# taz.de -- Kein Geld für Beratung in Abschiebehaft: Ohne Infos keine Chance | |
> Niedersachsen streicht die Förderung für Beratungen für | |
> Abschiebungsgefangene. Das Projekt brachte rechtswidrige Haft-Anordnungen | |
> ans Licht. | |
Bild: Hier saßen schon viele Geflüchtete rechtswidrig in Haft: JVA Langenhagen | |
HANNOVER taz | „Es wirkt, als wären wir zu erfolgreich gewesen“, sagt | |
Muzaffer Öztürkyilmaz vom niedersächsischen Flüchtlingsrat bitter. Seit | |
August 2016 klärt die Organisation in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in | |
Langenhagen bei Hannover Abschiebehäftlinge über ihre Rechte im | |
Asylverfahren und der Haft, Perspektiven im Herkunftsland nach einer | |
Abschiebung oder die Möglichkeiten einer Wiedereinreise auf. Finanziert | |
wurde das Beratungsangebot bisher vom Land Niedersachsen. Das | |
Justizministerium hat nun jedoch angekündigt, das Projekt nur noch bis Ende | |
Juli zu fördern. Danach ist Schluss. | |
„Es erweckt den Anschein, als wolle man rechtswidrige Entscheidungen nicht | |
aufgedeckt sehen“, sagt Öztürkyilmaz. Das Projekt sei sehr erfolgreich. | |
Fast alle Gefangenen hätten die Beratung des Flüchtlingsrates in der | |
Abschiebungshaft in Anspruch genommen. Viele wehrten sich dann vor Gericht | |
gegen die Inhaftierung. | |
Der Flüchtlingsrat hat bisher die Beratungen eines Jahres ausgewertet: | |
Zwischen dem 1. August 2016 und dem 31. Juli 2017 ließen sich 205 Menschen | |
aus 36 unterschiedlichen Herkunftsländern beraten. In 124 Fällen hätten die | |
Betroffenen Rechtsmittel gegen die Anordnung der Abschiebungshaft | |
eingelegt. Und in 54 dieser Verfahren hätten Gerichte entschieden, dass die | |
Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen sei. Das sind knapp 44 Prozent. | |
## Mängel im System | |
Bezieht man sich auf die insgesamt 205 Menschen, die der Flüchtlingsrat | |
beraten hat, waren immerhin noch 26 Prozent der Anordnungen zur | |
Abschiebungshaft rechtswidrig. | |
Öztürkyilmaz findet das „beschämend“. Bei der Abschiebungshaft gebe es | |
systemische Mängel: „Es kann keiner sagen, hier hatte nur ein Richter mal | |
einen schlechten Tag.“ Das Problem existiere bundesweit. Auch in | |
Niedersachsen müssten sich die entscheidenden Stellen nun die Frage | |
stellen, wie es dazu kommen könne, dass es so viele rechtswidrige | |
Entscheidungen gebe. Die Konsequenz müsse sein, das Beratungsprojekt des | |
Flüchtlingsrates auszubauen und nicht die Finanzierung zu streichen, sagt | |
Öztürkyilmaz. | |
Das Justizministerium nennt einen anderen Grund für das Ende der | |
Finanzierung: „Das Projekt der unabhängigen Beratung war von vornherein | |
zeitlich befristet“, sagt Ministeriumssprecher Christian Lauenstein. Wie | |
schon vor Projektbeginn hätten die Mitarbeiter des Flüchtlingsrates die | |
Möglichkeit, inhaftierte Geflüchtete zu besuchen und zu beraten. Die 50.000 | |
Euro jährlich, von denen der Flüchtlingsrat etwa einen Mitarbeiter mit | |
einer 75-Prozent-Stelle und Dolmetscher bezahlt, wird es allerdings nicht | |
mehr geben. | |
Die Abschiebungsgefangenen könnten jedoch Verfahrenskostenhilfe beantragen | |
und sich von einem Rechtsanwalt beraten lassen, sagt Lauenstein. So | |
schreibt es auch das Aufenthaltsgesetz vor. „[1][Abschiebungsgefangene sind | |
über ihre Rechte und Pflichten] und über die in der Einrichtung geltenden | |
Regeln zu informieren“, heißt es dort. Die EU hatte ihren Mitgliedsstaaten | |
diesen Passus vorgegeben, genau wie die Verpflichtung zur | |
Prozesskostenhilfe. | |
## Kritik an Streichung der Mittel | |
Für Abschiebungsgefangene sei es jedoch schwierig, eine solche Förderung | |
bei einem Amtsgericht zu beantragen, während sie in Haft sind, kritisiert | |
Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat. Die Beratung in der JVA ist deutlich | |
niedrigschwelliger. | |
Kritik an der Streichung der Finanzierung kommt auch von den Grünen. „Die | |
rot-schwarze Abrissbirne trifft mit diesem rot-grünen Projekt einen | |
weiteren Baustein der menschenrechtsorientierten Flüchtlingspolitik“, sagt | |
der Landtagsabgeordnete Belit Onay. Es sei „in einem Rechtsstaat absolut | |
erstrebenswert“, wenn die Beratung dazu beitrage, in diversen Fällen eine | |
Haft zu verkürzen oder aufzuheben. | |
Das sei aber „offenbar nicht mehr erwünscht“, sagt Onay in Richtung der | |
neuen Justizministerin Barbara Havliza (CDU). „Stattdessen scheint die | |
Landesregierung die enorme Fehlerquote von 44 Prozent bei gerichtlichen | |
Abschiebungshaftentscheidungen als willkommenes Mittel zur | |
Abschiebungsbeschleunigung zu sehen.“ | |
Die Grünen wollen zu dem Thema nun eine Anfrage stellen. Die offenen | |
Fragen: Gibt es Möglichkeiten, dass die Beratung doch fortgesetzt wird? Und | |
was tut die Landesregierung gegen rechtswidrige Inhaftierungen? | |
Der Flüchtlingsrat hat nun die Landesarbeitsgemeinschaft der freien | |
Wohlfahrtspflege in Niedersachsen angesprochen, um ohne staatliche Hilfe | |
Gelder zusammen zu bekommen. „Bis zum 31. Juli wird das aber nicht | |
klappen“, sagt Öztürkyilmaz. Möglich wäre auch, dass Ehrenamtliche die | |
Beratung übernehmen. „Wir müssen jetzt sehen, wie und in welchem Umfang es | |
weitergehen kann.“ | |
12 Jun 2018 | |
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[1] https://dejure.org/gesetze/AufenthG/62a.html | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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