# taz.de -- DJ Super Leiwand ist eine Legende: Sein Körper war Musik | |
> Der Produzent und DJ DSL hat einen WM-Spielplan designt. Kolleginnen und | |
> Weggefährten erzählen von der Auflegekunst des Künstler-Phänomens. | |
Bild: Mann oder Phänomen? | |
Der Wiener Produzent und Grafiker Stefan Biedermann alias DJ Super Leiwand | |
oder auch Danube Super Leiwand, kurz DSL, ist ein Phänomen. Er war | |
österreichischer Mix-Champion, mit Scratch-Gastauftritten in den Charts bei | |
Falco und stilbildender Radio-DJ bei der Sendung „Dope Beats and Tribe | |
Vibes“ im ORF. DSL gibt selten Interviews und seine Diskografie ist | |
übersichtlich: ein Album, einige Singles und Remixe, deren hohe Qualität | |
anhaltend große Nachfrage auslöste, – leider vergeblich. | |
So sind es vor allem seine Engagements in den Clubs, die die Legende von | |
DSL fortgeschrieben haben. DJs mit einem Repertoire aus HipHop, Reggae und | |
Rare Groove gibt es viele, aber der Flow von DJ DSL ist und bleibt | |
stilprägend. Inzwischen ist DSL auch als Grafiker renommiert. Aus Anlass | |
der Veröffentlichung des von ihm designten aktuellen WM-Spielplans haben | |
wir einige Freundinnen, Weggefährten und Bewunderer gebeten, das Wesen von | |
DJ DSL in Worte zu fassen. | |
## Gespür für Timing | |
„Kennengelernt habe ich Stefan 1988 beim ,New Music Seminar' in New York. | |
Er hatte mit Dr. Moreau’s Creatures zusammen mit Peter Kruder, Sugar B, | |
Rodney Hunter und Oliver Kartak dort einen Auftritt. Dr. Moreau’s Creatures | |
war eine frühe Wiener HipHop-Crew, die hatten damals einen Hit und sie | |
wurde eingeladen, diesen in New York zu spielen. DJ DSL war damals 18, ich | |
Mitte 20. Er hatte Mitte der Achtziger schon bei DJ-Battles aufgelegt. Die | |
fanden in Wien in Großraumdiskotheken statt. Ich mochte seine unglaublich | |
präzise Art beim DJing. Er hat Turntablism als einer der ersten in Wien | |
verstanden. HipHop wurde, wenn überhaupt, damals höchstens auf LPs | |
wahrgenommen, Stefan mischte mit Maxisingles. Das war rebellisch. Er hat | |
HipHop als Kunstform verstanden, die Instrumentals geliebt, fast mehr als | |
die Vocal-Tracks. Ich bekam dann von Werner Geyer ein wöchentliches | |
15-Minuten-Fenster für HipHop in der „Musicbox“ beim ORF-Radio und fragte | |
Stefan, ob er die Mixes machen will. Das war Beginn von „Dope Beats and | |
Tribe Vibes“, einer HipHop-Sendung, die es immer noch gibt. Stefan hat eine | |
sehr musikalische Ader. Sein Gespür für Timing ist grandios. Der Vater war | |
Orchestermusiker und von dem hat er ein gutes Gehör geerbt. Er ist jetzt | |
Grafiker und lebt – frisch verheiratet – wieder in Wien. Die Club- und | |
Musikszene in Wien hat keiner so geprägt wie er. Den Funk hat er in unsere | |
Sendung gebracht.“ | |
Katharina Weingartner, Autorin und Filmemacherin, Wien | |
## Kollektive Doubles-Ekstase | |
„Anfang der Neunziger teilten DSL und ich uns den Freitag in dem kleinen, | |
aber immer vollen Wiener Roxy-Club. Einen Freitag er, den nächsten ich. | |
Arbeitszeit für uns DJs war von 22 Uhr bis 6 Uhr früh. Wenn es voll war, | |
ging es auch bis mittags. DSL besuchte mich an seinen arbeitsfreien | |
Freitagen regelmäßig, nachdem der letzte Tropfen in den Bars der | |
Nachbarschaft geflossen war, kam er beschwingt hinter das DJ-Pult und | |
fragte mich, was ich im Moment an neuen Doubles (Dubletten) habe. Im HipHop | |
steigert der versierte DJ die Dramaturgie, indem er mit zwei Kopien | |
derselben Platte – eine Instrumental-Version, eine Vocal-Version – den | |
Track mit der Technik von Scratching in kleinste Einzelteile zerlegt und | |
damit die Crowd auf dem Dancefloor zur kollektiven Ekstase bringt. DSL | |
konnte man mit zwei Platten so lange alleine lassen, dass sich ein | |
Frühstück locker ausging und ich mir dann nach einer Stunde die völlig | |
durchgedrehte Crowd wieder abholen musste. Dass er die ganze Zeit denselben | |
Song spielte, checkte keiner.“ | |
Peter Kruder, DJ und Produzent G-Stone Recordings, Wien | |
## Schlaksige Körperlichkeit | |
„Bevor DSL in den Neunzigern im Hamburger Golden Pudel Club aufzulegen | |
begann, gab es dort bereits zwei Plattenspieler, der zweite wurde aber nie | |
benutzt. DSL war der Erste, den ich dort an zwei Plattenspielern so virtuos | |
habe hantieren hören, dass ich schier gebannt war. Damals waren tatsächlich | |
schon renommierte DJs im Pudel zu Gast oder legten regelmäßig auf, jedoch | |
gefühlt angeknüpft am vermeintlichen – ich sags ungern – Trash-Pudel-Styl… | |
DJ DSL kam dann und scratchte Soulplatten, oder war es HipHop? Was waren | |
das für Beats! Für ihn selbstverständlich und extrem locker: das Doppeln | |
und die Arbeit mit der Endlosrille – ein einfacher Trick, wir Hamburger | |
kamen aus dem Staunen nicht heraus. Zauberei! Leiwand! Dazu die Optik: | |
Schlaksige Körperlichkeit aus Mensch und Turntables, Beine, Arme, | |
Schallplatten, Hände und Regler, alles durcheinandergewirbelt und dabei | |
Musik herstellend, dann auf direktem Weg zurück damit in diesen langen | |
Körper. Whoosh! Bald hatte ich diverse Gelegenheiten, höchstselbst mit ihm | |
und seinem musikalischen Body aufzulegen. Ich hatte die Deckel der | |
Plattenspieler nicht beiseite gelegt, sondern sie als Schutz vor Blicken | |
extra hochgeklappt, um mich dahinter zu verbarrikadieren. DSL: Bitte | |
übernehmen Sie!“ | |
Myriam Brüger, djmelanie, Berlin | |
## Der Signatur-Trick | |
„Kaum volljährig und frisch nach Bayern gezogen, war die ab 1990 im ORF | |
ausgestrahlte Radiosendung „Dope Beats and Tribe Vibes“ Auftakt und | |
Höhepunkt meines Ausgehwochenendes. Man konnte sie in Bayern empfangen. Oft | |
hörte ich sie auf der Fahrt in den Club und verharrte bis zum letzten Ton | |
im Autositz. Der redaktionelle Teil von Katharina Weingartner beleuchtete | |
mittels Interviews und Reportagen direkt aus den USA zunächst die | |
aktuellen, damals rasanten Neuerungen im HipHop und ordnete diese auch | |
kulturell und soziopolitisch ein, bevor zum Finale DSL, damals im | |
deutschsprachigen Radio wohl einzigartig, einen durchgehenden Mix spielte. | |
Moderationsinhalt und der sehr eigene Duktus zwischen Slang und Feuilleton | |
prägten mir ein, dass die unterschiedlichen Lebensumstände Fans wie mir das | |
direkte Kopieren der US-Vorbilder verbieten. DJ DSL unterstrich diesen | |
Eindruck akustisch mit einem damals schon eigenen Stil und seinem | |
Signatur-Trick, dasselbe Stück auf beiden Plattenspielern minimal | |
zeitversetzt zu spielen und so einen verwaschenen Flanger-Effekt zu | |
simulieren. Als ich DSL dann später an unserem mittlerweile gemeinsamen | |
Wohnort Hamburg kennenlernen und live hören konnte, verstand ich auch, wie | |
persönlich sein Stil und wie musikalisch sein Leben ist; im Umgang eher | |
bescheiden und etwas introvertiert, aber mit einem feinen, trockenen Schmäh | |
und unbändigem Enthusiasmus ausgestattet, ist Stefan kein DJ, der mit | |
seinen meisterlichen, technischen Fähigkeiten eitel protzend Musikstücke | |
zerschreddert oder das Publikum mit schalem Hit-Potpourri ködert. Sondern | |
er zieht einen mit seiner originellen Auswahl und weichen, fließenden | |
Übergängen in die Strömung. Ebenso individuell vermengt er HipHop-Kultur | |
mit seiner anderen Leidenschaft, dem Fußball: Angefangen mit seiner Ode an | |
Toni Polster, später als Präsident unseres vielköpfigen, regelmäßig im | |
Vereinsheim spielenden DJ-Kollektivs St. Pauli Sound Supporters, für das | |
er auch alle Flyer gestaltete und dessen Banner der Steh-Fan auch bei jedem | |
Spiel prominent in der Kurve platzierte, bis jetzt zu den einzigartigen, | |
zunächst aus Spaß für das gemeinsame Schauen in relativ kleiner | |
Freundesrunde entworfenen Turnierplänen. Kurzum: super-leiwand DJ, | |
ur-ur-leiwand als Typ.“ | |
Constantin Groll, Word & Sound Vertrieb, Hamburg | |
## Notfallsanitäter mit Groove | |
„Vor 30 Jahren standen wir hinter dem DJ-Pult der Disco im Wiener | |
Volksgarten, tranken, rauchten und lauschten der Musik, als ich ohnmächtig | |
wurde, unvermittelt zu Boden ging und auf dem besten Wege war, mit dem | |
Hinterkopf volle Kanne an der Thekenkante anzuschlagen. Glücklicherweise | |
war Stefan geistesgegenwärtig, wie sonst auch, fing mich auf – man könnte | |
auch sagen, ich sank in seine Arme – und rettete mich. Das hinterließ einen | |
bleibenden Eindruck. Abgesehen davon hat er mich musikalisch beeinflusst, | |
brachte mir die Instrumentals auf HipHop-Maxis näher, deren reduzierte | |
Beats und Grooves waren fortan mein Ding. Und den New Yorker Produzent Mark | |
The 45 King hätte ich ohne ihn nie entdeckt. DSL ist sehr groß, sehr | |
verschmitzt, sehr begabt. Ich muss ihn unbedingt wieder mal auflegen | |
hören!“ | |
DJ Electric Indigo, Berlin | |
## Scratchen mit Stullen im Sitzen | |
„DSL ist der DJ, der mir die schönsten Party-Nächte geschenkt hat. Er hat | |
die seltene Gabe, Menschen mit Musik überglücklich zu machen – wie oft bin | |
ich selig im ersten Morgenlicht nach Hause gewankt! Zum ersten Mal erlebt | |
habe ich DSL in Hamburg Ende der Achtziger auf einem Open-Air-Soundclash an | |
der Elbe – damals noch mit seinem Kollegen Sugar B. Ich erinnere mich, dass | |
wir da schon alle unseren Augen nicht trauten über diesen langen Lulatsch | |
an den Plattentellern. Später im Pudel hat Stefan meist im Sitzen | |
aufgelegt, weil er sonst mit dem Kopf durch die Decke gegangen wäre, und im | |
Laufe der Nacht dann seine mitgebrachten Stullen ausgepackt.“ | |
Marga Glanz, Inhaberin Groove City Records, Hamburg | |
## Abgeschnackt und stibitzt | |
„Von keinem anderen Künstler sind mir im Lauf der Zeit so viele Platten | |
abhanden gekommen, abgeschnackt oder stibitzt worden wie von Wiens | |
allerfeinstem DJ DSL. Dies beweist zweierlei: Zum einen die turmhohe | |
Qualität seiner Produktionen, die rechtschaffene Tänzer zu spontanen, aber | |
irgendwo auch ehrenhaften Ganoven werden lässt, sobald der DJ nicht | |
aufpasst: Zum anderen die latenten Beschaffungsschwierigkeiten, die mit | |
seinen Platten stets verbunden waren. DSL-Vinyl war schwer zu kriegen, | |
kleine Auflagen auf Obskuro-Labels, echte, wirkmächtige Fetische eben, | |
denen ich immer noch nachflenne. Immerhin habe ich noch das von DSL | |
designte Sankt-Pauli-Sound-Supporters-T-Shirt.“ | |
DJ Hans Nieswandt, Köln | |
## Weltmeister und Pionier | |
„Ich hatte gerade meine Teenagerzeit als Mod und Atrium-DJ abgestreift und | |
beim Wiener Plattenladen Dum Dum Records aufregendes Neues entdeckt, da | |
hörte ich von den Brüdern Biedermann: Stefan wurde zweimal in Folge | |
DMC-Weltmeister, damit war die Legende geboren. Danke, lieber DSL, für | |
deine Pionierarbeit!“ | |
Erdem Tunakan, Produzent Cheap Records, Wien | |
## Haarsträhne und Profimove | |
„Erstmals wahrgenommen habe ich Stefan, als er an einem Flipper im U4 Club | |
in Wien stand. Er trug damals eine unglaublich stylische Haarsträhne, die | |
aus einem keck in den Nacken geschobenen Basecap hervorquoll. Mir wurde er | |
als der beste DJ Wiens vorgestellt. Was mir sofort auffiel, war ein Move, | |
den er mit seiner Hand machte, während er den Flipper bearbeitete. In | |
regelmäßigen Abständen wische er seine Fingerspitzen an seinem Hemd ab! | |
Profimove! Dass er das auch beim Scratchen machte, fiel mir erst später bei | |
einem Auftritt mit den Moreau’s auf. Ich hab mir diesen Finger-Move dann | |
selbst angewöhnt und mach ihn bis heute beim Auflegen!“ | |
DJ Patrick Pulsinger, Wien | |
## HipHop für Erwachsene | |
„What a Great Happiness, DSL hat es wieder getan und den ultimativen | |
WM-Spielplan entworfen. Das ist wohl seine größte Tat nach dem Remix von | |
„Happy Bear“ und seinem „Der Mond“-Remix für Rocko Schamoni. Stefan, w… | |
vom Hund am Hafen vermissen dich und deinen HipHop für Erwachsene sehr, | |
können aber deiner in Wien-lässt-sich-in-Schönheit-sterben-Sehnsucht keine | |
Hamburgensie entgegensetzen, die dich zum Bleiben veranlasst hätte. Ohne | |
Dein DJing ist HipHop nie wieder wie vorher; nicht so elegant und anmutig | |
in seiner reinen Form.“ | |
Ralf Köster, Golden-Pudel-Club-Mitbetreiber, Hamburg | |
11 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Finn Johannsen | |
Julian Weber | |
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