| # taz.de -- Filmproduzent über „Die Welle“: „Die Zeiten sind hart genug�… | |
| > Christian Becker produziert „Die Welle“ als Netflix-Serie. Unterhaltung | |
| > müsse gerade bei ernsten Themen an erster Stelle stehen, sagt er. | |
| Bild: „Die Welle“ (2008) erzählt von einem verhängnisvollen Versuch über… | |
| taz: Herr Becker, es heißt, Fernsehen ist das neue Kino. Ist das auch Ihre | |
| Meinung? | |
| Christian Becker: Da muss man schon differenzieren. Es ist ja viel von den | |
| Plattformen die Rede, bei denen es um das werbefreie ‚Durchsehen‘, das | |
| Binge Watching, von Serien auf Amazon oder Netflix geht. Keiner spricht | |
| beispielsweise von ARD und ZDF als neuem Kino, die aber ebenso großartige | |
| Serien produzieren – allein wenn man sich „Bad Banks“ oder so ansieht. Die | |
| hochwertig gemachten Serien der Videoportale sind tatsächlich für die | |
| Freizeitgestaltung eine große Konkurrenz fürs Kino. Aber dieses | |
| Gemeinschaftserlebnis, eine generationenüberschreitende Geschichte gebannt | |
| zu verfolgen, etwa wie bei „James Bond“, „Ziemlich beste Freunde“ oder … | |
| „Fack ju Göhte“ – das hat man nur dort. Die Menschen wollen buchstäblich | |
| mehr denn je großes Kino – mit Stars und aufwendig umgesetzt. Die „kleinen… | |
| Arthouse-Filme verschwinden aufgrund des Konkurrenzdrucks leider immer | |
| mehr. | |
| Was sind die grundlegenden Unterschiede von Kino und TV? | |
| Fernsehen geht schneller, kann also aktueller sein, nach dem Dreh ist das | |
| Ergebnis normalerweise nach drei bis vier Monaten auf dem Bildschirm zu | |
| sehen. Man kann sehr aktuell am Zeitgeschehen sein. Beim Kino beträgt | |
| dieser Zeitraum ein Jahr, was mit der aufwendigeren Postproduktion zu tun | |
| hat. | |
| Was waren denn Ihre Ziele, als Sie begannen? | |
| Bei der Aufnahmeprüfung an der Münchner Filmhochschule 1994 wurde ich | |
| damals gefragt, wer meine Vorbilder seien. Da habe ich geantwortet: Ich | |
| möchte „Ein Mann sieht rot“ (Originaltitel „Death Wish“) Teil VI | |
| produzieren, und beeindruckt haben mich vor allem die israelischen | |
| Produzenten Menahem Golam und Yoram Globus. Ich glaube, davon hatte die | |
| Aufnahmekommission noch nie etwas gehört. | |
| Den Action-Klassiker mit Charles Bronson kennt man, aber wer sind die | |
| beiden anderen? | |
| Diese beiden Israelis dominierten in den 1980er Jahren das Filmgeschäft. | |
| Nachdem sie mit „Eis am Stiel“ Geld gemacht hatten, kauften sie in den USA | |
| den Filmverleih Cannon Films. „Ein Mann sieht rot“ („Deat Wish“ II–IV… | |
| „Quatermain“, „Missing in Action I–III“, „American Fighter I–V“… | |
| „Highlander“ sind nur einige Klassiker, mit denen sie das Genre damals | |
| dominiert haben. Sie waren dabei, die komplette Filmindustrie umzukrempeln | |
| – bis sie Anfang der 1990er Jahre pleitegegangen sind. | |
| Und das wollten Sie dann an der Münchner Filmhochschule genauso machen … | |
| An der Filmhochschule war der Standard in etwa so: Kleiner türkischer | |
| krebskranker Junge sucht mit seinem ebenfalls todkranken Vater die | |
| aidskranke Mutter. Mit Dennis Gansel habe ich dann einen Action-Kurzfilm | |
| mit Explosionen, Hubschrauber-Eröffnung und Klaus-Doldinger-Musik | |
| produziert, um zu zeigen: Man kann auch mal etwas anderes machen. Später | |
| habe ich weitere Kurzfilme hergestellt, auch einen, der einen Oscar | |
| erhielt. Und dann wurden die Festivals und dort durch unsere Kurzfilme auch | |
| die Filmbranche auf meine Regiekollegen wie Peter Thorwarth, Dennis Gansel | |
| und mich aufmerksam. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt zu | |
| längeren Filmen. Einer der ersten war dann „Bang Boom Bang“. | |
| Haben Sie so etwas wie ein Credo? | |
| Die Unterhaltung muss an erster Stelle stehen, auch bei ernsten Themen. Das | |
| Publikum soll ja unterhalten werden, denn die Zeiten sind schon hart genug. | |
| Wenn es etwa um Cybermobbing geht, verpacken wir es so wie bei „Nackt – | |
| Das Netz vergisst nie“. „Die Welle“ hat ebenfalls eine wichtige Aussage, | |
| aber der Film ist vor allem gute Unterhaltung. Allerdings müssen die | |
| Botschaften richtig aufbereitet sein: beispielsweise als Drama, Thriller | |
| oder Jugendfilm, damit es nicht zu plakativ wird. | |
| Sie produzieren jetzt zum ersten Mal für eine Videoplattform: „Die Welle“ | |
| soll als Serie auf Netflix laufen. Was versprechen Sie sich davon? | |
| Die Kinofassung lief damals in 50 Ländern und war 2008 ein riesiger Erfolg. | |
| Aber bei Netflix wird die Serie direkt und zeitgleich in 190 Ländern | |
| starten, in Dutzende verschiedene Sprachen synchronisiert. | |
| Wo liegt denn der inhaltliche Mehrwert gegenüber der Kinofassung? | |
| Die Geschichte wirft Fragen auf, die heute leider aktueller denn je sind: | |
| Warum kann aus einer Gruppe harmloser Individuen eine menschenverachtende | |
| Meute werden, wie es damals unter den Nazis in Deutschland passiert ist? | |
| Darauf können wir in einer Serie ausführlicher antworten als in einem | |
| anderthalbstündigen Film. | |
| Wo liegen die Herausforderungen für die Branche? | |
| Serien sind insbesondere für ein junges Publikum von immenser Bedeutung, | |
| was man an den hohen Mitgliederzahlen von Netflix, Amazon Prime und Co. mit | |
| zum Teil 125 Millionen Abonnenten ja gut sehen kann. Eine der großen | |
| Herausforderungen muss also sein, auf der einen Seite zwar mit diesem Trend | |
| zu gehen und gute Serien zu produzieren, auf der anderen Seite aber auch | |
| nicht die Entwicklung von qualitativ anspruchsvollen Kinofilmen zu | |
| vernachlässigen. Im Kino kann man große Sachen erleben, die man so noch | |
| nicht gesehen hat, und hier hat man die absolut ungeteilte Aufmerksamkeit | |
| des Publikums ohne Second Screens oder Telefonanrufen. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Urbe | |
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