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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Das Primat der Leistung
> Ist es gut für die Kühe, täglich auf die Weide geführt zu werden? Das
> will die Landwirtschaftskammer in Schleswig-Holstein herausfinden –
> ernsthaft.
Bild: Führt Freiheit zu mehr oder zu weniger Milch?
Als wir letztes Jahr in Österreich in den Alpen wandern waren, da lief uns
einmal eine schreiende Kuh hinterher. Wenn man in den Alpen unterwegs ist,
dann begegnet man im Sommer ständig Kühen. Sie stehen und liegen herum und
fressen Gras, und sie kommen schon auch manchmal neugierig hergelaufen.
Diese Kuh aber war verzweifelt. Sie muhte auf eine herzzerreißende Art, und
sie folgte uns über eine weite Strecke.
Auf der Alm, auf der wir einkehrten, erzählten wir die Geschichte, und da
nickten sie. Diese Kuh habe eine Freundin gehabt, die sei aber heute morgen
abgetrieben worden, weil sie in Kürze kalben würde.
Diese Geschichte beeindruckte mich in vielerlei Hinsicht. Zum einen habe
ich es noch nie selber erlebt, dass eine Kuh solche tiefen Gefühle hat und
sie adäquat auszudrücken versteht. Zum anderen beschämte mich, dass diese
Kuh solches Vertrauen ausgerechnet in uns setzte, die wir Menschen sind und
sie am Ende ja nur töten wollen.
Und doch ist diese unglückliche Kuh ja eine glückliche Kuh gewesen, denn
sie konnte frei herumlaufen, in der schönsten Natur, in der Sonne, im
Regen, und Freundschaften schließen. Vielleicht ist diese Art emotionaler
Nähe, wie wir sie da empfanden, zwischen Mensch und Tier nur möglich, wenn
das Tier auf eine freie Art leben kann.
Vielleicht kann sich ein Tier nur so auf eine Art entwickeln, die uns
Respekt einflößt, Mitgefühl hervorruft. Ein eingepferchtes Tier hat wenig
Möglichkeiten, eine Persönlichkeit zu entwickeln, es steht ja immer nur
stumpf und guckt die Wand an. Und vielleicht ist das demjenigen recht, der
das Tier dann zur Schlachtung führt, denn ein stumpfes Tier lässt sich
leichter schlachten. Es ist ein Stück Fleisch.
Mir ist das alles eingefallen, weil es jetzt ein Experiment der
Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein gibt, bei dem herausgefunden
werden soll, ob es gut für die Kühe ist, täglich auf die Weide geführt zu
werden. Interessante Experimente veranstalten diese Leute von der
Landwirtschaftskammer. Hätten diese Leute die traurige Kuh aus den Alpen
gesehen, dann wären sie vielleicht zu dem Schluss gekommen, dass es ihr im
Stall viel besser gegangen wäre. Sie hätte nicht so verzweifelt herumrennen
und schreien müssen.
Freiheit erzeugt Stress. Von einem kommentierenden Landwirt konnte ich das
erfahren. Außerdem, so sagte er, wären die Kühe der UV-Strahlung
ausgesetzt, den Autoabgasen, und würden pestizidhaltiges Weidegras fressen.
Im Stall hätten sie dagegen den größten Komfort. Das ließ mich nachdenklich
werden.
Man weiß es noch nicht, was bei diesem viermonatigen Experiment der
Schleswig-Holsteinischen Landwirtschaftskammer herauskommt. Es sind ganz
neue Wege, die da beschritten werden. In all den Jahrhunderten, wo die Kühe
auf der Weide standen, da hat man vielleicht einen großen Fehler gemacht.
## Was ist eigentlich mit den Kindern?
Anhand der Milch soll übrigens herausgefunden werden, wie wohl die Kühe
sich auf der Weide fühlen. Wenn die Milch weniger oder schlechter wird,
dann soll das mit dem schlechteren Wohlbefinden zusammenhängen.
Ich frage mich, was ist, wenn die Landwirtschaftskammer herausfindet, dass
Kühe sich auf der Weide nicht wohlfühlen? Und könnte man das Experiment
ausdehnen, auf zum Beispiel Kinder? Wir denken ja immer noch, dass Kinder
an die frische Luft müssen. Aber man bedenke, dass auch unsere Kinder der
UV-Strahlung ausgesetzt sind, dass sie diese verpestete Luft einatmen und
auch großem Stress ausgesetzt sind, wenn sie sich der Freiheit so gegenüber
sehen. Man sieht es daran, dass sie auf dem Spielplatz immer so
rumschreien.
Wir sollten ihr Fleisch überprüfen, ob es vielleicht besser ist, wenn die
Kinder nur noch in geschlossenen Räumen gehalten werden, ob es ihre
Leistung steigert. Ich selber bin mir fast sicher, dass ich, wenn ich
weniger draußen herumliefe, mehr Text schreiben könnte, und ich würde auch
mehr Fleisch ansetzen.
4 Jun 2018
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Leistungsgesellschaft
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Landwirtschaft
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Bundestag
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Rinder
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