# taz.de -- Klimakonferenz in Bonn: Angst vor der Minimallösung | |
> Zehn Tage feilten die UN-Staaten an Detailregeln für das Pariser | |
> Abkommen. Die Zeit drängt. Jetzt droht ein Kompromiss auf niedrigem | |
> Niveau. | |
Bild: Leeres Podium auf der Bonner UN-Klimakonferenz | |
BONN taz | Im Plenarsaal des ehemaligen Bundestags in Bonn herrscht | |
friedliche Stimmung. Die Sonne scheint durch die großen Glasflächen, | |
draußen blühen die Bäume und singen die Vögel. Auf den blauen Sesseln | |
sitzen etwa 300 Delegierte der Klimakonferenz und beraten über eine | |
Textpassage. Ein Teilnehmer in der vorletzten Reihe ist in der Wärme des | |
Nachmittags eingedöst. Als sein Schnarchen im ganzen Plenum zu hören ist, | |
weckt ihn sanft sein Nachbar. | |
Donnerstagabend ging im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn die | |
diesjährige „Zwischenkonferenz“ der UN-Klimaverhandlungen zu Ende. Etwa | |
3400 Diplomaten und Experten waren zusammengekommen, um die große „COP24“ | |
vorzubereiten, die im Dezember im polnischen Katowice stattfinden wird. | |
Das Sommertreffen ist so etwas wie ein großes Familientreffen der | |
Unterhändler, die sich teilweise seit Jahren kennen. Umarmungen, | |
Wangenküsse, Händeschütteln, ehe es ans Feilschen geht. In Bonn sind | |
traditionell Wetter und Stimmung gut – die Diplomaten sind unter sich und | |
suchen die Lösungen, mit denen ihre Politiker am Jahresende glänzen wollen. | |
## Der idyllische Friede trügt | |
Aber dieses Jahr war der Friede trügerisch. Die sommerlichen Temperaturen | |
gehörten zum wärmsten April, der je in Deutschland gemessen wurde. Noch nie | |
seit es Menschen gibt, gab es so viel Klimagas Kohlendioxid in der Luft wie | |
2018. Auf dem idyllischen Rhein gleich hinter dem Bundestag stampften | |
Frachtschiffe flussaufwärts, schwer beladen mit Kohle. Der | |
Versammlungsleiter Andrew Rakestraw, ein ruhiger, junger US-Diplomat, sagte | |
im Plenum beschwichtigend zu seinem Textentwurf: „Das ist wirklich erst der | |
Beginn der Diskussion. Wir sind an dem Punkt, wo wir vor einem Jahr waren.“ | |
Das ist das Problem. Die ungelösten Fragen waren so heikel und umfangreich, | |
dass der Zeitplan durcheinander geriet. Ein echter Erfolg der COP24 steht | |
in den Sternen. Ein langjähriger Insider der Klimaverhandlungen gab dem | |
Treffen die Schulnote „ausreichend“. | |
Im Dezember müssen sich die Staaten auf eine Fülle von Detailregeln | |
einigen, wie demnächst der globale Klimaschutz funktionieren soll. Aus | |
einem Gewirr von alten Regeln, neuen Anforderungen, bewährten Prozeduren | |
und gescheiterten Ansätzen wollen die Diplomaten, Experten und Lobbyisten | |
die neue Klima-Weltordnung zimmern. | |
## Es geht um das entscheidende Kleingedruckte | |
Nicht in großen Worten und Visionen, wie im Pariser Klimaabkommen von 2015. | |
Sondern im Kleingedruckten, das konkret regelt, wann wo wer CO2 einspart, | |
wie das nachzuweisen ist und woher und wohin das Geld dafür fließt. Ab 2020 | |
sollen die neuen Regeln gelten. Und sie sollen so fair sein, dass alle | |
mitmachen wollen. Da gibt es viel zu verhandeln. Die Delegierten sitzen an | |
diesem Dienstag 48 Stunden vor Ende der Konferenz über einem eng bedruckten | |
englischen Text von 48 Seiten. Gerade sind sie auf Seite 2. | |
Bis Donnerstagabend holen sie die Verspätung nicht auf. Statt eines | |
konkreten Verhandlungstextes, den vor allem die EU als Ergebnis erwartet | |
hatte, gibt es mehrere hundert Seiten Vorschläge. Aus Zeitnot beschließen | |
die Staaten, sich Anfang September zu einer Extra-Konferenz in Bangkok zu | |
treffen. Und als positives Ergebnis der Bonner Sitzung gilt schon, dass die | |
Verhandlungsleiter das Mandat bekommen, an den Texten bis dahin | |
weiterzuarbeiten. Auf der Suche nach Erfolgen wird man als Klimadiplomat | |
bescheiden. | |
„Was die Delegierten hier machen, ist vielleicht noch schwieriger als das | |
Pariser Abkommen zu verhandeln“, sagt Elliot Diringer. Der US-Amerikaner | |
vom Thinktank Center for Climate and Energy Solutions begleitet die | |
Verhandlungen seit vielen Jahren. Aber zum ersten Mal treten die USA | |
praktisch nicht in Erscheinung. Die Regierung Trump leugnet den Klimawandel | |
und will aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Ihre Mini-Delegation arbeitet | |
zwar bei den technischen Fragen weiter mit, aber „es fehlt das Gewicht der | |
USA bei umstrittenen Themen wie der Transparenz von Regeln“, sagt Diringer. | |
## Der Ausstieg der USA macht alles komplizierter | |
Das hat ernste Konsequenzen. Denn unter den vielen umstrittenen | |
Detailfragen auf dem Weg nach Katowice schlummern zwei ungeklärte | |
Großkonflikte, in denen die USA zentral sind: Müssen alle Staaten ihre | |
Klimapläne nach den gleichen Regeln aufstellen oder gibt es bei dieser | |
Transparenz einen Rabatt für die armen Länder? Der umkämpfte Begriff hier | |
lautet „Flexibilität“. Die USA pochen ähnlich wie die Europäer darauf, d… | |
zwar für Entwicklungsländer wie Mali weniger strikte Regeln gelten können – | |
dass aber Schwellenländer wie Indien, China oder Südafrika an die gleichen | |
Vorgaben gebunden sind wie die Industrieländer. Die aufstrebenden Nationen | |
aber bestehen auf einer Extra-Behandlung. | |
Zweites Problem: Die Entwicklungsländer wollen einen klaren Zeitplan, wie | |
und wann die Industrieländer Geld auf den Tisch legen. 100 Milliarden | |
Dollar sollen ab 2020 von Nord nach Süd fließen. Je nach Rechenweise sind | |
davon etwa 80 Milliarden gesichert, auch wenn umstritten ist, was da alles | |
gezahlt und gezählt wird. „Die Finanzen sind der Schlüssel für einen | |
Erfolg“, sagt der äthiopische Delegierte Gebru Jember Endalew, der für die | |
Gruppe der 48 ärmsten Länder LDC spricht. | |
Aber eine Festschreibung von künftigen Geldflüssen sei nicht möglich, heißt | |
es auch von der deutschen Delegation, weil die Parlamente darüber zu | |
entscheiden hätten: „Informationen über geplante Zahlungen ja, | |
Verpflichtungen nein“, lautet die Linie. Auch hier stört der Ausstieg der | |
USA beträchtlich, die bislang einen Löwenanteil der Finanzierung etwa beim | |
Grünen Klimafonds GCF trugen. | |
## „Informationen ja, Verpflichtungen nein“ | |
„Paris“ kam nur zustande, weil die USA unter Präsident Barack Obama sich | |
mit China einigten. 2015 kamen fast 200 UN-Staaten nach jahrelangen | |
Vorbereitungen in Paris zusammen und versprachen: Den Klimawandel bis 2100 | |
bei 2 oder besser auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen; im Laufe des | |
21.Jahrhunderts aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen; den armen Ländern | |
jährlich 100 Milliarden Dollar für saubere Entwicklung zukommen zu lassen – | |
und all das ab 2020 ernsthaft zu beginnen. Ab diesem Jahr müssen die Länder | |
nationale Klimapläne („NDC“) vorlegen, in denen sie ihre Bemühungen um | |
Klimaschutz niederschreiben. Die werden nun konkret und sind deshalb heftig | |
umstritten. „In Paris haben wir das Haus gebaut“, sagt Li Shuo, der das | |
Greenpeace-Team zu den Klimaverhandlungen leitet. „Jetzt geht es darum, wo | |
wir den Tisch hinstellen und welche Küche wir einbauen.“ | |
Und darum, wer in der Küche was kochen darf. Zum Beispiel: Sollen die | |
Staaten in ihren Klimaplänen ihre Emissionen aller sieben Klimagase wie | |
CO2, Methan oder Lachgas angeben? Müssen sie alle zwei oder alle vier Jahre | |
berichten? Sollen sie auch angeben, wie sie sich an steigende Meere, | |
stärkere Stürme und mehr Dürren anpassen? | |
Über diese Fragen können sich die Klimadiplomaten im ehemaligen Plenarsaal | |
des Bundestags und in den vielen anderen Verhandlungssälen formvollendet in | |
die Haare geraten: „Das Papier spiegelt nicht unsere Anregungen wider“, | |
wiederholt der brasilianische Vertreter immer wieder an diesem Nachmittag. | |
So lange, bis der Vorsitzende Rakestraw zu einem Treffen einlädt, das einen | |
so inoffiziellen Charakter hat, dass er es ein „informelles | |
Informellentreffen“ nennt. | |
## UN-Klimabehörde in Geldnot: 16 Millionen Euro fehlen | |
Die Stimmung in Bonn war angespannt. Die Leiterin des UN-Klimasekretariats | |
UNFCCC, Patricia Espinosa, sprach am Ende von „einigem Fortschritt“, es | |
müsse aber schneller gehen, sich auf die technischen Richtlinien zu | |
einigen. Das UN-Sekretariat selbst leidet unter akuter Geldnot: Nur 70 von | |
192 Ländern haben ihre Beiträge bezahlt, es fehlen 16 Millionen Euro im | |
Budget. Vor der Bonner Konferenz musste das UNFCCC-Sekretariat bei den | |
Regierungen betteln gehen, um das Treffen überhaupt zu finanzieren. | |
Erfahrene Verhandler sagen, sie seien nicht nervös. Sie kennen den | |
„Ziehharmonika-Effekt“, mit dem Texte mit Maximalforderungen von allen | |
Parteien auf Dutzende von Seiten aufgeblasen werden. Dann müssen die | |
Delegierten diese Papiere in schlaflosen Nächten wieder so eindampfen, dass | |
Minister sie am Ende verstehen und abnicken können. Aber unter Diplomaten, | |
Experten und Umweltgruppen wächst die Sorge, dass die COP24 in Katowice | |
sich auf „schwache Regeln“ einigen könnte. Das könnte heißen: Weniger | |
Verpflichtungen zur Transparenz für Schwellenländer wie China und Indien – | |
dafür aber auch nur vage Zusagen zur Finanzierung von den reichen Staaten. | |
„Wir fürchten, dass sich alle auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen | |
könnten“, sagt Lutz Weischer von der Entwicklungsorganisation Germanwatch. | |
„Vor allem die EU muss da gegensteuern.“ | |
Diese Sorge speist sich aus vielen Quellen: Der Ausstieg der USA schwächt | |
das Abkommen und alle, die für strenge Regeln kämpfen. Ob die EU bis | |
Dezember ihre Klimapolitik verschärft und etwa Deutschland bis zu diesem | |
Zeitpunkt einen Plan zum Kohleausstieg hat, ist fraglich. Anders als bei | |
dem großen Medien-Event vor und in Paris ist das Interesse der Medien | |
bislang gering: In Bonn tauchte nur ein kleines Häuflein Journalisten auf, | |
deutlich weniger als sonst selbst bei den Sommer-Konferenzen. Und weil die | |
COP24 in einem EU-Land stattfindet, könnten die Europäer auch einem weichen | |
Kompromiss zustimmen, um einem Mitgliedsland die Blamage einer | |
gescheiterten Konferenz zu ersparen. | |
## Gute Stimmung beim„Talanoa-Dialog“ | |
Gute Stimmung verbreitete in Bonn zur Halbzeit eine Veranstaltung, die | |
außerhalb des Programms stattfand: Beim „Talanoa-Dialog“ hatte die | |
Präsidentschaft aus Fidschi in sieben Gesprächsrunden nach einem Brauch | |
ihres Landes zum „Geschichtenerzählen“ im kleinen Kreis eingeladen. Jeweils | |
etwa 30 Delegierte, aber auch Vertreter von Städten, Regionen, Umwelt- und | |
Entwicklungsgruppen, Unternehmen und Forschungsinstituten sprachen darüber, | |
wie der Klimawandel sie betrifft, was sie dagegen tun und was nötig wäre. | |
So wunderte sich etwa Anirban Gosh vom indischen Mischkonzern Mahindra, | |
„warum viele das Geschäftsmodell Klimaschutz nicht sehen“ – wo seine Fir… | |
doch Renditen von über 20 Prozent mit Effizienz und grüner Energie | |
einfahre. Die Umweltministerin von Mexiko City, Tanya Müller Garcia, | |
forderte selbstbewusst, die Megastädte der Welt sollten Zugang zur | |
internationalen Klimafinanzierung bekommen, weil sich der Klimawandel in | |
den Städten entscheidet. Und Richard Kimbowa von der „Koalition für | |
nachhaltige Entwicklung Uganda“ regte an, diese Dialoge auch in den | |
einzelnen Ländern zu führen, um „den Klimaschutz zu demokratisieren“. | |
Die „reale Welt“ werde beim Klimaschutz schneller sein als der UN-Prozess, | |
hofften viele in Bonn. Auch Polen Vize-Energieminister Michal Kurtyka, der | |
die COP24 als Präsident leiten wird, lobte den „Talanoa-Dialog“, der ein | |
„wirkliches Bild zeigt, wo wir sind“. Abweichende Meinungen will die | |
polnische Regierung allerdings nicht zulassen. Sie hat mit einem eigenen | |
„COP24-Gesetz“ alle spontanen Demonstrationen in Katowice während der | |
Konferenz verboten. Deswegen gab es am Ende der Konferenz eine Ermahnung | |
von Experten des UN-Rats für Menschenrechte, Polen solle „volle und | |
bedeutungsvolle Mitsprache bei diesen Diskussionen“ sicherstellen. | |
11 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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