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# taz.de -- Die Wahrheit: Auf der Spur der Müllfresser
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (54): Die in Öltümpeln
> lebende Erdölfliege ist ein seltsames und sehr unbekanntes Wesen.
Bild: Fast niemand erforscht sie hierzulande: die Psilopa, die Ölfliege, in ih…
Es gibt sie tatsächlich: Fliegen, die in Erdöl leben: Helaeomyia petrolei.
Schon 1899 hat ein Doktor Howard Näheres über sie veröffentlicht, wobei er
jedoch vor allem seine Verwunderung über dieses Phänomen äußerte. 1930
erschien ein gründlicher Aufsatz über die „Biologie der Petroleum-Fliege“
von W. H. Thorpe, Mitarbeiter des Imperial Institute of Entomology. Darin
heißt es: „Psilopy petrolei gehört zweifellos zu den größten biologischen
Kuriositäten.“
Ihre Larven wachsen in Öltümpeln heran, sie schwimmen nahe der Oberfläche
und leben von toten Insekten. Thorpe: „Ihre Larven sind, obwohl sie sich
morphologisch nur geringfügig von den in weniger aberraten Gewässern
lebenden verwandten Arten unterscheiden, befähigt, in Erdöltümpeln zu
leben, in denen sie sich die im Petroleum suspendierten organischen
Partikel als Nahrungsquelle erschlossen haben.“
Inzwischen bringt es die Ölfliege, die von den Entomologen zunächst Psilopa
genannt wurde, im Internet auf 9.000 Einträge, fast nur amerikanische und
russische. Da wir hierzulande keine für die Tiere interessanten Öltümpel
haben (höchstens gern welche hätten), aber auch kein kalifornisches Klima,
ließen deutsche Insektenforscher diese Fliege bisher links liegen.
Eine Ausnahme bilden die Kuratoren einer anstehenden Wolfsburger
Ausstellung über „Öl“. Und bei einer ersten Durchsicht der
US-Internetbeiträge tauchte bisher nichts auf, was wesentlich über die
Forschungsarbeit von Thorpe hinausreicht. Und überhaupt: Fast keine
Insektenmonografie kommt gegen Jean-Henri Fabres „Erinnerungen eines
Insektenforschers“ an.
Um 1900 herum schrieb er – allerdings über den allgegenwärtigen Mistkäfer
(Skarabäus): „Das Wissen über ihn hat sich seit der Pharaonenzeit nicht
vermehrt.“ Vielleicht lassen sich also über die Kuratoren der
Öl-Ausstellung Literaturtipps zur Ölfliege bekommen? Oder sogar
Informationen zu Bakterien, die Plastik im Meer fressen? Plastik ist ja
auch Erdöl.
## Bakterien, die's draufhaben
Noch bevor die Plastikmassen zu einem globalen Thema wurden, erschien 2016
in Science ein Artikel von Forschern der Universität Kioto unter dem Titel:
„Ein Bakterium, das Polyäthylen zersetzt und assimiliert“. Sie hatten an
winzigen Plastikteilen auf dem Meeresboden noch winzigere Einkerbungen
entdeckt, die sie als Fraßspuren deuteten. Auch das dazugehörige Bakterium
fanden sie dann. Es bekam den etwas umständlichen Namen „Ideonella
sakaiensis 201-F6“.
Deutete das „Ideo“ im Namen darauf hin, dass es mehr eine Idee war? Der
Spiegel meldete dennoch: „Forscher entdecken Plastik fressende Bakterien.
Sie könnten helfen, das Plastikproblem der Menschheit zu lösen.“ In der
Berliner Schering-Galerie gab es sogar eine Ausstellung über dieses
Öl-Phänomen Plastik fressender Einzeller.
Möglich wäre sogar, dass das Bakterium Ideonella im Darm der Ölfliegenlarve
die „im Petroleum suspendierten organischen Partikel“ mit verdauen hilft.
Etwa so wie andere Bakterien zum Beispiel die Nahrung der Kuh im Pansen
aufbereiten: „Sie sind die Kuh“, hat die Mikrobiologin Lynn Margulis einmal
gesagt, was bei einer auf Bakterien spezialisierten Forscherin nicht weiter
verwundern darf, die auch über ihre heimische Bakterienzucht
veröffentlichte („Garden of Microbial Delight“).
Im Jahr 2016 hörte man dann wieder länger nichts von Ölfliege und
Plastikbakterie – obwohl die als bedrohlich empfundene Masse an
Plastikabfällen im Meer weltweit Initiativen aller Art hervorbrachte. 2017
kam der Spiegel mit einer neuen frohen Botschaft: „Forscherin entdeckt
zufällig Plastik fressende Raupe. Ist das die Lösung für das globale
Müllproblem?“ Bei der Raupe handelt es sich um die Larve der Großen
Wachsmotte (Galleria mellonella).
## Larven, die's draufhaben
Der Presse berichtete die Biologin Federica Bertocchini: „Bei der Säuberung
ihres Bienenstocks habe sie zu Hause, wo sie an der Universidad de
Cantabria arbeitet, plötzlich ‚dieses Würmchen‘ entdeckt. ‚Es ernährt …
von Pollenresten und ist für uns Imker wie die Pest.‘ Genervt warf sie die
Larven in eine Plastiktüte. Und siehe da: ‚Nach einer Weile war der Beutel
voller Löcher und die Larven waren draußen.‘ Sie fressen den wohl am
häufigsten verwendeten und biologisch kaum abbaubaren Kunststoff
Polyethylen.“
In der Zeitschrift Current Biology veröffentlichte Bertocchini mit Kollegen
daraufhin einen Artikel über „die Larve der Großen Wachsmotte“. Wegen der
hohen Zersetzungsgeschwindigkeit, mit der ihre Larven den Kunststoff
fressen, habe der Fund „Potenzial für bedeutende biotechnologische
Anwendungen“, schrieben sie.
Auch im Darm dieser Mottenlarve könnte Ideonella die Verdauung des
Erdölprodukts Plastik leisten – vorausgesetzt, es gibt diese Wunderlarve
und das Wunderbakterium. Bisher haben wir nur die Ölfliege sicher – und die
nur in Kalifornien.
Der Spiegel behauptet, auch Pilze können Plastik abbauen! Relativiert aber
sogleich seine Schlagzeile vom Jahr zuvor: „Wie andere zuvor entdeckte
Plastikfresser ist auch Ideonella weit davon entfernt, das globale Problem
mit dem Plastikmüll zu lösen. Unter optimalen Bedingungen und bei
Temperaturen um die 30 Grad Celsius braucht das Bakterium etwa sechs
Wochen, um ein kleines Stück Polyethylen zu zersetzen.“
Noch macht die Wachsmottenlarve aber Hoffnung: „Sie ist beim Abbau von
Polyethylen deutlich schneller. Dieses aus Erdöl hergestellte synthetische
Polymer werde vor allem zur Herstellung von weltweit rund einer Billion
Tüten pro Jahr benutzt, die insgesamt rund 60 Millionen Tonnen Plastik
entsprächen, erklärt die Biologin.“
Bertocchinis Mottenlarve kommt inzwischen auch schon auf 9.000
Internet-Einträge, fast alle auf Deutsch. Am Schluss des Spiegel-Artikels
steht aber der deprimierende Satz: „Plastik ist biologisch eigentlich kaum
abbaubar“. Auch stellt sich die Frage, ob die kleinen Plastikfresser nicht
etwas Schlimmeres als Plastik ausscheiden. Denn entscheidend ist ja laut
Helmut Kohl, „was hinten rauskommt“.
Bleibt also nur die Ölfliege, deren Larven bloß im Öl schwimmen und
tauchen. Trinken sie es eigentlich auch? Als ausgewachsene Fliegen können
sie übrigens auf dem Öl gehen. Auf der Schweizer Internetplattform
lernregion fand ich unter dem Stichwort „Erdölfliege“ Folgendes: „Das
Paarungsverhalten und die Eiablage sind noch unbeschrieben. Im
Verpuppungsstadium verlässt die Larve das Öl und hängt sich an Grashalme an
den Rändern der Sickerstellen. Rohöl ist in der Regel als sehr effektives
Insektizid bekannt. Folglich ist die Erdöl-Fliege ein interessantes
Forschungsobjekt der Biotechnologie.“ Nächstes Thema.
4 Jun 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Biologie
Fliegen
Erdöl
Tiere
Alkohol
Insekten
Zoo
Biologie
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