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# taz.de -- Schulschwänzer-Kontrollen in Bayern: Mit Ferienaufschlag
> An Flughäfen überführen PolizistInnen Eltern, die es wagen, vor
> Ferienbeginn in den Urlaub zu fliegen. Der wahre Übeltäter ist der freie
> Markt.
Bild: Die Verlockung des Marktes: günstiger Urlaub – oder Schulpflicht
Es klingt nach einem schlechten Scherz. Eine Woche, nachdem der bayerischen
Polizei von der Law-and-Order-Partei CSU Super-Vollmachten zugesprochen
worden sind, staunt die Öffentlichkeit über einen ersten, na ja,
beachtlichen Fahndungserfolg. An zwei der drei internationalen Flughäfen im
Freistaat haben BeamtInnen in insgesamt 20 Fällen eine gemeingefährliche
Tätigkeit aufgedeckt: Schule schwänzen.
Da waren Eltern doch tatsächlich schon einen Tag vor Beginn der bayerischen
Pfingstferien mit ihrem Nachwuchs auf dem Weg in den Urlaub – in manchen
Fällen sogar schon zwei Tage vorher. Uiuiui. Die PolizistInnen überführten
die Eltern dabei einer Ordnungswidrigkeit, denn eine Unterrichtsbefreiung
für die Kinder konnten diese am Check-in nicht vorzeigen. Gegen die
Unterrichtssünder am Allgäu Airport (Memmingen) und Flughafen Albrecht
Dürer (Nürnberg) wurde Strafanzeige erstattet. Ihnen droht nun ein saftiges
Bußgeld – und natürlich die soziale Ächtung an der hintergangenen Schule.
Na sauber!
Man könnte jetzt an dieser Stelle die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes
loben (die PolizistInnen verzichteten auf Drohnen, Spähsoftware oder
Handgranaten) oder auch den Einsatz an sich geißeln (die BeamtInnen hätten
sich stattdessen auch um Reichsbürger, rassistische Übergriffe oder
tschechisches Crystal Meth kümmern können).
## Die Frage nach der Schuld
Überhaupt könnte man noch viel über die seltsame Prioritätensetzung der
bayerischen Polizei sprechen (kleine Empfehlung: Fahren Sie in München,
Regensburg oder Augsburg niemals mit dem Rad auf der verkehrten
Straßenseite!). Von Racial Profiling und Polizeigewalt ganz zu schweigen.
Aber diese Debatte führt am Kern des Übels vorbei. Denn wer Eltern, die
ihre Kinder ungefragt einen Tag aus der Schule nehmen, entweder als
unverschämte Egoisten beschimpft oder in bayerischen PolizistInnen nur
bornierte Ordnungshüter sieht, verkennt den wahren Schuldigen der ganzen
Chose: den freien Markt.
Man muss eigentlich nur kurz überlegen, um zu dieser Erkenntnis zu kommen:
Unser Wirtschaftssystem verführt – ja zwingt – Eltern unter bestimmten
Umständen erst zu solchen Missetaten. Dass Fluggesellschaften zu
Ferienzeiten einfach ein Vielfaches von dem verlangen dürfen, was der Flug
sonst wert ist, ist doch ein Irrsinn. Was im Wirtschaftssprech wohlfeil als
„Angebot und Nachfrage“ umschrieben und zum hehren „Prinzip“ erhoben wi…
ist nichts anderes als kaltblütige Abzocke.
Sie dient der Gewinnmaximierung, schon klar. Sie diskriminiert aber auch
mir nichts dir nichts Personen, die ihre Urlaubszeiten nicht frei wählen
können. Und das sind – genau – Väter und Mütter mit Kindern im
schulpflichtigen Alter. Sie sollen das Doppelte oder Dreifache zahlen, nur
weil ihnen die deutsche Schulpflicht keine andere Wahl lässt? Weil sie die
Melkkühe einer Branche sind, die heute an Singles und Selbstständigen so
gut wie nichts mehr verdienen kann?
Was der kapitalistische Auswuchs für eine vierköpfige Familie heißt, kann
man schnell ausrechnen. Angenommen, ein einfacher Flug nach Palermo kostet
unter der Woche 150 Euro und am Wochenende 300 Euro. Das hieße für die
Familie: hin und zurück 1.200 Euro mehr berappen – für dieselbe Leistung.
Das muss man erst mal akzeptieren. Und vor allem: sich auch leisten können.
Kann man Erziehungsberechtigten ernsthaft einen Vorwurf machen, wenn sie
einen oder zwei Tage früher abreisen oder später zurückkommen? Um überhaupt
in den Urlaub fahren zu können, weil man sich die teuren Flüge schlicht
nicht leisten kann? Oder um auf dem Campingplatz an der sizilianischen
Küste nicht jeden Tag Dosenravioli futtern zu müssen?
Selbst wenn nicht bei allen Schulschwänzer-Eltern gleich der ganze Urlaub
an der vorzeitigen Abreise hängt: Die Flugbranche hat es sich selbst
zuzuschreiben, wenn man ihnen den Aufschlag nicht gönnt. Man muss nur an
die unverschämte Episode im letzten Jahr denken, als Air Berlin pleite ging
und die Lufthansa plötzlich das Monopol auf Inlandsflüge hatte.
Stiegen die Flugpreise da nicht schnurstracks in die Höhe? Yep! Um fast 40
Prozent bei Wochenendflügen? Yep! Und wurde das mit dem Prinzip von Angebot
und Nachfrage erklärt? Yep! Man kann sich also gut vorstellen, wie es
Familien über Jahre ergeht. Da bringen auch die schlauen Tipps (Macht doch
Urlaub in den Alpen! oder: Fahrt doch Bahn!) nichts. Denn auch bei der
Kritik am Kapitalismus geht es – ums Prinzip.
22 May 2018
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
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