fixierung auf das Thema Gender und Abtreibung? | |
Diese Milieus sind vielfach geradezu besessen von „Sexualsünden“. Reizthema | |
ist vor allem Homosexualität, die aus biblischer Sicht tatsächlich nicht | |
ganz einfach zu behandeln ist. Ich selbst habe mich immer als fromme | |
Protestantin verstanden und meine, dass man die entsprechenden Stellen der | |
Bibel historisch interpretieren sollte – aber das passiert in diesen | |
Milieus selten. Richtig schwierig wird es, wenn sich Abtreibungskritik mit | |
völkischen Vorstellungen verbindet: Da ist zum Beispiel die Rede vom | |
„Babycaust“ – also der Gleichsetzung von Abtreibungen mit dem Holocaust. … | |
AfD-Grundsatzprogramm wird Abtreibung grundsätzlich kritisch gesehen, aber | |
unter dem Stichwort „Kinder statt Masseneinwanderung“ auch mit | |
demografischen Erwägungen zugunsten der „einheimischen Bevölkerung“ | |
verquickt. Sprich: mehr deutsche Kinder. | |
Warum werden rechte Christen gerade jetzt so laut? | |
Mit der AfD verfügen viele von ihnen erstmalig über einen politischen Arm, | |
das gibt Sicherheit. Ihr derzeitiger Einfluss besteht darin, dass sie dem | |
Rechtspopulismus ein christliches und damit bürgerliches Antlitz geben. | |
Hier tragen jahrzehntealte Verflechtungen zwischen sich selbst für | |
konservativ haltenden christlichen Publizisten und Medien der Neuen Rechten | |
Früchte. Die Wochenzeitung Junge Freiheit etwa, die der AfD mit Ausnahme | |
deren radikalen Flügels wohlwollend gegenübersteht, ist Pflichtlektüre für | |
viele sehr fromme Christen. In den Redaktionsgrundsätzen der Zeitung steht | |
seit 2011, dass sie sich als christlich versteht. | |
Ist das Strategie? | |
Nein, Überzeugung. | |
Gibt es weitere Gründe für das Erstarken des Milieus? | |
Die CDU hat einige für Konservative heilige Kühe geschlachtet, etwa beim | |
Lebensschutz. Viele sehr fromme ehemalige Unionsanhänger haben sich der AfD | |
vor allem deshalb zugewendet, weil diese abtreibungskritisch ist. Dabei | |
fehlte ihnen das Gespür dafür, dass die Partei von Beginn an | |
rechtspopulistische Positionen vertrat. Das kommt auch daher, dass in der | |
Bundesrepublik nie ausdiskutiert wurde, was konservativ und was rechts ist. | |
Viele Konservative merken gar nicht, wenn sie rechte Thesen und | |
Ressentiments übernehmen. | |
Wo verläuft denn die Grenze zwischen konservativ und rechts? | |
Konservative glauben an die westliche Gesellschaftsordnung, stehen für | |
Pluralismus und denken liberal und nicht in ethnokulturellen Kategorien. | |
Letzteres bedeutet etwa, dass eine Law-&-Order- Haltung so lange | |
konservativ ist, wie sie sich nicht gegen „Fremde“ richtet. Rechtes Denken | |
hingegen ist illiberal, antipluralistisch und oft völkisch. Es ist | |
kulturpessimistisch und bedient sich einer Verfallsrhetorik, die sich auch | |
im christlichen Bereich findet, wo die Gesellschaft als übersexualisiert, | |
verkommen und dekadent wahrgenommen wird. Das hat etwas Politreligiöses, | |
das sehen wir gerade in Ungarn und Polen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Das Christentum wird für Politik instrumentalisiert. Der Wahrheits- bzw. | |
Absolutheitsanspruch wird auf die Politik übertragen. Viele | |
rechtskonservative Christen inszenieren sich als Opfer einer „linksgrünen | |
Gesinnungsdiktatur“ und regen sich über den „Staatsfunk“ auf. Aber sie | |
haben nicht das geringste Problem damit, dass staatliche Medien durch Orbán | |
und die PiS-Partei in Ungarn und Polen wirklich auf Regierungslinie | |
gebracht werden. Auch Putin ist für viele ein Held, weil er angeblich das | |
wahre Christliche durchsetzt und gegen „homosexuelle Propaganda“ vorgeht. | |
Wie kann man diesen Milieus den Aufwind nehmen? | |
Indem man aufklärt. Die Kirchen positionieren sich nach außen stark gegen | |
Rechtspopulismus, müssten diese Debatten nach innen aber viel intensiver | |
führen. Gerade in den neuen Bundesländern gibt es in den evangelischen | |
Landeskirchen Pfarrer, die nach rechts driften. Dem müsste viel stärker | |
Einhalt geboten werden. | |
Warum sind diejenigen, die sich als gemäßigte Konservative bezeichnen, so | |
stumm? | |
Das ist die große Frage: Wo sind die konservativen Intellektuellen? Es gibt | |
die Historiker Andreas Rödder und Paul Nolte. Vor allem Letzterer hat das | |
neurechte Denken exakt durchschaut. Dann gibt es Daniel-Pascal Zorn, der | |
das Buch „Mit Rechten reden“ mitgeschrieben hat und sich als konservativen | |
Humanisten begreift. Der Soziologe Armin Nassehi wiederum ist zwar selbst | |
kein Konservativer im klassischen Sinne, nimmt aber konservative | |
Bezugsprobleme sehr ernst und zeigt seit Jahren genau auf, wo konservatives | |
Denken aufhört und rechtes Denken beginnt. Ansonsten sind da momentan | |
leider viel zu wenige. | |
Frau Bednarz, eine persönliche Frage: Sie sind Juristin – warum setzen Sie | |
sich mit rechten Christen und AntifeministInnen auseinander? | |
Ich war Teil dieses Milieus. Ich war immer eine fromme Protestantin, aber | |
nie rechts. Ab 2011 habe ich mich in einem, wie ich damals dachte, sehr | |
frommen, konservativ-katholischen Milieu bewegt, selbst Lesungen zum | |
Beispiel mit Matthias Matussek organisiert. Viele dieser Leute haben schon | |
damals Feindbilder und Begriffe wie „Tugendterror“ oder „GEZ-Medien“ | |
verwendet. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man so etwas | |
unkritisch übernehmen kann, wenn man es ständig hört. Anfangs habe ich | |
nicht gesehen, wo das hinführt. | |
Warum haben Sie Ihre Meinung geändert? | |
Mir fiel ab Frühjahr 2012 zunehmend deutlich Schwarzweißdenken und | |
scharfmachender Sound in diesem Milieu auf, etwa von Beatrix von Storch, | |
die bereits vor Gründung der AfD eine Art Galionsfigur in diesen Kreisen | |
war. Als sich 2013 die AfD gegründet hat, war ich von Anfang an sehr | |
kritisch. Ab Herbst habe ich bemerkt, wie sehr das Milieu dazu neigt, | |
unsere liberale Demokratie mit einer Diktatur zu verähnlichen, man sprach | |
von „Blockparteien“ und „Mainstreammedien“. Das irritierte mich. | |
Haben Sie noch Kontakt zu diesem Milieu? | |
So gut wie keinen. Ich recherchiere zwar noch immer auf deren | |
Facebook-Seiten, weil viele auch öffentlich posten. Aber fast alle | |
Freundschaften aus der damaligen Zeit sind zerbrochen. Die haben sich in | |
ihren Feindbildern verbarrikadiert. | |
19 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
## TAGS | |
Christen | |
Religion | |
Rechte | |
Matthias Matussek | |
Demokratie | |
Schwerpunkt Proteste gegen rechts | |
Glaube, Religion, Kirchenaustritte | |
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