# taz.de -- Migrationsforscher über Roms Asylpolitik: „Die Italiener haben V… | |
> Mehrere EU-Länder dürften die neue Regierung bei ihrem Kurs gegen | |
> Einwanderung unterstützen, sagt Andrew Geddes. Was für Pläne wären | |
> denkbar? | |
Bild: Im Dezember 2017 protestierten Geflüchtete in Rom für gleiche Rechte | |
taz: Herr Geddes, der neue Innenminister Italiens, Matteo Salvini, hat | |
Flüchtlingen geraten, „schon mal die Koffer zu packen“. Er will 500.000 | |
Menschen abschieben. Kann er das? | |
Andrew Geddes: Wer Menschen loswerden will, muss jemanden haben, der sie | |
nimmt. Die Herkunfts- und Transitländer sind dabei aber sehr zurückhaltend. | |
Und wenn sie das doch tun, wollen sie dafür eine Entschädigung. Zudem: Wenn | |
eine Regierung Ausländer in Massen ausweisen will, wird sie dabei schnell | |
rechtliche Probleme bekommen. Alles, was Willkür und eine Verletzung der | |
Regeln von Verfassung und Flüchtlingsschutz darstellt, wird ihr | |
Schwierigkeiten bereiten. | |
Italien war im vergangenen Jahr der Vorreiter bei der hoch umstrittenen | |
Kooperation mit Libyen und hat vor allem dessen Küstenwache ausgerüstet. | |
Wird die neue Regierung die Zusammenarbeit mit Libyen jetzt noch weiter | |
ausbauen? | |
Tatsächlich war Salvinis Vorgänger in Libyen schon sehr aktiv, die | |
Zusammenarbeit ist sehr eng. Libyen hat deshalb in den letzten 12 Monaten | |
Zehntausende Flüchtlinge vom Meer zurückgeholt, die Ankunftszahlen in | |
Italien sind in der Folge um 80 Prozent gesunken. Die neue Regierung wird | |
den Preis zahlen, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten und die | |
Hilfszahlungen für Libyen weiter aufstocken. | |
Bislang lässt die EU die Bootsflüchtlinge von der libyschen Küstenwache | |
aufgreifen und nach Libyen zurückbringen, wo sie interniert werden. Ist es | |
denkbar, dass Italiens Marine künftig selbst Schiffbrüchige in Libyen | |
abliefert? | |
Das wäre ein klarer Verstoß gegen internationale Asylstandards. Bislang ist | |
ein solcher Vorschlag öffentlich nicht gemacht worden. | |
In Tunesien ist die Lage nicht so desolat wie in Libyen. Das Land ist immer | |
wieder als Standort für Lager im Gespräch, in denen europäische | |
Asylverfahren extern, also außerhalb der EU abgewickelt werden könnten. | |
Glauben Sie, dass Italien diese Option jetzt mit Nachdruck verfolgt? | |
Solche exterritorialen Asylverfahrenszentren sind ein Konzept, dass die EU | |
immer wieder aufbringt. Es ist inspiriert vom australischen Modell auf den | |
Pazifikinseln. Spanien hat davon immer wieder gesprochen und Marokko als | |
Standort ins Spiel gebracht. Und auch Tunesien wird in der Tat immer wieder | |
genannt. Doch es ist extrem schwer vorstellbar, dass die dortige Regierung | |
sich darauf einlassen würde. Für sie würde das bedeuten, auf sehr lange | |
Zeit Verantwortung für alle Menschen übernehmen zu müssen, deren | |
Asylanträge in diesen Zentren abgelehnt werden. Ich sehe nicht, dass es | |
dazu eine Bereitschaft gäbe, auch nicht mit signifikanten finanziellen | |
Anreizen. Hinzu kommt, dass Salvini Tunesien erst am Sonntag geradezu vor | |
den Kopf gestoßen hat. Er sagte, das Land würde „Sträflinge“ nach Italien | |
exportieren – und diese Äußerung kam genau zu der Zeit, als bei einem | |
Schiffsunglück vor Tunesien viele Menschen, die nach Europa unterwegs | |
waren, ertrunken sind. | |
Vor etwa einem Jahr drohte Italiens EU-Botschafter Maurizio Massari der EU | |
damit, ihre Häfen für Flüchtlingsboote zu sperren. Die EU hielt dies für | |
illegal, konnte das damals aber mit kleinen Zugeständnissen abwenden. | |
Könnte auch die neue Regierung eine Hafensperre für eine Option halten? | |
Es würde zu Salvinis Rhetorik passen. Aber das wäre ein klarer Rechtsbruch. | |
Es gäbe sofort Klagen dagegen und die italienischen Gerichte würden auch | |
hier entscheiden, dass die Regierung italienisches Recht bräche, schlösse | |
sie die Häfen. Hinzu kommt allerdings, dass die Italiener heute in einer | |
anderen Position sind als vor einem Jahr. Sie brauchen nicht mehr mit | |
solchen Maßnahmen zu drohen, weil sie mittlerweile viele Verbündete haben, | |
mit denen sie die EU-Politik in ihrem Sinne … | |
… also gegen Einwanderung … | |
… beeinflussen kann: Österreich, Ungarn, Polen, Tschechien und noch einige | |
mehr. | |
Schon die alte Regierung hat sich auf die Seenotrettungs-NGOs | |
eingeschossen, die viele Schiffbrüchige Flüchtlinge und Migranten nach | |
Italien bringen. Was droht denen nun? | |
In der Tat sind die Seenotrettungs-NGOs von der Regierung schon länger als | |
Schlepper hingestellt worden. Die Rhetorik des neuen Innenministers Matteo | |
Salvini ist besonders stark. Jetzt ist er in einer mächtigen Position, er | |
wird das fortsetzen und behaupten, dass die NGOs Kriminelle seien und mit | |
Schleppern zusammenarbeiten. Doch diese Strategie hat rechtliche Grenzen: | |
Es gibt keine Evidenz für die Vorwürfe und die Gerichte werden das nicht | |
akzeptieren. | |
Ab 2015 hat die EU in Griechenland und Italien sogenannte Hotspots | |
eingerichtet: geschlossene Lager, in denen Flüchtlinge und Migranten nach | |
ihrer Ankunft erfasst werden. | |
Die Hotspots sind nur für den vorübergehenden Aufenthalt gedacht. Dabei | |
wird es bleiben. Die Idee ist, die Menschen nach den Hotspots in Lager zu | |
bringen, die im ganzen Land verteilt sind. Die neue Regierung hat davon | |
gesprochen, entsprechende Lager mit Kapazitäten von 500.000 Plätzen zu | |
schaffen. Dort sollen die Menschen gegebenenfalls bis zur Abschiebung | |
bleiben. | |
Das EU-Recht lässt die dauerhafte Internierung aber nicht zu. Wie wird | |
Italien damit umgehen? | |
Europäisches und italienisches Recht verlangt, Asylanträge schnell zu | |
bearbeiten und keine übermäßig lange Internierungsdauer zuzulassen. | |
Entsprechend gibt es rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Das | |
haben Flüchtlinge in Italien in der Vergangenheit auch getan, | |
beispielsweise 2010, als die Berlusconi-Regierung willkürliche | |
Internierungen vorgenommen hat. | |
Lega und Fünf-Sterne-Bewegung haben sich hart gegen die EU positioniert – | |
vor allem in der Migrationspolitik. Gleichzeitig brauchen sie die EU, etwa | |
für die Aktivitäten zur Migrationskontrolle in Afrika und die | |
innereuropäische Umverteilung. Welchen Umgang mit Brüssel wird die neue | |
italienische Regierung in dieser Frage pflegen? | |
Die Kommission hat sich in ihrer Migrationsagenda vorgenommen, die | |
europäische Verteilung von Asylbewerbern, die sogenannte relocation, | |
auszuweiten. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und das war | |
ein großes Problem und einer der Knackpunkte für Italien. Salvini hat | |
bereits angekündigt, alles abzulehnen, was keine signifikante Erhöhung der | |
Umverteilung und somit Entlastung für Italien bedeutet. | |
Dann wird die Kommission arge Schwierigkeiten kriegen, sowohl bei der | |
Dublin-Reform als auch bei der jetzt anstehenden Reform des neuen | |
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Denn die osteuropäischen | |
Länder wiederum lehnen alles ab, was mit relocation zu tun hat. | |
Ja, Salvini will auch die geplante Dublin-IV-Verordnung, die eigentlich im | |
Juni beschlossen werden sollte, ablehnen. Das wird der Kommission | |
erhebliche Probleme machen. Sie werden alles neu verhandeln müssen. | |
6 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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