| # taz.de -- Ministerpräsidentenwahl in Armenien: Parlament lehnt Protestführe… | |
| > Nikol Paschinjan war der einzige Kandidat, nachdem der ehemalige | |
| > Ministerpräsident zurückgetreten war. Nun ruft der Abgelehnte zum Streik | |
| > auf. | |
| Bild: Unterstützer des Oppositionsführers Paschinjan demonstrieren am Diensta… | |
| Moskau taz | Am Dienstag bewarb sich der Oppositionspolitiker und | |
| Protestführer Nikol Paschinjan [1][um den Posten des Ministerpräsidenten] | |
| im Parlament der südkaukasischen Republik Armenien. Doch das Parlament hat | |
| Paschinjan als neuen Ministerpräsidenten abgelehnt. | |
| Er war der einzige Kandidat für diesen Posten. Die regierende | |
| Republikanische Partei hatte darauf verzichtet, einen eigenen Kandidaten | |
| zur Wahl aufzustellen. Sie kündigte allerdings nach mehr als acht Stunden | |
| Anhörung und Debatte im Parlament an, den Oppositionspolitiker nicht | |
| unterstützen zu wollen. Beim anschließenden Wahlgang erhielt Paschinjan 45 | |
| Stimmen und 55 Gegenstimmen. Individuelle Stimmenabgabe hatte die | |
| republikanische Partei ausgeschossen. | |
| Paschinjan traf die Verweigerung nicht unvorbereitet. Unmittelbar vor der | |
| Parlamentssitzung hatte Paschinjan darauf verwiesen, dass die | |
| Ex-Präsidenten, Sersch Sargsjan und Robert Kotscharjan, beabsichtigten, | |
| „die Macht wieder zu übernehmen“. Daraufhin rief er seine Anhänger auf, | |
| wieder auf die Straße zu gehen, um sich „den Sieg nicht stehlen“ zu lassen. | |
| Weil er vom Parlament abgelehnt wurde, rief Paschinjan zu einem | |
| landesweiten Streik auf. Zwischen 30.000 und 40.000 Oppositionsanhänger | |
| hatten am Dienstag vor dem Parlamentsgebäude ihre Unterstützung für | |
| Paschinjan zum Ausdruck gebracht. | |
| [2][Drei turbulente Protestwochen] waren der Abstimmung vorausgegangen, in | |
| denen es der Opposition unerwartet gelang, den ehemaligen Präsidenten und | |
| gerade erst neu ins Amt des Ministerpräsidenten gewählten Sersch Sargsjan, | |
| [3][zum Rücktritt zu zwingen]. Die Lage nach der gescheiterten Wahl ist | |
| unübersichtlich. In einer Woche könnte ein zweiter Wahlgang stattfinden. | |
| Sollte der auch fehlschlagen, müssten Neuwahlen ausgeschrieben werden. | |
| ## Der „Kandidat des Volkes“ | |
| Verfassungsrechtliche Mauscheleien hatten es Sargsjan ermöglicht, vom | |
| Präsidentenamt auf den Posten des Ministerpräsidenten zu wechseln, das er | |
| vorher mit weitreichenden Kompetenzen des Präsidenten hatte ausstatten | |
| lassen. Bei den Wählern stieß die Herrschaftsverlängerung nicht auf | |
| Unterstützung und gipfelte in anhaltenden Massenprotesten. Sersch Sargsjan | |
| ist auch Vorsitzender der Republikanischen Partei, die mit 58 von 103 | |
| Abgeordneten über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt. | |
| Paschinjan hatte sich selbst als „[4][Kandidat des Volkes]“ eingeführt und | |
| forderte das Amt des Ministerpräsidenten seit den Protesten für sich ein. | |
| In einer Übergangsperiode sollten zunächst neue Wahlgesetze erarbeitet und | |
| dann Neuwahlen abgehalten werden. | |
| In der Sondersitzung des Parlaments drohte Paschinjan: Sollte er nicht | |
| gewählt werden, stünde dem Land ein „politischer Tsunami“ bevor. Er warnte | |
| die Regierungspartei, die „Nachsicht des Volkes nicht mit Schwäche zu | |
| verwechseln“. Anstatt die richtigen Schlüsse aus den Massenprotesten der | |
| vergangenen Wochen zu ziehen, spiele die Republikanische Partei immer noch | |
| Katz und Maus, sagte er. | |
| Die Proteste, die in der 2,5-Millionen-Einwohner-Republik mehrmals über | |
| hunderttausend Menschen auf die Straße brachten, verliefen bislang | |
| friedlich. Das rechtfertigt auch die Bezeichnung als „samtene Revolution“. | |
| Der armenische Beobachter Michael Zolyan nannte die Ereignisse einen | |
| „Karneval der Revolutionen“. Früh hätten die Demonstranten das Geschehen | |
| bereits als „Revolution“ wahrgenommen. Es sei absehbar gewesen, dass es bei | |
| den Demonstrationen nicht mehr nur um einen Politik-, sondern einen | |
| Systemwechsel geht. | |
| Paschinjan verfügt im Parlament über neun Stimmen. Eine Reihe kleinerer | |
| Parteien hatte ihm im Vorfeld darüber hinaus Unterstützung zugesagt. | |
| Gleichwohl fehlen dem Oppositionellen nach wie vor sechs Stimmen für eine | |
| einfache Mehrheit der insgesamt 103 Abgeordneten. | |
| ## Gegen Armut und Korruption | |
| In der Republik lebt ein Drittel der Bevölkerung am Rande des | |
| Existenzminimums. Paschinjan versprach, Armut zu bekämpfen und gegen | |
| Korruption vorzugehen. | |
| Das Land ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion unter Politikern und | |
| Oligarchen in Lehnwesen aufgeteilt worden. Das stellt der Oppositionelle | |
| nun infrage, gleichzeitig sicherte er aber auch zu, dass er weder Rache | |
| nehmen noch Eigentumsverhältnisse antasten wolle. Beobachter sehen darin | |
| einen taktischen Zug, um den Widerstand des Gegners nicht herauszufordern. | |
| Einige Vertreter der Nomenklatura sollen sich bereits ins Ausland abgesetzt | |
| haben, berichteten armenische Quellen. | |
| 2 May 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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