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# taz.de -- Französischer Flüchtlingshelfer: „Das ist ein absurdes System“
> Immer wieder räumt die Polizei in Paris Zeltlager von Migranten. Was mit
> ihnen passiert, erklärt Flüchtlingshelfer Antoine Decourcelle.
Bild: Hier stehen die Zelte noch. Nur wenig Zeit später wird das Lager in Pari…
taz: Herr Decourcelle, zu den jüngsten polizeilichen Räumungen von
Flüchtlingscamps im Norden von Paris am Montag war in den französischen
Medien zu lesen, es handle sich bereits um die 36. große Operation in drei
Jahren. Wie kommt es, dass sich das derart wiederholt, ohne dass irgendeine
Besserung absehbar würde?
Antoine Decourcelle: Ab 2015 hat sich etwas geändert. Es trafen sehr viel
mehr Menschen vom Horn von Afrika ein, das heißt aus Sudan, Eritrea und
Somalia. Das System der Betreuung der Flüchtlinge war diesem Zustrom nicht
gewachsen. Es zwar ständig schon überfordert, doch nun gab es mit diesen
neuen Flüchtlingen große Probleme bei der Registrierung ihrer Asylgesuche
und ihrer Unterbringung. Seither haben sie oft keine andere Bleibe als
diese notdürftigen Camps an den Kanälen oder am Stadtrand.
Was eigentlich geschieht bei der Räumung eines Lagers mit den Menschen, die
von der Polizei in Bussen abtransportiert werden?
Das hängt von ihrem Status ab. Wir wissen, dass unter ihnen jetzt immer
mehr bereits anerkannte Flüchtlinge sind. Sie sind in diesen Camps, weil
sie keine Wohnung finden. Andere warten auf eine behördliche Antwort oder
hatten noch keine Gelegenheit, ihr Gesuch überhaupt einzureichen. Dazu
kommen relativ viele, die gemäß den Dubliner Verträgen in andere EU-Staaten
abgeschoben werden könnten, weil sie dort bereits vorher registriert
wurden.
Offiziell werden die „Evakuierten“ in Turnhallen oder Aufnahmezentren
überführt. Das ist aber wohl bloß provisorisch?
Der Staat will diese Lager aus dem Stadtbild entfernen – nicht zuletzt auch
auf Wunsch der Bürgermeisterin oder der Anwohnerschaft –, die staatlich
finanzierten Aufnahmezentren aber haben die Anweisung, nur Leute
aufzunehmen, die sich legal in Frankreich aufhalten. Die anderen findet man
dann ein paar Tage später in neuen Zeltlagern. Die Geschichte wiederholt
sich so von Neuem.
Die Regierung hat versprochen, dass in Zukunft die Gesuche viel schneller
beantwortet werden.
Ja, aber zugleich wird die Prozedur immer komplizierter, denn vor der
Behandlung durch die Asylbehörde Ofpra gilt es, mehrere Hürden zu nehmen.
Kürzlich erst wurde vor einem Termin bei der Polizeipräfektur für die
Region Paris eine telefonische Plattform zur Voranmeldung vor der
Einreichung des Gesuchs geschaffen. Die Absicht dieser Etappen ist es,
Warteschlangen vor den Büros der Präfektur zu vermeiden, die sichtbar
machen könnten, wie schlecht das Ganze organisiert ist. Jede Stufe erlaubt
es, Bewerbungen zu eliminieren oder Bewerber zu entmutigen.
Werden die Abgewiesenen nach den Kontrollen inhaftiert und abgeschoben?
Im Gesetz der sozialen Fürsorge steht explizit, dass die Hilfswerke
Bedürftigen bedingungslos Unterstützung gewähren sollen. Jetzt wird von
ihnen verlangt, Flüchtlinge zu sortieren. Das ist illegal. Es gibt
Zentren, in denen Polizeikontrollen durchgeführt werden oder in denen
sogenannte Dubliner unter Hausarrest gesetzt werden. Ich kenne namentlich
den Fall von Montmorency im Département Val d’Oise im Norden von Paris, wo
die Polizei regelmäßig Leute für eine Ausweisung abholt. In der Regel
weigern sich aber die Heimleitungen und Vereine, in dieser Weise zu
kollaborieren.
Was schlägt Ihre Organisation Cimade vor?
Der Kern des Problems heute sind die Dubliner Verträge. Das ist ein
absurdes System, das nicht funktionieren kann. Die Asylbewerber müssen die
freie Wahl des Aufnahmelands haben.
9 Jun 2018
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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