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# taz.de -- Sammelleidenschaft zur Fußball-WM: Es lebe Gortezak!
> Die Sammelleidenschaft erwacht: Warum der Nachwuchs vor der
> Fußball-Weltmeisterschaft in Russland besonders gefördert werden muss.
> Eine Glosse.
Bild: Zum Sammeln gehört auch das Tauschen: Sammelalbum
Er habe jetzt diesen Gortezak, sagte der Nachwuchs freudestrahlend, den
habe er dringend gebraucht, „wahnsinnig dringend“. Er hielt mir ein
Plastikkärtchen mit dem Konterfei von diesem Gortezak vor die Nase wie ein
Goldnugget, das er im Klondike geschürft hat. Gortezak kam mir bekannt vor,
dieser Typ spielt ja wohl beim FC Schalke 04 und nun auch in der
Nationalmannschaft, nur dass er mit bürgerlichem Namen Goretzka heißt, Leon
Goretzka.
Der Nachwuchs tastet sich in diesen Tagen an den Fußball heran. Er macht
einen Intensivkurs in Sachen Ballspielbegeisterung, was ihm verdammt leicht
gemacht wird, denn überall wird dem Nachwuchs reingedrückt, wie wichtig
diese Fußball-Weltmeisterschaft in Russland ist.
Es gibt Sticker, Sammelalben, Kärtchen. Fußballzusammenhänge allerorten. In
den Supermärkten läuft ein Überbietungswettbewerb. Da ein Ball, dort eine
Deutschlandfahne. Die Marketingexperten haben ihren Gustave Le Bon und
ihren Edward Bernays offenbar sehr gründlich gelesen, denn die
massenpsychologische Anfütterung läuft auf Hochtouren.
Man selbst will kein Spielverderber sein, vor allem nicht, wenn sich der
eigene Nachwuchs so unverstellt vorfreudig zeigt, ja mit einer naiven
Begeisterung am Gortezaken ist. Also habe ich dem Nachwuchs verraten, wie
es die abgezockten Zweitklässler im Rewe-Markt machen: Sie stellen sich an
die Kasse und schnorren DFB-Spielerkarten, bevorzugt von älteren Damen, die
damit eher weniger anfangen können.
Von diesen Raubzügen ist der Nachwuchs mit fetter Beute zurückgekehrt. Er
könnte sicherlich zwei oder drei dieser „Offiziellen DFB-Sammelalben“
bestücken, und Paule ist auch dabei, also das Maskottchen des Fußballbunds.
Der hat 166 Länderspiele, steht auf der Rückseite der Plastikkarte, die man
ins Album einklicken kann. Wieso hat ein Vogel die meisten Länderspiele?,
fragt der Nachwuchs. Ist halt immer dabei, fällt mir ein. Im Gegensatz zu
Reus, des Nachwuchs’ Liebling.
## Credibility auf dem Schulhof
Endlich kickt dieser Reus – Der ist der Beste, oder? – bei einem großen
Turnier mit. Das macht den Nachwuchs froh, aber mit dem Basiswissen hapert
es dann doch noch etwas. Neulich fragte er mich, was ein Pfosten sei. Na,
dieses Ding vom Tor halt, sagte ich, und zeichnete mit offener Faust etwas
unbeholfen einen Pfosten in die Luft. Da schießt dieser Gortezak manchmal
dran, wenn er allzu genau gezielt hat.
Der Nachwuchs hat den Leon G. (1,89 Meter groß, 79 Kilogramm schwer) jetzt
übrigens nicht nur im Rewe-Klickalbum, sondern auch im Panini-Stickerheft.
Ich kam nicht umhin, kräftig ins Geschäft mit den Aufklebern einzusteigen,
weil der eigene Nachwuchs auf dem Schulhof seine Credibility behalten und
beim Fußballvorbereitungstalk mitmischen soll.
Es wird eifrig getauscht, und dabei geht es nicht so sehr um Fußball,
sondern ums Wichtig-Daherreden und Namedropping und so. Nach der Schule
beginnt die Tauschbörse der leidenschaftlich Ahnungslosen, die ihre
Defizite mit Kennersprüchen kaschieren: Also, den Ramy Rabia habe ich
dreifach. Echt? Wo spielt’n der? Na ja, so im roten Trikot bei dieser
Mannschaft vorn im Heft? Ach so, der, ja, kenn ich, cool!
Der Nachwuchs muss da mit, es geht nicht anders, auch wenn ich mich frage,
ob er die richtigen Vorbilder in Alben zusammenklaubt, also Profis, die
schon mit 21 so viel verdient haben wie eine Rewe-Verkäuferin ihr ganzes
langes Berufsleben nicht; die mit Mercedes-G-Klasse-Panzern (CO²-Emissionen
laut Hersteller: 299 g/km) im DFB-Trainingslager posieren, als handele es
sich um PS-Fetische; Spieler, die ein Leben in Luxus und delegierter
Verantwortung leben. Aber eines können sie halt, die Gortezaks dieser Welt:
Fußball spielen. Das reicht. Vor allem dem Nachwuchs.
9 Jun 2018
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
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