# taz.de -- Neuer Film von Roman Polanski: Wie Männer auf Frauen blicken | |
> Polanski scheitert mit „Nach einer wahren Geschichte“. Weil er ganz | |
> prinzipiell nicht verstehen will, was in seiner Romanvorlage vor sich | |
> geht. | |
Bild: Wer ist Elle wirklich? | |
Die wahre Geschichte geht so: Delphine de Vigan schrieb 2011 den Roman „Das | |
Lächeln meiner Mutter“ (2013 auf Deutsch bei Droemer erschienen). | |
Eigentlich handelte es sich nicht um einen Roman, sondern um die | |
Beschreibung einer Spurensuche. Da es um ihre eigene Mutter ging, deren | |
Leben von einer bipolaren Störung gezeichnet war, um Eltern, Geschwister | |
und um Familiengeheimnisse, waren davon eine Menge Menschen betroffen, die | |
sich vom Erzählten entblößt fühlten – trotz der Deklaration zur Fiktion. | |
Von dieser, in der Tat autobiografischen Situation wiederum nahm de Vigans | |
nächster Roman „Nach einer wahren Geschichte“ (2015) seinen Ausgang. Darin | |
bekommt eine Autorin, die gerade einen Roman „nach einer wahren Geschichte“ | |
geschrieben hat, seltsame Drohbriefe und gerät darüber immer mehr in eine | |
Arbeitsblockade. Zu ihrer Erleichterung trifft sie bei einer Lesung auf | |
eine alte Schulfreundin, die ihr Hilfe anbietet. Seltsamerweise scheint | |
sich die Schreibblockade aber gerade dadurch zu verstärken. | |
Warum diese lange Erklärung zur Buchvorlage? Schließlich erwartet man von | |
einer Verfilmung, dass sie für sich stehen muss und keinen Hinweis auf die | |
literarische Quelle braucht. Aber Roman Polanskis Kinoversion, für deren | |
Drehbuch er mit Olivier Assayas zusammen verantwortlich zeichnet, geht so | |
oberflächlich mit de Vigans Buch um, dass man sich als Leser | |
herausgefordert fühlt, die Dinge erst mal klarzustellen: Der Roman ist | |
suggestiv, unheimlich, voller schmerzlicher Einblicke in den komplizierten | |
Prozess des Schreibens und den eigenartigen Charakter von | |
Frauenfreundschaften. Der Film ist nichts von alledem. | |
Das Seltsame dabei ist, dass Assayas und Polanski nichts groß geändert | |
haben und brav den Handlungssträngen der Vorlage folgen. Die | |
Schriftstellerin Delphine (Emmanuelle Seigner) erlebt eine Schreibblockade, | |
begegnet bei einer Lesung Elle (Eva Green), die sich als alte Bekannte | |
ausgibt. Elle ist am Wiederaufwärmen der Freundschaft interessiert. Sie | |
lädt Delphine zu sich zu einer Geburtstagsfeier ein, bei der seltsamerweise | |
kein anderer Gast kommt. Wie aus Mitleid lässt sich dann Delphine immer | |
mehr auf die neu-alte Freundin ein. Die nach eigener Aussage erfahrene | |
Ghostwriterin gibt Delphine bald Tipps zum neuen Buch und zeigt immer | |
größeren Ehrgeiz, dabei zu assistieren, als Delphines Sekretärin, als | |
Lektorin, schließlich gar als Inspiration. | |
Wie gesagt, mit allenfalls geringfügigen Abweichungen folgt der Film dem | |
Buch. Und trotzdem scheint er von etwas ganz anderem zu handeln. Aber genau | |
in dieser Abbildung desselben Plots mit total anderem Effekt offenbart sich | |
ein prinzipielles Nichtverstehenwollen dessen, was im Roman vor sich geht. | |
## Schlechte Besetzung | |
Die Hauptschuld daran, neben dem drögen Drehbuch, trägt die Besetzung der | |
beiden Hauptfiguren. Wobei Emmanuelle Seigners charakteristische Trägheit | |
ganz gut zur in ihrer Passivität gefangenen Delphine passt. Traurigerweise | |
ist Eva Green als Elle zwar die bessere Schauspielerin, aber mit dem großen | |
Altersunterschied zwischen ihnen – Seigner ist 1966 geboren, Green 1980 – | |
macht sich der Film blind für das wichtigste Motiv des Stoffs, nämlich dass | |
Delphine und Elle vorgeblich Klassenkameradinnen sind und als Doubles | |
funktionieren. | |
Das Spiel mit Verwandtschaft, Gleichgesinnung und Ähnlichkeit zwischen | |
Delphine und Elle erschließt im Buch die Identitätskrise einer Autorin. Im | |
Film erscheint es als die x-te Version einer „homoerotischen Passion“, | |
soll heißen: wie Männer sich Lesbenbeziehungen so vorstellen. Irgendwie | |
unheimlich, aber von außen gesehen halt ganz attraktiv. | |
Spätestens da stößt einem der Name Polanski auf – und sorgt dafür, dass m… | |
dem Film gegenüber noch ungnädiger eingestellt ist. Oder noch einmal anders | |
angesetzt: Im Kontext der Weinstein-Enthüllungen, der #MeToo-Debatte und | |
des kürzlich erfolgten Rausschmisses von Polanski aus der Oscar-„Academy“ | |
ist es fast eine Erleichterung zu wissen, dass sein neuester Film kein | |
Meisterwerk ist. Umgekehrt wäre es schwieriger: Angenommen, heute käme | |
stattdessen die seinerzeit, 2011, hochgelobte Verfilmung des | |
Jasmina-Reza-Stücks „Der Gott des Gemetzels“ ins Kino, würde das Urteil n… | |
anders ausfallen? Die Medienreaktionen wären sicher anders gewesen, aber | |
was ist mit der ureigenen Reaktion des Kinogängers/der Kinogängerin, die | |
mit „Rosemaries Baby“, „Chinatown“, „Bitter Moon“ bis zum „Pianis… | |
Polanski als „Meisterregisseur“ aufgewachsen ist? | |
Der Fall Polanski ist auch deshalb so interessant, weil [1][anders als bei | |
Weinstein], Cosby und all den anderen seit der Tat vor 41 (!) Jahren | |
[2][nichts wesentlich Neues ans Licht kam]. Polanski hat 1977 einem | |
13-jährigen Mädchen Drogen gegeben und es vergewaltigt. Er wurde dafür | |
angeklagt, kurz inhaftiert und entkam einer weiteren Verurteilung durch | |
Ausreise. 40 Jahre lang kochte das zwar immer wieder hoch, etwa 2010, als | |
Polanski in der Schweiz wegen eines US-Auslieferungbegehrens mehrere Monate | |
festgesetzt wurde. | |
Aber im Unterschied zu heute war dieses Aufkochen nie davon begleitet, dass | |
weitere Kritikerkreise sich herausgefordert sahen, Polanskis Werk zu | |
relativieren. Das aber ist nun anders – und in Frankreich noch einmal | |
anders als in den USA und in Deutschland. Und verwirrend, gerade auch was | |
besagte eigene, private Zuschauerreaktion angeht. Viel zu billig erscheint | |
es, Polanskis Filme, eben auch den neuen, nun auf sein wie auch immer | |
verräterisches Frauenbild hin abzutasten. Schließlich würden solche | |
Untersuchungen bei gefühlt mindestens jedem zweiten männlichen Regisseur | |
unerfreuliche Ergebnisse bringen. Vielmehr zwingt Polanski dazu, über die | |
Frage der Trennung zwischen Werk und Autor nachzudenken, die man als | |
souveräner Popkulturgenießer eigentlich entschieden glaubte: Natürlich | |
trennt man, oder etwa nicht? | |
Deutlicher denn je zeigt sich aktuell, keine Analyse, keine Kritik kann dem | |
Zuschauer da etwas vorschreiben. Wer mit Ekel reagiert, hat genauso recht | |
wie der Trotzige. Deshalb die Erleichterung über die absolute | |
Mittelmäßigkeit von „Nach einer wahren Geschichte“, sie macht es leicht, | |
sich gar nicht erst auseinandersetzen zu müssen. | |
17 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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