# taz.de -- Protest gegen Abtreibungen: Mit 1.000 Kreuzen durch Münster | |
> In der katholisch geprägten Stadt formieren sich selbsternannte | |
> Lebensschützer*innen. Doch auch der Gegenprotest ist stark. | |
Bild: Vorbild für den „1.000-Kreuze-Marsch“ in Münster ist der „Marsch … | |
Die Stadt Münster hat mehrere Gesichter: Der größere Teil der Stadt ist | |
liberal, weltoffen, modern. Kaum irgendwo in Deutschland nutzen so viele | |
Menschen das Fahrrad anstelle des Autos. Auf knapp 312.000 Einwohner*innen | |
kommen etwa 50.000 Studierende. Bei der vergangenen Bundestagswahl im | |
September erreichte die AfD nur in Münster nicht die 5-Prozent-Hürde. Doch | |
Münster ist eben auch – sehr katholisch. | |
Mit 1.000 weißen Kreuzen wollen die Abtreibungsgegner*innen der | |
Organisation „EuroProLife“ am Samstag deshalb durch Münster ziehen, um, wie | |
sie es auf ihrer Einladung schreiben, der „1.000 ungeborenen Kinder“ zu | |
gedenken, die „an einem gewöhnlichen Arbeitstag in Deutschland“ getötet | |
werden. Unter ihnen: extreme Rechte, Ultrakonservative, fundamentale | |
Christen, AfD-Mitglieder. | |
Mehr als 150 Kreuze wurden es in den Jahren, seitdem es den | |
„1.000-Kreuze-Marsch“ gibt, nie, allerdings fiel auch der Gegenprotest | |
mitunter nur spärlich aus. In diesem Jahr dagegen ist vieles anders: In | |
Deutschland wird um das Thema Abtreibung wieder gerungen – die Diskussion | |
[1][um den Paragrafen 219 a StGB], der das Werben, aber auch sachliche | |
Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auf der Webseite von Ärzt*innen | |
unter Strafe stellt, spaltet die Politik. | |
Im November war [2][die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel] vom Gießener | |
Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie | |
auf ihrer Homepage geschrieben hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche | |
durchführt. Grüne, Linkspartei und SPD wollten den Paragrafen daraufhin | |
abschaffen, die FDP ihn mindestens modifizieren. | |
## Münsteraner SPD-Frauen entsetzt von eigener Partei | |
Pünktlich zum Antritt der Großen Koalition hat die SPD-Fraktion nun | |
[3][aber entschieden], doch nicht über ihren Gesetzentwurf zur Streichung | |
von 219 a abstimmen zu lassen. Grund sei, dass die Union sich auf sie | |
zubewege, heißt es. | |
Union und SPD wollen stattdessen einen gemeinsamen Vorschlag ausarbeiten. | |
Die Befürworter*innen einer Streichung zeigen sich vom Verhalten der SPD | |
entsetzt, unter ihnen auch die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft | |
Sozialdemokratischer Frauen“ (ASF) aus Münster. | |
In einer Stellungnahme auf ihrer Webseite schreiben sie: „Wir fordern | |
deswegen die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sowie alle Mitglieder der | |
SPD-Bundestagsfraktion auf, sich für die Streichung des §219 a einzusetzen | |
und den bereits vorliegenden Antrag dazu wie geplant einzubringen. Das | |
aktuelle Vorgehen ist beschämend und für viele Frauen sowie für Ärztinnen | |
und Ärzte im ganzen Land ein herber Rückschlag.“ | |
## Motivierend für Gegenprotest | |
„Wir hoffen, dass sich, von dieser Debatte angespornt, viele unserem | |
Gegenprotest anschließen werden“, sagt dessen Initiatorin Johanna Wegmann | |
vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in Münster. Gemeinsam mit | |
Vertreter*innen von SPD, Grünen, Linkspartei, dem DGB und vielen anderen | |
wollen sie für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen demonstrieren. Um | |
13.30 Uhr startet der Protest am Hauptbahnhof, von dort soll er in die | |
Innenstadt führen und die Route der Abtreibungsgegner*innen kreuzen. | |
Mehr als 1.500 Menschen interessieren sich auf Facebook für die | |
Demonstration, zugesagt haben über 400. „Für Münster ist es besonders | |
wichtig, dass dieses Thema wieder stärker in den Fokus rückt“, sagt | |
Wegmann. Die Stadt sei nun einmal streng katholisch, es gebe ein | |
„erschreckendes Unwissen“ und gravierende Probleme. | |
So gaben erst kürzlich alle Schwangerschaftsberatungsstellen der Stadt eine | |
gemeinsame Pressemitteilung heraus, in der sie auf einen beklagenswerten | |
Ärztemangel hinwiesen. Ein Schwangerschaftsabbruch sei in Münster zukünftig | |
fast unmöglich, heißt es in der Mitteilung. | |
Und weiter: „Ab Sommer dieses Jahres wird es in der größten Stadt im | |
Münsterland keinen Arzt mehr geben, der einen Schwangerschaftsabbruch | |
medikamentös durchführt, und nur noch einen auswärtigen Arzt, der nach | |
Münster anreist, um operative Abbrüche anzubieten“. | |
## Der letzte Arzt in Münster | |
Tatsächlich feiert Wolfgang Burkart in diesem Jahr seinen 68. Geburtstag, | |
im Sommer geht der letzte Gynäkologe, der in Münster noch Abtreibungen | |
durchführt, in den Ruhestand. Auch für ihn sei es zu Beginn seiner | |
Tätigkeit alles andere als selbstverständlich gewesen, | |
Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, dann habe er sich aber doch dafür | |
entschieden. „Für Frauen ist es wichtig, dass es diese Notbremse gibt. Das | |
habe ich verstanden. Abtreibungen wird es immer geben.“ | |
Der aktuelle Vorstoß zu Paragraf 219 a habe ihn „sehr überrascht“, er gehe | |
aber in die „richtige Richtung“, sagt Burkhart. Auch er selbst hatte einst | |
auf seiner Webseite stehen, dass er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. | |
„Dann aber hat mich ein ehemaliger Kollege aus Süddeutschland angerufen und | |
mich darauf hingewiesen, dass ich das runternehmen muss. Er hatte 5.000 | |
Euro Strafe dafür gezahlt“, berichtet Burkhart. Das war im Jahr 2006. | |
Seit 1996, als er sich entschied, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, | |
stünden immer am 22. eines jeden Monats Abtreibungsgegner*innen vor der Tür | |
seiner Praxis, erzählt er weiter. Auch am Samstag werden sie an seinem | |
Wohnhaus vorbeilaufen. Ob aus Zufall oder mit Absicht, kann er nicht sagen. | |
17 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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