# taz.de -- Grünes Spitzenpersonal: Absteiger wider Willen | |
> Bei den Grünen verschieben sich die Machtverhältnisse. Die | |
> Parteivorsitzenden Habeck und Baerbock sind stark, die Fraktion gerät ins | |
> Hintertreffen. | |
Bild: Konkurrieren um Aufmerksamkeit: Hofreiter, Göring-Eckardt und Parteichef… | |
Robert Habeck und Annalena Baerbock werfen sich geschickt die Bälle zu. Die | |
beiden Grünen-Vorsitzenden schlendern mit Headset lässig in der Mitte der | |
Halle umher, philosophieren über „krass politische“ Zeiten, über „radik… | |
Antworten“, die nötig seien, über Leitplanken für ein Miteinander. | |
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt – kurz KGE – sitzt derweil brav in | |
der ersten Reihe, lauscht dem rhetorischen Feuerwerk und tut das, was sie | |
tun muss: Sie schweigt und applaudiert. | |
Die Szene beim Grünen-Konvent im Berliner Westhafen-Center Mitte April, wo | |
die Partei ihren Grundsatzprozess startete, hatte Symbolwert. Die | |
entscheidenden Anstöße kommen bei den Grünen inzwischen von den | |
Parteivorsitzenden, während die Bundestagsfraktion im Vergleich unauffällig | |
vor sich hin werkelt. Die Machtverhältnisse zwischen Partei und Fraktion | |
haben sich verschoben. Habeck und Baerbock dominieren den Diskurs, | |
Göring-Eckardt und ihr Co-Fraktionschef Anton Hofreiter fallen kaum noch | |
auf. | |
Das war nicht immer so. Früher wurde bei den Grünen über „die arme | |
Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor“ gewitzelt. Dort sitzt die | |
Parteizentrale in einem verwinkelten Altbau. Sie verfügt traditionell über | |
weniger Geld und weniger Personal als der große Fraktionsapparat. Mehr | |
Ressourcen, dazu die Bühne der Bundestagsdebatten – früher prägten die | |
FraktionschefInnen das Bild der Grünen. | |
Die neue Hierarchie wird in der Fraktion kritisch zur Kenntnis genommen. | |
„Die Musik“, sagen Abgeordnete, „spielt jetzt im Parteivorstand.“ Die | |
Fraktionsvorsitzenden seien im Vergleich schwach. Alle Vorstöße, mit denen | |
sich die Grünen zuletzt ins Gespräch brachten, kamen von der Parteispitze. | |
Die Vorsitzenden schrieben das Thesenpapier für den Konvent. Nicht nur, | |
dass sie es nicht für nötig hielten, es eng mit der Fraktion abzustimmen, | |
wie Abgeordnete berichten. Sie stellen darin auch in Stein gemeißelte | |
Glaubenssätze zur Disposition. Ist Gentechnik vielleicht doch okay, um | |
Hunger zu bekämpfen? | |
## Hartz IV „überwinden“ | |
Habeck trieb auch die Debatte über die Abschaffung von Hartz IV voran. Die | |
umstrittene Grundsicherung müsse „überwunden“ werden, forderte er. In der | |
Fraktion, in der FachpolitikerInnen seit Jahren an Korrekturen arbeiten, | |
stritt man da noch, wie scharf man sich von Hartz IV absetzen könne – | |
schließlich hatte Göring-Eckardt die Reform damals unter SPD-Kanzler | |
Schröder mit eingeführt. Sie war zwischen 2002 und 2005 schon einmal | |
Fraktionschefin. Auch die knackige Forderung einer Plastiksteuer zog Habeck | |
neulich geschickt hoch. | |
Das Echo in den Medien ist entsprechend. Viele Redaktionen rufen | |
inzwischen lieber die Parteivorsitzenden an als die der Fraktion. Und | |
mediale Aufmerksamkeit ist die entscheidende Währung für eine | |
Oppositionspartei. Habeck und Baerbock haben die Parteizentrale umgebaut | |
und auf sich zugeschnitten. Eine neu gegründete Grundsatzabteilung soll | |
frischen Stoff fürs Programm liefern, ein gemeinsames Büro Absprachen | |
leichter machen. Beide agieren als echtes Team – anders als ihre Vorgänger | |
Cem Özdemir und Simone Peter, die oft gegeneinander arbeiteten. | |
Göring-Eckardt und Hofreiter hingegen, die im Januar mit mittelprächtigen | |
Ergebnissen von 68 und 66 Prozent ins Amt gewählt wurden, stehen unter | |
Druck. Göring-Eckardt, die Reala, war in den vergangenen Jahren | |
unangefochten die starke Frau der Partei, weil Peter als Parteichefin blass | |
blieb. Mit der selbstbewussten Baerbock erwächst ihr jetzt starke | |
Konkurrenz. Außerdem bröckelt ihr Rückhalt in der Fraktion. Sie und | |
Hofreiter führten zu wenig, heißt es – wichtige Konflikte blieben | |
ungeklärt. Außerdem stehe sie, die schon unter Joschka Fischer in der | |
ersten Reihe stand, nicht wirklich für Erneuerung. | |
Auch dem Parteilinken Hofreiter fällt es schwer, sich neben den neuen Chefs | |
zu profilieren. Habecks und Baerbocks linksliberale Vorstöße begeistern | |
Linksgrüne, sie wildern in seinem ureigenen Terrain. Hofreiter war in der | |
letzten Legislaturperiode der tonangebende Öko der Grünen-Führung, er kennt | |
sich beim Klimaschutz und in der Verkehrspolitik bestens aus. Jetzt sitzen | |
der Energiewendeminister Schleswig-Holsteins und eine Expertin für | |
Kohleausstieg an der Parteispitze. | |
In der Fraktion wird deshalb bereits über die Zukunft nachgedacht. | |
Fraktionsvorsitzende werden alle zwei Jahre gewählt. Spekuliert wird etwa | |
über ein Comeback des Exvorsitzenden Cem Özdemir oder einen Aufstieg des | |
Innenpolitikers Konstantin von Notz. „Die Partei hat mit Habeck und | |
Baerbock die Neuaufstellung geschafft“, sagt ein Abgeordneter. „Die | |
Fraktion hinkt hinterher.“ | |
2 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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