# taz.de -- Bundespräsident Steinmeier in Polen: Tacheles gegen Demokratieabbau | |
> In Polen droht der EU nach dem Austritt der Briten die nächste große | |
> Katastrophe. Bundespräsident Steinmeier fand beim Besuch klare Worte. | |
Bild: „Wir haben viel zu verlieren“: Bundespräsident Frank-Walter Steinmei… | |
Warschau taz | Anders als erwartet hat Bundespräsident Frank-Walter | |
Steinmeier bei seinem Besuch in Polens Hauptstadt Warschau am Dienstag | |
klare Worte gefunden: „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die | |
Voraussetzung für die Souveränität nach Außen.“ | |
Seit Ende 2015 baut Polens nationalpopulistische Regierung systematisch die | |
Demokratie zurück, schränkt die Freiheiten seiner Bürger ein und demontiert | |
die Rechtsstaatlichkeit. Anfang Juli soll mit der Säuberung des Obersten | |
Gerichts die letzte Bastion der Gewaltenteilung in Polen fallen. Dann wird | |
die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nicht nur die Exekutive stellen, | |
also Regierung und Präsident, sondern auch die vollständige Kontrolle über | |
die Legislative und Judikative erlangt haben. Für die EU ist dies nach dem | |
Austritt der Briten die nächste große Katastrophe. | |
„Souverän sind wir Europäer nicht, weil wir uns, wo es gerade passt, | |
willkürlich zusammenraufen, sondern weil wir nach Werten und Regeln | |
handeln, die wir uns selbst in der EU gegeben haben“, erinnert Steinmeier | |
auf der Konferenz „Polen und Deutschland in Europa“. „Innerhalb dieser | |
Grundregeln gestaltet jede Nation ihre Demokratie und ihren Rechtsstaat | |
selbst“, so Steinmeier, aber „wo die Grundregeln in Frage stehen, sind auch | |
alle anderen betroffen“. | |
Mit anderen Worten: Polen gefährdet mit seinem verfassungswidrigen Umbau | |
der Demokratie in einen autoritären Staat den Zusammenhalt der EU. „Das | |
macht keinen von uns stärker“, warnt Steinmeier, „besonders nicht in den | |
Augen derer, die uns Europäer ohnehin lieber gespalten als geschlossen | |
sehen.“ | |
Mahnende Worte aus Brüssel | |
Für Polens Präsidenten Andrzej Duda, der in der EU-Politik seines Landes | |
nicht viel zu sagen hat, aber alle Gesetze der PiS-Regierung gegenzeichnen | |
muss, klingen diese Worte nur allzu bekannt. Seit rund zwei Jahren versucht | |
die Europäische Kommission Polen wieder auf den rechtsstaatlichen Weg zu | |
bringen. Das der PiS-Regierung angedrohte Rechtsstaatsverfahren würde Polen | |
am Ende wohl nicht das Stimmrecht im Europäischen Rat kosten, doch es | |
verschlechtert Polens Verhandlungsposition innerhalb der EU erheblich. | |
Die vielen mahnenden Worte von Frans Timmermans, der in der Kommission für | |
die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zuständig | |
ist, stießen sowohl bei Polens Regierung wie auch bei Präsident Duda auf | |
taube Ohren. | |
Anders als die Kommission in Brüssel hielt sich die deutsche Regierung | |
bislang auffällig mit jeder Kritik zurück. Berlin reagierte auch nicht auf | |
die fast täglichen antideutschen Attacken und Provokationen in den | |
Staatmedien. | |
Da wiegt dann ein Satz wie der von Steinmeier doppelt schwer: „Wir haben | |
viel zu verlieren. Zerbricht der Zusammenhalt der Europäischen Union, | |
gewinnt dadurch niemand von uns an nationaler Durchsetzungsfähigkeit. Im | |
Gegenteil: Wir werden sie verlieren.“ | |
## Stark historische Note | |
Dass Steinmeier seinem Besuch in Polen eine stark historische Note gab – | |
neben der Konferenz auch Kranzniederlegungen vor dem Denkmal des Warschauer | |
Aufstandes 1944 und am Mittwoch vor dem Denkmal der Helden des | |
Ghettoaufstandes 1943 – hat mit den ständigen Vorwürfen der PiS zu tun, die | |
Deutschen würden die Verbrechen der Nazi-Zeit leugnen und schlimmer noch | |
die Schuld für den Holocaust auf die Polen abwälzen wollen. | |
Doch in einer aktuellen Umfrage, die das Warschauer Institut für | |
Öffentliche Angelegenheiten im April durchführte, bekennt auch die Mehrheit | |
der befragten Polen, dass ihre erste Assoziation bei den Worten | |
„Deutschland“ oder „Deutsche“ die Besatzungszeit 1939 bis 1945 sei, der | |
Warschauer Aufstand gegen die Deutschen 1944, Hitler und die von den | |
Nationalsozialisten errichteten Ghettos im besetzten Polen. | |
Immerhin 32 Prozent der Befragten finden es wichtiger, über diese | |
schwierige Vergangenheit zu sprechen, denn über Gegenwart und Zukunft der | |
deutsch-polnischen Beziehungen. Die Hälfte der Befragten beklagte sich | |
darüber, dass „das Leid und die Opfer, die Polen im Laufe der Geschichte | |
erbracht hat, von der internationalen Öffentlichkeit“ nicht ausreichend | |
anerkannt sei. | |
Steinmeier will zeigen, dass die Deutschen weder die 300.000 von den Nazis | |
ermordeten Juden aus dem Warschauer Ghetto noch die rund 150.000 getöteten | |
polnischen Zivilisten vom Warschauer Aufstand 1944 vergessen haben. | |
Auf der Konferenz appelliert er dann aber auch: „Lassen Sie uns den Weg | |
weitergehen, den andere uns vorausgegangen sind: den Weg in ein Europa, in | |
dem wir für unsere Sicherheit, unseren Wohlstand, unsere Freiheit und – ja: | |
auch unsere nationalen Eigenheiten – gemeinsam einstehen.“ | |
5 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
## TAGS | |
Polen | |
EU | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Polen | |
Polnische Justizreform | |
Italien | |
Polen | |
Polen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Angela Merkel besucht Polen: Vorwürfe vom Nachbarn | |
Am Freitag kommt Angela Merkel nach Warschau. Zuvor machen Polens Präsident | |
Duda und Premier Morawiecki Stimmung gegen Regierung und Medien. | |
Debatte Justizreform in Polen: Rettet das Recht | |
Die polnische Justizreform hebelt die Gewaltenteilung aus. Die EU muss | |
darauf eine Antwort finden – am besten vor Gericht. | |
Migrationsforscher über Roms Asylpolitik: „Die Italiener haben Verbündete“ | |
Mehrere EU-Länder dürften die neue Regierung bei ihrem Kurs gegen | |
Einwanderung unterstützen, sagt Andrew Geddes. Was für Pläne wären denkbar? | |
Kommentar Steinmeier in Polen: Ein historischer Besuch | |
Polens Präsident Andrzej Duda versucht Grundwerte gegen die rechte | |
Regierung zu verteidigen. Dabei sollte ihn sein deutscher Amtskollege | |
unterstützen. | |
Debatte Populismus in Polen: Kinder der Revolution | |
Der polnische Populismus wurzelt im Aufbruch von 1989. Der Streit der | |
Dissidentengeneration vergiftet das Land bis heute. |